Dark World I. Tillmann Wagenhofer

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Название Dark World I
Автор произведения Tillmann Wagenhofer
Жанр Языкознание
Серия Dark World
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750225602



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jedem widersprach und sich nie scheute, nur ihre eigene Meinung zählen zu lassen.

      Giant besaß dagegen für seine elf Jahr bereits eine erstaunliche Selbstkontrolle und Umsicht. Zwar rührte dies auch daher, dass er seit drei Jahren unumstrittener Anführer seiner Jungengruppe war - im Grunde wussten die Ordenslehrer jetzt schon, dass er eine geborene Führungskraft sein würde, Ritter oder gar Paladin.

      Für Maddy galt das nicht. Dabei konnte niemand abstreiten, dass das aufbrausende und kampfeslustige Mädchen zweifelsohne schon jetzt keinen gleichwertigen Gegner in ihrer Gruppe mehr besaß. Nicht einmal, was die meisten Jungengruppen anging, hätte man noch viele gefunden, die es an Wildheit, aber auch an Finesse im Nahkampf mit ihr aufnehmen konnten. Dasselbe galt für den Kampf mit Dolch und Schwert, den Maddy oft wie eine Besessene trainierte. Viele schüttelten den Kopf über die, wie sie sagten, kleine Amazone. Nur der Beichtvater der Mädchen wusste um die Wahrheit, die sie ihm einst unwirsch und nach langen Versuchen anvertraut hatte. Irgendwann hatte sie erfahren, wer sie war. Dass sie nur durch Glück als einjähriges Mädchen überlebt hatte, dass Raider ihre Familie abgeschlachtet hatten. Es hatte in dem zuvor fast schon stillen Mädchen alles verändert. Hier, als Kriegerin des Ordens, war sie fähig, etwas zu verändern, hatte sie dem Beichtvater anvertraut. Sie würde Ritterin werden, die die Ketzer und alles mordgierige Pack der Ödlande, samt den "Verdammten", hinwegfegen, sie austilgen würde. Ihre Ausbilder merkten schnell die Veränderung, die ihnen zunächst aber sehr willkommen war. Das Mädchen, das ihnen vorher beinahe Sorgen gemacht hatte, veränderte sich über wenige Wochen in einen Menschen - obgleich noch ein Kind - der mit unerschütterlicher Entschlossenheit an ein Ziel glaubte. Das Unrecht, die Barbarei zu bekämpfen, im Namen der Kirche des Feuers aus dieser Welt einen Ort zu schaffen, der es wert war, in ihm zu leben.

      Roter Speer lugte vorsichtig über den Rand des Felsenkamms. Seine dunklen Augen verrieten eine gewisse Nervosität, die für den knapp elf Jahre alten Jungen auch nicht weiter verwunderlich war. Denn der junge Tribal, der - alleine und ohne Schutz des Stammes - seine Beute verfolgte, war gerade dabei, einen Teil seiner Initiation zu erfüllen. Es war eine Prüfung, ob er es schaffen konnte, ob er stark genug war für ein Leben hier draußen. Das Werden zu einem Jungkrieger erfolgte schon früh bei den Stämmen, da die Kindersterblichkeit hoch war. Nur die Härtesten - und leider oft genug auch nur jene mit Glück - überlebten in den Ödlanden. Hunger, Krankheiten und Kriege gegen andere Tribes um Futterstellen für die Rinderherden waren nicht selten, auch wenn totale Kriege mit Zerstörungen ganzer Stämme und Zeltdörfer eher selten waren. Dafür sorgten die Schamanen, die - auch im grausamsten Kampf - immer darauf achteten, dass unnötige Brutalitäten wie das Ermorden von Kindern oder gar Vergewaltigungen nicht vorkamen.

      Roter Speer war einer von drei Brüdern, die aus insgesamt acht Kindern - zwei Mädchen und sechs Jungen - das elfte Lebensjahr erreicht hatten. Wie die meisten Tribals war er von dem Glutball des Tages braungebrannt, trug das schwarze Haar lang. Sein Körper wies die eine oder andere Narbe einer Begegnung mit den Gefahren der Ödlande auf, seien es Tiere oder auch die Spuren von härteren Auseinandersetzungen mit anderen Jungen. Er war kräftig gebaut, jedoch besaß er auch - wie es in den Ödlanden unabdingbar war - eine gute Schnelligkeit und Wendigkeit, daher war er wie die meisten Tribal-Krieger kein Muskelberg, sondern eine Mischung aus Kraft und Beweglichkeit. Er war der Jüngste der drei, was bei den Stämmen nicht gerade ein Vorteil war. Schon mit wenigen Jahren hatte er lernen müssen, sich alleine durchzusetzen gegen die Gleichaltrigen. Dies wurde von den Eltern geduldet, da man der Ansicht war, dass nur die Stärksten, die ihren Mann stehen konnten, später überleben würden. Schmerzen zu ertragen, Trauer über den Tod von Geschwistern oder älteren Familienangehörigen, die freiwillig den Marsch in die Öde antraten, um den Jüngeren nicht Nahrung und Platz in den Zelten wegzunehmen, all das gehörte zu der bisweilen erbarmungslosen Lebensweise der Stämme.

      Wieder beobachtete der junge Tribal das Tier, dem er nun schon seit Stunden folgte. Einen Sandbären - ein Männchen, ein alter Einzelgänger, was an den vielen Narben in dem kurzen, erdfarbenen Fell zu sehen war. Sandbären wogen so viel wie zwei ausgewachsene Ecar Equis, hatten Klauen von der Größe von Dolchen und aus ihrem kurzen Maul staken überkreuzte Zahnreihen, die jedes Tier in den Ödlanden binnen Augenblicken würden zerfetzen können. Die roten, tückischen Augen der Bestie, die, wie Roter Speer wusste, weit schneller sein konnte, als es der momentan behäbige Gang vermuten ließ, sah sich zum wiederholten Male misstrauisch um. Das Ungeheuer schnaubte tief und bedrohlich, was dem jungen Tribal einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Indes wusste er, dass der Sandbär ihn nicht entdeckt hatte - weil er ihn noch nicht angegriffen hatte. Sandbären waren Killer, sie zögerten niemals, wenn sie einen Feind erkannten.

      Demnach war das riesige Tier noch arglos. Roter Speer spannte die Muskeln um jenen seiner beiden Wurfspieße, den er in der Rechten hielt. Keine leichte Waffe, wie sie für Springrehe oder auch noch Ecar Lupus geeignet waren - schwere Wurfspeere, die eine lange, aus Knochen oder, falls man es durch Handel erworben hatte, aus Eisen bestehende Spitze mit Widerhaken besaß. Man benötigte Kraft, um eine solche Waffe ins Ziel zu bringen. Kraft, über die Roter Speer, trotz seines geringen Alters, verfügte.

      Das zumindest sagte ihm sein Selbstbewusstsein, das er hier und jetzt dringend nötig hatte. Dennoch sandte er ein Stoßgebet zu dem Herrn allen Lebens, ehe er sich hinter dem kleinen Felskamm erhob, kaum mehr als zwanzig Schritte von der riesigen Bestie entfernt. Sich erheben, den Arm mit dem Speer zurücknehmen und werfen war eins. Der Spieß flog durch die Luft, und in dem Augenblick entdeckte der Sandbär seinen Feind. Die gedankenschnelle Bewegung des Tieres - geradezu erschreckend schnell - sorgte für eine leicht Veränderung in dessen Stand, bevor der Speer einschlug. Er traf nicht den Hals des Tieres, wie beabsichtigt, sondern den wuchtigen Schädel. Keine menschliche Waffe (zumindest nicht in dieser Zeit) hätte durch den massiven Knochen des gewaltigen Ungeheuers dringen können. Und dass der Spieß das rechte Auge traf, aber seitlich im Knochen der Schnauze steckenblieb, war KEIN Vorteil. Denn ein verwundeter Sandbär war wie ein Berserker, den man zusätzlich unter Kampfdrogen gesetzt hatte - er stieß ein Brüllen aus, das selbst einen Großwildjäger der Alten hätte weinend davonlaufen lassen, während Geifer aus dem aufgerissenen Maul spritzte. Ohne zu zögern griff die Bestie an, raste förmlich auf den jungen Tribal zu.

      Der fühlte, wie er die Kontrolle über seine Blase verlor, nahm aber dennoch seinen zweiten Speer, niemand musste ihm sagen, dass ihm nur noch ein einziger Atemzug blieb - dann würde er seine Großeltern wiedersehen, die ihn als Kind immer ein wenig verwöhnt hatten, vielleicht, weil sie ihn als Jüngsten am meisten mochten. Roter Speer sandte den zweiten Spieß auf die Reise, direkt dem viele hundert Kilo schweren, heranrasenden Tod auf vier Beinen entgegen. Der Sandbär setzte schon zum letzten Sprung an, als der Spieß eintraf. Roter Speer warf sich zur Seite, denn egal, ob getroffen oder nicht, das Tier würde so oder so nicht mehr anhalten. Wenn ich nicht getroffen habe, wird es schnell gehen, schoss es ihm durch den Kopf, als er sich abrollte und hinter sich das Aufkommen einer großen Masse hörte.

      Roter Speer kam wieder auf die Füße und zog sein Knochenschwert - eine höchst unwirksame Waffe gegen ein Raubtier dieser Größe, aber eine Wahl gab es nicht. Der Sandbär war da, wo er eben noch gestanden war, zum Stillstand gekommen, so dass der junge Tribal ihn von der Seite betrachten konnte. Beim Anblick der monströsen Klauen und der Zähne, die seitlich aus dem Maul ragten, musste Roter Speer schlucken. Dann geschah es: Der Sandbär wandte sich um, langsam, so als wolle er die Qual seines Feindes, den er gleich zerfetzen würde, noch in die Länge ziehen. Zumindest kam Roter Speer dieser eigentlich absurde Gedanken, während er darauf wartete, dass das Tier sich auf ihn stürzte. Nur tat es das nicht. Erst, als es ihm seinen gewaltigen Kopf zuwandte, konnte er auch den Grund dafür sehen: Der zweite Spieß steckte direkt in dem weit aufgerissenen Maul - und das ziemlich tief. Roter Speer klappte der Mund auf, als er den Blutstrom bemerkte, der dem Sandbären aus dem Maul lief. Rot wie sein eigenes erinnerte es den Tribal daran, dass dies hier nicht sein Feind war - sondern ein Teil der Ewigen Lande, die die Eisenmenschen so ignorant "Ödlande" nannten. Wie er war auch dieses Tier nur ein Jäger, der überleben wollte. Er näherte sich dem sterbenden Tier nicht - nur ein unvorsichtiger Narr hätte das getan - aber als der Sandbär zusammenbrach, sah Roter Speer ihm in die roten Augen, aus denen die Wildheit und Kampfeslust gewichen waren. "Kehre heim zu unser aller Erschaffer...heim auf die Himmelswiesen", flüsterte der