Название | Franz Kafka: Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Franz Kafka |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754177013 |
»Das ist er«, sagte Delamarche, »aber es ist das noch nicht seine schlechteste Eigenschaft«.
»So?« sagte der Polizeimann.
»Ja«, sagte Delamarche, der nun im Reden war und dabei mit den Händen in den Taschen seinen ganzen Mantel in schwingende Bewegung brachte, »das ist ein feiner Hecht. Ich und mein Freund dort im Wagen, wir haben ihn zufällig im Elend aufgegriffen, er hatte damals keine Ahnung von amerikanischen Verhältnissen, er kam gerade aus Europa, wo man ihn auch nicht hatte brauchen können; nun, wir schleppten ihn mit uns, ließen ihn mit uns leben, erklärten ihm alles, wollten ihm einen Posten verschaffen, dachten, trotz allen Anzeichen, die dagegen sprachen, noch einen brauchbaren Menschen aus ihm zu machen, da verschwand er einmal in der Nacht, war einfach weg, und das unter Begleitumständen, die ich lieber verschweigen will. War es so oder nicht?« fragte Delamarche schließlich und zupfte Karl am Hemdärmel.
»Zurück, ihr Kinder!« rief der Polizeimann, denn diese hatten sich so weit vorgedrängt, daß Delamarche fast über eines gestolpert wäre. Inzwischen waren auch die Gepäckträger, die bisher die Interessantheit dieses Verhörs unterschätzt hatten, aufmerksam geworden und hatten sich in dichtem Ring hinter Karl versammelt, der nun auch nicht einen Schritt hätte zurücktreten können und überdies unaufhörlich in den Ohren das Durcheinander der Stimmen dieser Gepäckträger hatte, die in einem gänzlich unverständlichen, vielleicht mit slawischen Worten untermischten Englisch mehr polterten als redeten.
»Danke für die Auskunft«, sagte der Polizeimann und salutierte vor Delamarche. »Jedenfalls werde ich ihn mitnehmen und dem Hotel Occidental zurückgeben lassen.« Aber Delamarche sagte: »Dürfte ich die Bitte stellen, mir den Jungen vorläufig zu überlassen, ich hätte einiges mit ihm in Ordnung zu bringen. Ich verpflichte mich, ihn dann selbst ins Hotel zurückzuführen.«
»Das kann ich nicht tun«, sagte der Polizeimann.
Delamarche sagte: »Hier ist meine Visitenkarte«, und reichte ihm ein Kärtchen.
Der Polizeimann sah es anerkennend an, sagte aber, verbindlich lächelnd: »Nein, es ist vergeblich.«
So sehr sich Karl bisher vor Delamarche gehütet hatte, jetzt sah er in ihm die einzig mögliche Rettung. Es war zwar verdächtig, wie sich dieser beim Polizeimann um Karl bewarb, aber jedenfalls würde sich Delamarche leichter als der Polizeimann bewegen lassen, ihn nicht ins Hotel zurückzuführen. Und selbst wenn Karl an der Hand des Delamarche ins Hotel zurückkam, so war es viel weniger schlimm, als wenn es in Begleitung des Polizeimannes geschah. Vorläufig aber durfte natürlich Karl nicht zu erkennen geben, daß er tatsächlich zu Delamarche wollte, sonst war alles verloren. Und unruhig sah er auf die Hand des Polizeimannes, die sich jeden Augenblick erheben konnte, um ihn zu fassen.
»Ich müßte doch wenigstens erfahren, warum er plötzlich entlassen worden ist«, sagte schließlich der Polizeimann, während Delamarche mit verdrießlichem Gesicht beiseite sah und die Visitenkarte zwischen den Fingerspitzen zerdrückte.
»Aber er ist doch gar nicht entlassen!« rief Robinson zu allgemeiner Überraschung und beugte sich, auf den Chauffeur gestützt, möglichst weit aus dem Wagen. »Im Gegenteil, er hat ja dort einen guten Posten. Im Schlafsaal ist er der oberste und kann hineinführen, wen er will. Nur ist er riesig beschäftigt, und wenn man etwas von ihm haben will, muß man lange warten. Immerfort steckt er beim Oberkellner, bei der Oberköchin und ist Vertrauensperson. Entlassen ist er auf keinen Fall. Ich weiß nicht, warum er das gesagt hat. Wie kann er denn entlassen sein? Ich habe mich im Hotel schwer verletzt, und da hat er den Auftrag bekommen, mich nach Hause zu schaffen, und weil er gerade ohne Rock war, ist er eben ohne Rock mitgefahren. Ich konnte nicht noch warten, bis er den Rock holt.«
»Nun also«, sagte Delamarche mit ausgebreiteten Armen, in einem Ton, als werfe er dem Polizeimann Mangel an Menschenkenntnis vor, und diese seine zwei Worte schienen in die Unbestimmtheit der Aussage Robinsons eine widerspruchslose Klarheit zu bringen.
»Ist das aber auch wahr?« fragte der Polizeimann schon schwächer. »Und wenn es wahr ist, warum gibt der Junge vor, entlassen zu sein?«
»Du sollst antworten«, sagte Delamarche.
Karl sah den Polizeimann an, der hier zwischen fremden, nur auf sich selbst bedachten Leuten Ordnung schaffen sollte, und etwas von seinen allgemeinen Sorgen ging auch auf Karl über. Er wollte nicht lügen und hielt die Hände fest verschlungen auf dem Rücken.
In dem Tore erschien ein Aufseher und klatschte in die Hände, zum Zeichen, daß die Gepäckträger wieder an ihre Arbeit gehen sollten. Sie schütteten den Bodensatz aus ihren Kaffeetöpfen und zogen verstummend mit schwankenden Schritten ins Haus.
»So kommen wir zu keinem Ende«, sagte der Polizeimann und wollte Karl am Arm fassen. Karl wich unwillkürlich noch ein wenig zurück, fühlte den freien Raum, der sich ihm infolge des Abmarsches der Gepäckträger eröffnet hatte, wandte sich um und setzte sich unter einigen großen Anfangssprüngen in Lauf. Die Kinder brachen in einen einzigen Schrei aus und liefen mit ausgestreckten Ärmchen ein paar Schritte mit.
»Haltet ihn!« rief der Polizeimann die lange, fast leere Gasse hinab und lief unter gleichmäßigem Ausstoßen dieses Rufes in geräuschlosem, große Kraft und Übung verratendem Lauf hinter Karl her. Es war ein Glück für Karl, daß die Verfolgung in einem Arbeiterviertel stattfand. Die Arbeiter halten es nicht mit den Behörden. Karl lief mitten in der Fahrbahn, weil er dort die wenigsten Hindernisse hatte, und sah nun hie und da auf dem Trottoir Arbeiter stehenbleiben und ihn ruhig beobachten, während der Polizeimann ihnen sein »Haltet ihn!« zurief und in seinem Lauf, er hielt sich klugerweise auf dem glatten Trottoir, unaufhörlich den Stab gegen Karl hin ausstreckte. Karl hatte wenig Hoffnung und verlor sie fast ganz, als der Polizeimann nun, da sie sich Quergassen näherten, die gewiß auch Polizeipatrouillen enthielten, geradezu betäubende Pfiffe ausstieß. Karls Vorteil war lediglich seine leichte Kleidung, er flog, oder besser stürzte, die sich immer mehr senkende Straße hinab, nur machte er, zerstreut infolge seiner Verschlafenheit, oft zu hohe, zeitraubende und nutzlose Sprünge. Außerdem aber hatte der Polizeimann sein Ziel, ohne nachdenken zu müssen, immer vor Augen, für Karl dagegen war der Lauf doch eigentlich Nebensache, er mußte nachdenken, unter verschiedenen Möglichkeiten auswählen, immer neu sich entschließen. Sein etwas verzweifelter Plan war vorläufig, die Quergassen zu vermeiden, da man nicht wissen konnte, was in ihnen steckte, vielleicht würde er da geradewegs in eine Wachstube hineinlaufen; er wollte sich, solange es nur ging, an diese weithin übersichtliche Straße halten, die erst tief unten in eine Brücke auslief, die, kaum begonnen, in Wasser- und Sonnendunst verschwand. Gerade wollte er sich nach diesem Entschluß zu schnellerem Lauf zusammennehmen, um die erste Querstraße besonders eilig zu passieren, da sah er nicht allzu weit vor sich einen Polizeimann, lauernd an die dunkle Mauer eines im Schatten liegenden Hauses gedrückt, bereit, im richtigen Augenblick auf Karl loszuspringen. Jetzt blieb keine Hilfe als die Quergasse, und als er gar aus dieser Gasse ganz harmlos beim Namen gerufen wurde – es schien ihm zwar zuerst eine Täuschung zu sein, denn ein Sausen hatte er schon die ganze Zeit lang in den Ohren –, zögerte er nicht mehr länger und bog, um die Polizeileute möglichst zu überraschen, auf einem Fuß sich schwenkend, rechtwinklig in diese Gasse ein.
Kaum war er zwei Sprünge weit gekommen – daß man seinen Namen gerufen hatte, hatte er schon wieder vergessen, nun pfiff auch der zweite Polizeimann, man merkte seine unverbrauchte Kraft, ferne Passanten in dieser Querstraße schienen eine raschere Gangart anzunehmen –, da griff aus einer kleinen Haustüre eine Hand nach Karl und zog ihn mit den Worten »Still sein!« in einen dunklen Flur. Es war Delamarche, ganz außer Atem, mit erhitzten Wangen, seine Haare klebten ihm rings um den Kopf. Den Schlafrock trug er unter dem Arm und war nur mit Hemd und Unterhose bekleidet. Die Türe, welche nicht das eigentliche Haustor war, sondern nur einen unscheinbaren Nebeneingang bildete, hatte er gleich geschlossen und versperrt.
»Einen Augenblick«, sagte er dann, lehnte sich mit hochgehaltenem Kopf an die Wand und atmete schwer. Karl lag fast in seinen Armen und drückte halb besinnungslos das Gesicht an seine Brust.
»Da laufen die Herren«, sagte Delamarche und streckte den Finger aufhorchend gegen die Tür. Wirklich liefen jetzt die zwei Polizeileute