Der Mann, der zu Sophie wollte. Paul Stefan Wolff

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Название Der Mann, der zu Sophie wollte
Автор произведения Paul Stefan Wolff
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742788337



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wenn du mich mal setzen lässt. Du hast doch Stühle?“

      „Und zwei Betten“, nickte ich lächelnd. „Das kleine, es ist ein Sofa, kriegst du.“

      „Das heißt, ich werde schlafen?“

      „Sobald du müde wirst, ja.“ Ich hatte mich schon daran gewöhnt, dass für ihn alles neu wäre. „Und du WIRST müde werden, ganz sicher. Ermüden gehört zum Menschsein dazu.“

      „Ich freue mich darauf, müde zu werden!“ erklärte er feierlich.

      „Aber der Vater kümmert sich noch um Mattis“, hakte ich nach. Ich wollte den Kindsvater nicht in schlechtem Licht stehen lassen. „Der Vater von Mattis ist kein schlechter Mensch. Es hat halt einfach nicht mehr geklappt. Das ist mit die schwerste Aufgabe auf der Erde. Zu lernen, dass Dinge einfach mal passieren. Und die Aufgabe ist es, die Schuld nicht bei sich zu suchen. Im vollen Wissen, dass man sehr wohl seinen Anteil daran hat.“

      „Ich werde also Anteil haben?!“ Er lächelte versonnen. „Anteil haben und Anteil nehmen sind etwas Wunderbares.“ Er lächelte. „Anteilnahme ist überhaupt das einzige Nehmen das immer gut ist.“

      Ich musste lächeln. Ich hätte ahnen müssen, dass er mir ans Herz wachsen würde. Mir fiel als Gegenbeispiel „sich ein Beispiel nehmen“ sofort ein. Aber andererseits, das war nicht immer gut.

      „Hast du schon was gegessen? Getrunken?“ fragte ich und er schüttelte den Kopf. „Essen und trinken ist wichtig im Leben. Es gibt sogar Lebewesen, die machen ihr ganzes Leben nichts anderes. Fressen und... Aber frage mich nicht, was auf Toilette gehen ist.“

      „Ich weiß es. Ich habe mit Menschen schon seit meiner Werdung zu tun. Ich weiß, was es alles gibt. Ich weiß nur nicht, wie es sich anfühlt.“

      „Wie alt bist du, Alexander?“

      „Das weiß ich nicht. Engel haben kein Zeitgefühl. Aber ich weiß, dass es das gibt. Zeit erleben heißt, Chancen nutzen. Chancen. Die man ergreifen kann.“

      „Ich sehe schon. Mit dir ist gut philosophieren.“ Ich nickte zufrieden über meinen Fang. „Du kannst mir was von Gott erzählen.“

      „Ich weiß nichts mehr“, er war auf dem Gehsteig stehen geblieben, wirkte beschämt. „Ich habe es vergessen. Das ist der Pakt, wenn ein Engel sich fallen lässt. Man vergisst es. Ich konnte nur eines mitnehmen. Und das ist, Gott ist vielleicht mit einem Welpentrainer zu vergleichen. Gott kann sprechen, die universelle Sprache der Liebe. Aber die Welpen verstehen nicht. Und so kriegen sie Leckerli in der ewigen Hoffnung des Welpentrainers, dass sie wenigstens die Tonfolge der Liebe, die Grundmelodie, einigermaßen einordnen können – und dann nicht auf die Straße rennen ins Verderben, wo für Welpen böse Autos sind, deren Fahrer sie wegen ihrer kleinen Natur nicht sehen können. Denn wahr ist, die meisten Menschen sind nicht böse. Sie sind nur von anderen Dingen eingenommen und sehen die Details nicht. Sie rennen Dingen hinterher, statt der Nächstenliebe. Den Rest habe ich vergessen.“ Er deutete auf den Himmel. „Die Brücke ist abgerissen, ich komme nur noch durch den Tod wieder hin. Die Entscheidung ist unumkehrbar.“ Er deutete auf sein Herz. „Ich bin hier wegen Sophie. Im Grunde genommen nur wegen ihr. Sie suche ich.“

      „Hattest du schon Kontakt mit ihr?“ Ich hatte mich halb umgedreht.

      „Ja. Sicher. In ihren Träumen.“ Er lächelte.

      „Weiß sie, dass du kommst? Dass du dich fallen lässt?“

      „Ja, ich habe es ihr gesagt. Ich habe es ihr versprochen. Wir haben uns verabredet.“

      „Sehr gut. Wann? Wo?“

      „Ich habe ihr gesagt, ich finde sie. Ich wusste ja nicht, wo ich lande. Ich wollte nichts Festes ausmachen, das ich dann nicht schaffe.“

      „Ich muss dir was sagen, Alex“, ich legte meine Hand auf seine Brust. „Menschen lernen im Leben sehr schnell zwischen Träumen und der Realität zu unterscheiden.“ Ich wusste, es wird ihn hart treffen. „Wenn Sophie halb esoterisch ist, oder auch wenn nicht...“

      „Nein, das kann nicht sein!“, er wurde lauter. „Es hatte seinen Sinn! Der liebe Gott gibt immer Hilfe mit – er lässt einen nicht in der Kälte stehen. Es hat seinen Sinn, warum ich dich getroffen habe. Ich kann das nicht glauben!“

      „Lass Gott da raus!“, antwortete ich scharf. „Seine Wege ergründen zu wollen, das führt zu nichts Konkretem. Und wir brauchen Konkretes! Menschen brauchen Konkretes.“

      „Es hat seinen Sinn“, wurde er leise, traurig. „Es hat DEFINITIV seinen Sinn!“

      „Sie wird googeln, weißt du was das ist?“

      Er schüttelte den Kopf.

      „Egal. Oder auch in einem Traumdeutungsbuch nachschlagen. Und sie wird finden, dass es ein Sehnsuchtstraum von ihr war. Wie gesagt, ich habe ein Faible für Übersinnliches. Ihre Träume von dir sind für sie keine reale Begegnung. Sondern ein Hinweis, dass sie auf der Suche nach dem Traummann ist. Nicht mehr. Die Wahrheit ist, sie wartet nicht wirklich auf dich. Wenn sie nicht ganz naiv ist, wird sie ihren Traum mögen, nicht mehr. Sie wird, das machen erwachsene und tiefsinnige Menschen mit Träumen, sie als Kraftquelle sehen. Und psychisch gestärkt in das wahre Leben gehen. Zu anderen Männern. Für sie ist die Verabredung eine Art Voraussage über einen wahren Mann, einer aus Fleisch und Blut, der da in ihr Leben tritt.“

      „Ich bin jetzt aus Fleisch und Blut.“

      Ich schüttelte leicht den Kopf. Sah ihn mitleidig an. Er verstand.

      „Das heißt, ich muss sie so schnell wie möglich finden.“ Er nickte leicht. „Denn jetzt bin ich ja Mensch und kann ihr nicht mehr in ihren Träumen erscheinen. Ich muss sie finden, ehe sie ihre Träume von mir vergisst.“

      „Sie wird sie nicht vergessen“, ich schüttelte den Kopf. „Sie wird ihn als schön in Erinnerung behalten. Und sie wird sich wünschen, die Träume nochmal zu träumen. Aber auch nicht mehr.“

      „Das heißt, sie wird mich in ihren Träumen suchen. Und nicht finden! Und dann wird sie langsam verzweifeln. Und nicht mehr daran glauben. Ich muss sie umso mehr finden. Ich muss sie finden, um SIE zu retten. Ich muss mich beeilen. Ich muss sie so schnell wie möglich finden.“ Er wurde ruhig. „Ich kann ihre Sehnsucht nach mir spüren. Sie steht vielleicht jetzt gerade auf und schaut auf den leeren Platz an ihrem Tisch. Ich kann spüren, wie ein kleines ‚Miem‘ als kleiner Ausdruck des sehnsüchtigen Seufzers ihren Blick verlässt. Wie sie sich kämpferisch sagt, dass sie noch warten muss. Dass sie jetzt an ihr Tagwerk muss. Und darin schwingt ein ‚vielleicht heute‘ und ich kann spüren, dass wenn sie sich diesen Satz nicht sagen würde, sie vielleicht nicht aus dem Haus ginge. Ich kann sie spüren, wie diese Hoffnung sie dazu treibt, sich schöne Kleider anzuziehen, sich ausgiebig zu pflegen. Nicht nur, weil sie es genießt, gut zu sich zu sein. Nicht nur, damit sie sich wohlfühlt in ihrer Haut. So sagt ihr doch, oder? Sondern auch damit sie gut aussieht, wenn es vielleicht heute passiert. Dass ich sie finde. Und sie gut finde, durch und durch liebenswert wie sie ist… Ich will die Perlenkette an ihr machen.“

      „Was ist das jetzt schon wieder für Engelszeug?“

      „Habe ich mal abgeguckt. Es ist, wenn ein Mann eine Frau ab und an beim Vorspiel oder schon davor oder danach, einfach eine Reihe von Küssen direkt hintereinander eine Linie nachzeichnend, gibt. Das macht Appetit. Ich bin anders als die anderen Männer, ich will nicht nur ein oder zwei Küsse z. B. am Hals geben. Sondern ich bin aufmerksam und halte Achtsamkeit hoch. Nicht abhaken, das ist die ZENTRALE Botschaft an dieser Sache. Ganz achtsam diesen einen Part von ihr ganz behutsam mit Küssen bedecken. Eine Mischung aus ALLES küssen und dabei nicht langweilig werden. Halt ein paar Partien mit einer Kuss-Perlenkette veredeln, zeigen, du bist auch WIRKLICH wunderbar und wunderschön.“

      So war er, ich hatte einen kleinen Impuls da gerade so, ich sollte mich auch in der Frühe schminken, hahaha.

      Zunächst setzten wir uns in die Küche und ich verarztete seine Wunden. Bei jedem Schmerz lachte er. „Schmerz. Ja! So ist das.“ Als