Название | kollateral |
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Автор произведения | Robert Lang |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753183886 |
„Warum ausgerechnet ich?“ - „Sie passen in mein Beuteschema.“ Er lässt den Satz unkommentiert. Sie nickt schwach, scheint aber nicht beeindruckt zu sein. „Mein Stiefvater wird Ihnen den Arsch aufreißen“, sagt sie. „Ihre Hände zittern ja jetzt schon.“ Sie hat Recht, wie er mit einem Blick auf das Glas in seiner Rechten sieht. Sie hat es registriert und ihre Schlüsse gezogen.
Es ist Zeit für eine erste Lektion. Er steht auf, umkreist das Bett und versetzt ihr eine Ohrfeige. Sofort zeigt sich der Abdruck seiner vier Finger auf ihrer Wange. Sie beschwert sich nicht, sondern blickt nur zur Seite, die sonst vollen Lippen zu einem Strich verdünnt. Sie sollte jetzt wissen, woran sie bei ihm ist und wo seine Toleranz endet. Und sie wird zuerst nachdenken, bevor sie diese Grenze das nächste Mal überschreitet.
Jetzt, da die Male auf ihrer Wange gut sichtbar sind und ihr Blick noch getrübt, scheint ihm der richtige Moment für das Foto gekommen zu sein. Allzu gesund soll sie auf dem Bild nicht aussehen. Ihr Ernährer (wenn er auch nicht ihr Erzeuger ist) soll nicht auf den Gedanken kommen, dass sie hier im Ferienlager ist.
Er geht ins Nebenzimmer, nimmt Kamera und die Tageszeitung mit den großen Buchstaben vom Bett und kehrt zu Britta zurück. „So, einmal stillhalten“, sagt er. „Sie brauchen nicht zu lächeln.“ Ein Blitz zuckt auf, geblendet schließt Britta Stern die Augen. Langer wartet einen Moment lang, schaut sich das Resultat an und ist zufrieden – die Aufnahme wird ihren Zweck erfüllen.
Für eine Sekunde erschrickt er bei dem Gedanken, dass Bornemann seine Stimme am Telefon erkennen könnte. Aber das ist eher nicht anzunehmen, beruhigt er sich schnell; dieses eine Mal, bei dem sie sich begegnet sind, hat Langer kaum zwei Sätze herausgepresst, und seine Stimme hat belegt geklungen, weil er gerade realisiert hatte, in welcher furchtbaren Klemme er steckte. Nein, die Stimme sollte kein Problem sein.
„Woher wussten Sie, dass ich heute um diese Zeit im Park sein würde? Sie haben das doch sicher nicht spontan bei meinem Anblick getan, oder?“ - „Nein, dessen bedurfte es natürlich einer gewissen Vorbereitung. Das sehen Sie doch an der Einrichtung hier.“ Okay, diese Frage ist dämlich gewesen, denkt Britta.
„Ich folge Ihnen bereits seit einer gewissen Zeit auf Schritt und Tritt. Ich kenne Ihren Tagesablauf, Ihre Herkunft und die finanziellen Möglichkeiten Ihrer Familie.“ Sie muss nicht jedes Detail kennen, denn irgendwann wird er sie schließlich freilassen müssen.
„Scheiße“, stöhnt sie, „dann war das also nicht eingebildet von mir?“ - „Nein, ich war einige Male auf dem Campus ganz in Ihrer Nähe, bin Ihnen bis zu ihrer Wohnung gefolgt… und ich saß auch ein paarmal in Ihrer Nähe, als Sie mit der Straßen- oder der U-Bahn zu dem einen oder anderen Hotel fuhren. Apropos, was macht eine Studentin wie Sie eigentlich im ‚Hessischen Hof‘ oder im ‚Marriott‘, um nur zwei zu nennen?“
„Das geht Sie nichts an.“ – „Das ist richtig. Sorry, ich war nur neugierig.“ Ein Entführer, der sich entschuldigt, denkt Britta. Vielleicht wird es ja doch nicht so schlimm werden.
5
Bornemann hat längst geschlafen, als das Telefon direkt neben seinem Ohr zu klingeln beginnt. Er schreckt hoch und schaut ungläubig drein, als sein Blick den Wecker neben dem Apparat streift.
Was zum Henker…?!
Es ist zwölf Minuten nach drei. Niemand ruft um diese Zeit an. Außerdem kennen nur sechs, höchstens sieben Menschen diese Nummer. Es muss etwas Schlimmes geschehen sein.
Oder jemand hat sich verwählt. Das ist wahrscheinlicher. Die Telefongesellschaft hat ihm eine Nummer zugeteilt, die sich hervorragend für Zahlendreher eignet - lauter Neunen und Sechsen. Er muss sich eine andere Nummer geben lassen.
Die idiotischsten Anrufe hat er schon erhalten. Zum Beispiel den einer schwangeren Frau, die ihren Gynäkologen sprechen wollte und ihn auf das Abartigste beschimpfte, als er ihr – erbost über die nächtliche Störung - erklärte, dass er sich zwischen den Schenkeln einer Frau nur in seiner Freizeit betätigt.
Wutentbrannt zieht er an der Schnur über seinem Kopfende und die Deckenbeleuchtung flutet das Schlafzimmer. Mit dir fahr ich Schlitten, und das nicht zu knapp!
Beim vierten Klingeln nimmt er den Hörer ab, und wenige Sekunden später hat er die Gewissheit, dass es für heute vorbei ist mit seinem Nachtschlaf.
6
Der Anruf hat genau zehn Sekunden in Anspruch genommen. Es ist alles Wichtige gesagt worden.
„Gehen Sie zum Briefkasten! Sofort! Halten Sie sich an sämtliche Anweisungen! Keine Polizei, sonst bekommen Sie Ihre Stieftochter in kleinen Portionen zurück!“ Klick. Vorbei. So einfach geht das.
Britta hat bereits damit begonnen, die Spesen abzuarbeiten, die er ihretwegen gemacht hat. Ohne ihre Auskunft, dass die Überwachungskameras an Bornemanns Villa nur den Bereich innerhalb der hohen Grundstücksmauern abdecken, hätte er es vielleicht nicht gewagt, den Brief persönlich einzuwerfen. An den Briefkasten hingegen kann er ungesehen von außen gelangen. Dennoch ist er vorsichtig gewesen. Er hat einen unförmigen Anorak mit einer viel zu großen Kapuze übergezogen, ist gebeugt gegangen und hat sich ein paar Minuten lang darin geübt, das linke Bein nachzuziehen, bevor er sich dem Anwesen genähert hat. Seine Geisel ist zwar lammfromm seit der Ohrfeige, aber trauen kann er ihr deshalb noch lange nicht.
Einerlei, selbst wenn sie gelogen hat, wird man ihm kaum etwas anhaben können. Die Kapuze, der nach wie vor fallende Regen und das diffuse Licht der gut zwanzig Meter entfernten Straßenlaterne haben ihn praktisch unkenntlich gemacht.
Bornemann ist zu verdutzt gewesen, als dass er mehr als ein schrilles Quieken herausgebracht hätte. Aber er wird sich zum Briefkasten bequemen, der Schrecken, der ihm in die Glieder gefahren ist, war durch die Telefonleitung zu spüren.
Langer hat durch diese nächtliche Aktion einen ganzen Tag gewonnen. Seine Forderungen sind nun schon am Freitagmorgen auf dem Tisch und Bornemann hat deshalb einen zusätzlichen Werktag, um das Lösegeld zu beschaffen. Auch für Bornemann, der viele Millionen besitzt, ist es bestimmt kein Klacks, sich schnell und unbürokratisch anderthalb Millionen Euro in bar zu beschaffen. Langer kalkuliert mit Dienstag oder Mittwoch für die Übergabe des Geldes sowie die anschließende Freilassung der Geisel.
Der Alte ist wohl auf sich allein gestellt, denn ihre Mutter befindet sich nach Brittas Auskunft zu einer Kur in Süddeutschland und wird vor Ende nächster Woche nicht zurück sein. Britta glaubt nicht, dass ihr Stiefvater sie einweihen wird. Der Millionär wird diese Geschichte allein durchziehen, vorgeblich, um seine Frau nicht der Nervenbelastung aussetzen zu wollen; in Wahrheit hat er Angst, dass sie all seine Bemühungen um eine schnelle und lautlose Beilegung der Angelegenheit torpediert. Er wird vermutlich nur seinen Prokuristen einweihen - und natürlich seine Hausbank. Soweit Brittas Meinung, Langer hofft, dass sie damit richtig liegt.
Als er den Wagen anlässt, spürt Langer zum ersten Mal die Müdigkeit, die er bisher leidlich verdrängt hat. Er ist seit mehr als vierzig Stunden auf den Beinen, die meiste Zeit davon in höchster Anspannung. Seine Batterien sind fürs Erste erschöpft. Seine nächste Kontaktaufnahme steht erst am späten Abend an und ist lediglich visueller Natur. Bornemann soll durch ein Zeichen bestätigen, dass er zur Zahlung bereit ist. So lauten die Anweisungen, die er dem Alten in seinem Brief übermittelt hat.
Langer freut sich auf eine heiße Dusche, ein paar Drinks und viel Schlaf. Seinem Gast hat er einen kleinen Fernseher ans Fußende des Bettes gestellt. Zudem gibt es Dutzende von alten Zeitschriften und Taschenbüchern. Nur Arzt- und Liebesromane, aber immerhin. Britta Stern wird sich zu beschäftigen wissen, während ihr Gastgeber sich die dringend benötigte Auszeit nimmt.