was Leiden schafft. Hermann Brünjes

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Название was Leiden schafft
Автор произведения Hermann Brünjes
Жанр Языкознание
Серия Jens Jahnke Krimi
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754185896



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ein Oldtimer, den aufgeweichten Acker zu überqueren. Es hat Erfolg und erreicht tatsächlich den Rand der Senke.

      Direkt neben mir wird es hektisch. Schläuche werden ausgerollt, Kommandos ertönen.

      Der junge Polizist ermahnt mich. Ich soll nicht im Weg herumstehen, sondern zurück zur Straße gehen! Okay, ich ziehe mich zurück. Allerdings interessiert es mich, was die Jungen dort hinten am Kraterrand zu berichten haben. Mindestens zwei Jugendliche sind verletzt abtransportiert worden und einer kannte die jungen Leute dort drüben.

      Als die drei bemerken, dass ich auf sie zukomme, befürchte ich einen Moment, sie laufen davon. Doch einer scheint mich zu kennen. Sie besprechen sich kurz und bleiben stehen. Nun erkenne ich unseren Nachbarsjungen.

      „Dennis. Wie gut, dass du nicht auch verletzt bist!“

      Er senkt den Kopf. Soweit ich weiß ist Dennis vierzehn Jahre alt. Jetzt trägt er nicht die Fußballklamotten oder Jeans mit T-Shirt, in denen ich ihn sonst gesehen habe, sondern so etwas wie Tarnkleidung. Auch die beiden anderen haben olivgrüne und gefleckte Klamotten an. Ich vermute allerdings, es sind keine Original- sondern improvisierte Tarnuniformen. Mir schwant nichts Gutes.

      Ich nicke in Richtung Polizeiwagen an der Straße.

      „Haben die euch schon befragt?“

      Sie schütteln mit dem Kopf. Ich wundere mich, dass sie nicht einfach abgehauen sind und sage das.

      „Wir wollten unsere Kumpels nicht im Stich lassen!“ erklärt Dennis mit leiser Stimme.

      Ich frage, wer die beiden Verletzten sind. Dennis nennt mir ihre Namen.

      „Und was ist passiert?“

      Die Jungen schauen sich gegenseitig an.

      „Es kommt sowieso raus!“ meint Dennis. Die anderen nicken. „Und wenn es in die Zeitung kommt, sollen die Leute wenigstens unsere Version lesen!“ Wieder nicken die zwei jüngeren. Dennis wird von ihnen offenbar als Wortführer anerkannt.

      „Ja, dann erzählt mal.“

      Ich zücke mein Handy und drücke auf Aufnahme. Die Jungen scheint das nicht zu stören und Dennis erzählt mir, was passiert ist. Als ich das Gerät ausschalte, ist mein journalistischer Einstieg nach 14 Tagen Corona-Quarantäne gesichert.

      Ich verzichte darauf, die Jungen zu fotografieren – das datenschutzrechtliche Theater mit den Eltern erspare ich mir. Ein alter Hase wie ich hat keine Lust mehr, sich durch Nebelkerzen ausbremsen zu lassen.

      Etwa zwei Stunden später hole ich mir noch ein paar Fakten und Zahlen zum Feuerwehreinsatz von Enno Diekmann, unserem Brandmeister. Dann schicke ich mein Material an die Redaktion.

      Mittwoch, 2. März

      „Nehmt euch ein Beispiel an Jens! Kaum gesund, liefert er eine Bomben-Story!“

      Florian reibt sich die fleischigen Hände und grinst über das breite Gesicht. Die anderen am Tisch der Redaktionskonferenz, einschließlich mir selbst, wirken nicht besonders fröhlich.

      Steini trägt heute ein T-Shirt mit „99Jahre“ und stilisierter Prinzenmütze, vermutlich ein Symbol des Braunschweiger Karnevalvereins, den er besonders gut findet. Er murmelt etwas vor sich hin. „Der hat die Bomben doch selbst gezündet“. Ich sitze direkt neben ihm, kann mich aber auch irren. Obwohl es zu Steini passt. Er ist permanent neidisch auf die Erfolge anderer.

      Laut sagt er: „Jahnke war ja auch ausgeruht. Wir dagegen mussten seine Arbeit wochenlang mitmachen.“

      Niemand geht auf die Bemerkung unseres Sportreporters ein. Man weiß: Typisch Steini. Der Endvierziger drückt sich gerne vor allzu viel Arbeit und treibt sich am liebsten auf Sportplätzen, in Vereinsheimen und auf feucht-fröhlichen Siegesfeiern herum. Und er klopft gerne Sprüche, besonders hohle.

      Unser Chef Florian Heitmann merkt nun wohl doch, dass sein vermeintliches Kompliment eher kritisch aufgenommen wurde. Schnell schiebt er ein weiteres nach, vermutlich um die Stimmung zu verbessern.

      „Elske, das soll nicht heißen, deine Karneval-Recherche war schlecht. Nein, im Gegenteil! Du hast einen richtig guten Artikel abgeliefert. Aber diese Story mit dem Granatenkrater ist nun mal doch was anderes.“

      Elske ist meine Lieblingskollegin, eine kluge, hübsche und wortgewandte Ostfriesin. Sie ist mit neunundzwanzig die Jüngste in der Runde. Eigentlich ist sie die Öffentlichkeitsbeauftragte der Redaktion, in Notzeiten jedoch arbeitet sie auch als Journalistin – und Notzeiten sind während der nun bereits zwei Jahre anhaltenden Pandemie nicht Ausnahme- sondern Normalzustand.

      Jetzt reagiert Elske auf ihre typisch hintergründige Art.

      „Danke, Chef. Aber du weißt hoffentlich, dass wir alle uns für diese wunderbare Tageszeitung und unseren noch großartigeren Chef immer und leidenschaftlich ins Zeug legen!“

      Florian merkt nichts von ihrer Ironie. Er nickt.

      „Danke Elske, natürlich weiß ich das.“

      Ich nehme Elskes Bemerkung als Vorlage, da ich mich beim Stichwort „leidenschaftlich“ an das gestrige Gespräch mit Maren erinnere. Wir wurden ja durch die Sirene unterbrochen, das Thema finde ich aber bemerkenswert.

      „Chef, ist ja klar, dass ich an der Bombenstory dranbleibe! Da steckt vielleicht sogar mehr dahinter als Kinder, die mit dem Feuer spielen. Aber da ist noch was, etwas hoch Aktuelles jetzt nach dem Karneval. In gewisser Weise hat es auch mit dem durch Bomben verursachten Leid zu tun …“.

      Elske scheint meine Gedanken zu lesen. Sie weiß, dass ich gerne auch christliche Themen in unser Blatt bringe, seit ich mich mit dem Glauben beschäftige. Nun fällt sie mir völlig überraschend ins Wort.

      „… ja Chef, als Theologe ist dir ja klar, dass heute Aschermittwoch ist, oder? Und Steini ist aktives Mitglied im Karnevalsverein. Der weiß sicher auch, was Aschermittwoch bedeutet.“

      Steinis Gesichtsausdruck widerlegt diese Annahme.

      Unser Chef nickt. Hätte ihn jemand anders als Elske auf seine Vergangenheit hin angesprochen, hätte er jetzt abgeblockt.

      Florian Heitmann hat einmal ein paar Semester Theologie studiert. Zu vorgerückter Stunde während einer Betriebsfeier mit ausgesprochen viel Alkohol ist dies einst herausgekommen. Bis heute weiß niemand, warum er sein Studium abgebrochen und statt Pastor dann Journalist geworden ist. Irgendetwas muss passiert sein. Heute jedenfalls ist Florian Heitmann fast zwanghaft ablehnend, wenn es um Kirche und Themen des Glaubens geht. Oder anders ausgedrückt: Er präsentiert sich als leidenschaftlicher Atheist.

      Nun verstehe ich, warum Elske mich unterbrochen hat. Sie will mich unterstützen und weiß, dass Florian ihr so gut wie nichts ausschlägt, selbst religiöse Themen nicht.

      Unser Chef tappt ihr in die Falle.

      „Klar weiß ich das, Elske. Dazu muss man nicht Theologie studieren. Das weiß jeder Jeck!“ Er schaut Steini an und grinst wissend. „Der Aschermittwoch ist der Beginn der Fastenzeit. Da ist Schluss mit lustig. Und wenn du es auch aus meinem Mund noch auf christlich hören willst: Die Kirchen bezeichnen die kommenden 40 Tage bis zum Karfreitag als Passionszeit.“

      Ich juble innerlich. Meine clevere Kollegin erspart mir ätzende Diskussionen und mühsame Überzeugungsarbeit. Ich überlasse die Sache nun lieber gänzlich ihr.

      „Genau, Chef. Das ist eine wichtige Zeit für viele unser Leser und Leserinnen. Du weißt ja, Fasten, Abnehmen, weniger Müll und Konsum, Verzicht wegen Klimaschutz, Konzentration auf das Wesentliche … das interessiert einen Großteil unserer Leserschaft. Was wir Christen Fasten nennen, ist heute ein hoch aktuelles Thema. Und Passion allemal. Leiden, Schmerz und Sterben sind doch an der Tagesordnung. Also Jens hat recht! Das müssen wir in der Passionszeit unbedingt thematisieren.“

      Sie ist großartig. Dabei habe ich noch kein Wort dazu gesagt. Aber ihr sprühendes