Düstere Märchen. Andrea Appelfelder

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Название Düstere Märchen
Автор произведения Andrea Appelfelder
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754177136



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der neben dem Kamin stand. Er blutete stark, sein Kopf schmerzte und er blieb bewusstlos am Boden liegen.

      Gret war gerade auf den Weg vom Markt wieder zurück nach Hause. Um alles für die schräge Stiefmütter von Hensel zu besorgen, hatte er Stunden gebraucht.

      Letztendlich hatte er aber alle Einkäufe erledigt und stand jetzt wieder vor seinem geliebten Zuhause, welches allerdings anders wirkte als noch einige Stunden zuvor. Das Haus schien jegliches Leben verloren zu haben. Es brannte keine Kerze und alles war dunkel und düster.

      Nichtsdestotrotz betrat er das Haus, da er sich um Hensel sorgte. Gretel stellte die Einkäufe in der dunklen und unbeheizten Küche ab, wo nur der Ofen brannte.

      Er blickte sich unbeirrt um und streifte durch das Untergeschoss, wo er versuchte, seinen Freund zu finden. „Hensel, wo bist du?“

      Der Rufende wurde immer panischer und fing an zu schreien, eine Antwort erhielt er schließlich aber nur von einer ihm verhassten Person. Die Hexe stand, wie bei Hensel auch schon, mit ihrer Katze auf dem Arm vor ihm, ihr Gesicht war mit einem Schleier verhüllt und ihr Körper nach vornüber gebeugt. „Schrei nicht so herum, der Junge ist weg.“

      Gret ignorierte sie und rannte ins Wohnzimmer, aus dem sie gekommen war und zum erloschenen Kamin. Dort kniete er sich nieder um einige Blutstropfen auf dem Boden zu finden. Die Hexe stand nun auch wieder hinter ihm. Er drehte sich um und fauchte sie an: „Was hast du ihm angetan?! Er ist unschuldig!“

      Die Frau antwortete nicht. Er griff sie an, schlug auf sie ein, riss ihr im Handgemenge den Schleier vom Gesicht und sprang zum Kamin zurück. Dort angekommen suchte er nach einer Waffe und griff nach einem der Schürhaken, die immer dort standen. Er blickte die Frau wieder, mit der Waffe in der Hand, an und erschrak beim Anblick, welcher sich ihm bot.

      Gret musterte ihr gealtertes, verunstaltetes und vernarbtes Gesicht. „Du bist eine verdammte Hexe! Oh Gott und ich habe es noch nicht mal gemerkt? Ich hatte zwar ein ungutes Gefühl, aber ich dachte, das liegt daran, dass ich eifersüchtig bin, weil du meine Welt, mit deiner Anwesenheit zerstörst.“

      Die Hexe kicherte grell. „Du konntest mich auch nicht erkennen. Durch die Kinder, die ich gegessen habe, konnte ich mein Selbst sehr gut verschleiern. Schade ist nur, dass dein Freund mein Essen freigelassen hat. Jetzt muss ich mir wieder neues züchten, aber keine Angst: Er hat dafür bezahlt. Leider war er zum essen zu alt.“

      Gret war schockiert und dachte, sich verhört zu haben. Sein Hensel, den er liebte, hatte dafür bezahlt, dass er kleine, unschuldige Kinder gerettet hatte? Er hob zornesbleich den Schürhaken und rannte schreiend auf sie zu. „Du hast ihn doch nicht etwa getötet?! Weißt du, ich bin einmal ein Hexenjäger gewesen. Erlernt habe ich das Handwerk von meiner Familie. Vor so vielen Jahren habe ich dieses Leben schon aufgegeben, weil ich irgendwie Mitleid mit den Kreaturen hatte, aber jetzt verstehe ich endlich den Sinn hinter unserer Arbeit.“

      Er stürzte auf sie zu und schlug der Hexe mit dem Eisenhaken ins Gesicht. Die Frau schrie vor Schmerzen auf und ihr Gesicht, mitsamt der Haut und der Augen, begann sich vom Knochen zu schmelzen. Die Hexe floh angsterfüllt vor ihrem Peiniger in Richtung Küche. Sie hätte nicht gedacht, dass er so etwas mit ihr anrichten würde.

      Gret ließ aber nicht locker, er war auf Rache aus, weil er seinen Geliebten Hensel für tot hielt und verfolgte sie in einem schnellen Schritttempo. „Weißt du, wieso sich dein Gesicht auflöst? Du bist eine Kreatur von der finsteren Seite der Welt und hast dich dem Teufel verschrieben. Auch wenn es nun vielleicht etwas spät kommt, Eisen ist eine eurer Schwächen. Solche Wunden heilen bei euch niemals. Selbst wenn du überlebst, wird es dich in alle Ewigkeit als Hexe zeichnen.“

      Die Hexe versuchte ihr Gesicht durch ihre Hände aufrechtzuerhalten, bevor es komplett schmolz aber vergeblich. Sie war verzweifelt und flehte ihn an: „Bitte, ich will noch nicht sterben. Sei nicht mehr so wütend auf mich. Weißt du, dein kleiner Freund, er lebt noch, ich habe ihn im Keller angebunden. Er blutet zwar, aber er lebt. Bitte geh hinunter, befreie ihn und wenn ihr wieder heraufkommt, bin ich weg. Ihr werdet mich nie wieder sehen.“

      Die neue Frau von Hensels Vater hatte sich mittlerweile vor dem geöffneten Ofen geflüchtet. Diesen Ort liebte sie am meisten in diesem Haus, da sie dort ihrer Lieblingsaktivität, dem Backen, nachgehen konnte.

      Gret überlegte ob er sie entfliehen lassen sollte. Er dachte an seine Gründe, die Jagd nicht mehr durchzuführen und blickte in die Unendlichkeit der Flammen, die noch im Ofen loderten: „Wie alt bist du nun eigentlich wirklich und komm uns nicht wieder mit Anfang zwanzig oder Mitte dreißig?“

      Die Hexe rührte sich nicht von der Wärme des Ofen weg: „Zweihundertachtzig!“

      Gret ging auf sie zu. „Du hast dein Leben nur durch unschuldiges, anderes Leben verlängert. Deine Lebenserwartung ist aber eigentlich um mehr als das Vierfache überschritten. Wie viele Kinder mussten für diesen Frevel sterben?“

      Sie antwortete nicht, doch natürlich musste sie das auch nicht, er wollte die Antwort auch gar nicht wissen. Er schritt weiter auf sie zu, rammte ihr den Schürhaken in die Brust und stieß sie mit aller Kraft in den Ofen. Noch während sie erbärmlich aufschrie, schloss er die Ofentür.

      Die Hexe jaulte erbärmlich auf und jammerte um Hilfe. Gretel, der nicht auf sie hören wollte, schloss die Klappe komplett und die Geräusche verstummten mit dem Schließen.

      Der Verursacher beobachtete die Szene noch einige Sekunden und verschwand dann in Windeseile Richtung Keller. Er hoffte inständig, dass diese Frau nicht gelogen hatte.

      Er rief verzweifelt nach seinem Freund und hörte wenige Momente später endlich eine Antwort.

      Er stürmte zum Ursprung und stand auch schon vor ihm. Hensel war an Armen und Beinen gefesselt und blutete am Kopf, aber sonst schien er unversehrt. Gret rannte zu ihm und berührte sein Gesicht. „Oh mein Hensel, du blutest. Bitte Verzeih mir, dass ich deine Bedenken so lange ignoriert und als Träumereien abgetan habe.“

      Hensel lächelte nur gequält: „Das ist alles halb so schlimm, aber könntest du mich bitte losmachen. Ich weiß, was hier unten geschehen ist und bin noch ganz traumatisiert davon.“

      Gret reagierte sofort, befreite Hensel und umfasste seinen Oberarm. Er führte seinen Freund aus dem Keller und noch während das passierte, erzählte er erneut von seiner Familie, die nicht nur einfache Jäger sondern Hexenjäger waren.

      Als sie aus dem Keller wieder herauskamen, warteten schon Hensels Vater und einige junge Männer, die sich für die Taten ihrer Eltern an der Frau des Holzfällers schämten, aus dem naheliegenden Dorf auf sie. Der Vater trat zu seinem Sohn, der von Gret immer noch gestützt wurde. „Mein armer Junge, ich habe alles von unseren Nachbarn gehört und die haben es von den Kindern. Ich bin Schuld, ich habe mich entwickeln lassen. Wo ist die Hexe jetzt?“

      Hensel wusste nichts drauf zu sagen, so sprach Gret für ihn: „Ich habe die Hexe im Ofen verbrannt und Hensel hat die unschuldigen Kinder befreit, die im Keller angebunden waren.“

      Der Vater lächelte: „Das Hensel ein Held ist, wissen wir doch schon längst. Die Kinder haben es uns gesagt. Also ist sie jetzt wirklich tot?“ Gret sah den Vater von Hensel an und nickte. „Die Hexe ist tot, kein Kind muss sich mehr vor ihr fürchten.“

      Einige Wochen waren mittlerweile seit den Ereignissen vergangen, alles hatte sich wieder zur Normalität gewandelt. Während der Vater weiter seinen beruflichen und privaten Alltag pflegte, trainierten die beiden jungen Männer eifrig im Garten.

      Hensel wurde von Gret durch einen gezielten Schlag zu Boden geschickt, richtete sich aber gleich wieder auf um sich auf die Wiese zu setzen: „Gret, du bist immer noch so gut trainiert, wieso hast du eigentlich wirklich aufgehört ein Jäger zu sein?“

      Der ehemalige Jäger setzte sich neben ihn und erklärte: „Weißt du, es ist schon schön ein Held zu sein und die Dankbarkeit der Menschen zu genießen, aber ich wollte damals einfach nur normal sein. Ich wurde siebzehn Jahre lang zum Jäger ausgebildet und beneidete die