Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring

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Название Mythos, Pathos und Ethos
Автор произведения Thomas Häring
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738030754



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denn falsch gemacht hätten, dabei bräuchten sie oft nur in den Spiegel, also nicht in das Magazin, sondern in den echten schauen, dann wüßten sie es sofort.

      Eine Krise bedeutet ja immer auch eine Chance auf einen Neuanfang. Wie das bei meiner Geburt am 25.09.1913 gewesen war, weiß ich leider nicht genau. Die Begeisterung hielt sich vermutlich in Grenzen, wenngleich es sich ja bei mir vermutlich um ein Weihnachtsgeschenk gehandelt haben mußte. Wie, Sie verstehen nicht? Ganz einfach: Meinen Berechnungen zufolge wurde ich am 24. oder 25.12.1912 gezeugt, also jedenfalls ziemlich sicher zur Weihnachtszeit, denn ich war keine Frühgeburt und kam auch nicht zu spät, weshalb mich das Leben nicht bestrafte. Wie dem auch sei, entweder war ich das Weihnachtsgeschenk meines Vaters an meine Mutter, der mit ihr schlief, weil er vergessen hatte, ihr ein Weihnachtsgeschenk zu kaufen oder es war umgekehrt und sie entschuldigte sich für ihr Versäumnis mit der Erlaubnis eines Quickies. Womöglich war auch Alkohol im Spiel, der sie erst in Stimmung brachte, im Endeffekt spielt es überhaupt keine Rolle und ich will es auch nicht wirklich wissen. Über das Jahr 1913, das ich überwiegend in meiner geschützten Höhle verbracht habe, brauche ich Ihnen nicht viel mitzuteilen, lesen sie dafür einfach den Roman "1913" von Fabian Billies, dann wissen Sie schon Bescheid. Jedenfalls begann im Jahre 1914 der Erste Weltkrieg, für die Leute damals war es einfach nur "der Weltkrieg", denn wenn die gewußt hätten, daß gut 20 Jahre nach dem Ende des Ersten auch schon gleich der Zweite folgen würde, dann wären sie höchstwahrscheinlich nicht so euphorisch in die Schlacht gezogen. Man hatte es seinerzeit mit lauter aufstrebenden Nationen zu tun, unter ihnen viele imperialistische Kolonisten, welche sich die Welt untertan machen wollten. Außerdem gab es jede Menge junge Männer, die sich auf die große Prügelei freuten, denn das war doch mal was Anderes als das stinknormale, langweilige Leben in Friedenszeiten. Mein Vater wurde ebenfalls eingezogen und kehrte nie mehr zurück. Später hieß es immer, er wäre "im Krieg geblieben", was ich als Kind natürlich noch nicht so verstanden habe, wie es eigentlich gemeint war. Später erklärte man mir dann, das hieße tatsächlich, er wäre auf dem Schlachtfeld gestorben, was mich traurig und stolz zugleich machte. Doch je älter ich wurde, desto mehr beschlichen mich die Zweifel, ob nicht doch meine erste Interpretation die richtige gewesen wäre. Nein, ich behaupte damit nicht, er hätte nicht genug vom Krieg bekommen und wäre im Krieg geblieben, um nie wieder nach Hause zu seiner nörgelnden Ehefrau und dem kleinen Schreihals, der ich damals war, zurückkommen zu müssen, aber ich konnte mir gut vorstellen, daß er irgendwo eine nette Frau gefunden und mit jener eine Familie gegründet hatte. Meiner Mutter erzählte ich selbstverständlich nichts von meiner Theorie, für sie war es besser zu glauben, er wäre im Krieg gefallen und nicht mehr aufgestanden.

      Na ja, jedenfalls war ich ab 1914 der Mann im Haus und errichtete eine Schreckensherrschaft, an die ich mich leider überhaupt nicht mehr erinnern kann. Angeblich hatten wir in jenen Jahren des Ersten Weltkriegs wenig zu essen und meine Mutter dachte viel an ihren Mann, aber das war es dann auch schon gewesen. 1918 hatte der Spuk schließlich ein Ende und der König mußte abdanken, mit ihm gleich die ganze Monarchie noch dazu. Ja, Verlierer waren nun mal nicht gern gesehen, auch nicht im deutschen Volk und weil es da im Osten bei den Russen eine kommunistische Revolution gegeben hatte, drohte dem Deutschen Reich ein ähnliches Schicksal. Die Räterepublik hatte allerdings nur eine äußerst kurze Lebenszeit, man kann ja heutzutage kaum glauben, daß es die erste davon auf deutschem Boden ausgerechnet in Bayern gegeben hat, aber dann kam die Zeit der Weimarer Republik, mit dem ersten Versuch einer Demokratie, in der jede Partei, die von irgendwem gewählt wurde, Abgeordnete in den Reichstag schicken konnte und durfte. Das führte zu schwierigen Regierungsbildungen, unzähligen Kompromissen und einem großen Durcheinander. Und genauso wie sich die Bayern nach dem Chaos-Jahr mit Zuber und Blackschein an der Spitze der CSU wieder klare Verhältnisse wünschten, die sie dann in der Wahl Feehoffers manifestierten, so sehnten sich die meisten Deutschen recht schnell wieder nach einem König und da jene Zeit halt mal vorbei war, wenigstens nach einem Führer, einem Alleinherrscher, der bestimmte, wohin die Reise gehen sollte. Ich für meinen Teil wuchs heran, bekam so einiges mit, mußte natürlich in die Schule wie alle anderen auch und erkannte recht schnell, daß sich die Jugendlichen und jungen Leute nach etwas Neuem sehnten. Als dann irgendwann die NSDAP mit ihrem Anführer Adolf Hitler auf der Bildfläche erschien, waren viele von uns begeistert, ich zähle mich auch dazu. Der Mann hatte Feuer in sich, der redete nicht lange um den heißen Brei herum, sondern nannte die Dinge direkt beim Namen. Er erzählte von der Dolchstoßlegende, schimpfte über den Schandfrieden von Versailles und appellierte an das deutsche Volk, wieder aufzustehen, sich zu erheben und ein weiteres Mal zu der großen, starken und stolzen Nation zu werden, welche das arische Blut, das angeblich in unseren Adern floß, Herrenmenschen die wir laut ihm nun mal waren, wieder freudig pulsieren ließ. Hitler wurde schnell bekannt, berühmt und berüchtigt, ich zählte bereits als 18jähriger zu seinen großen Fans. Schon bemerkenswert, daß uns ausgerechnet ein Österreicher wieder aufbauen und motivieren mußte, andererseits war es ja auch bei Fußballmannschaften oft so, daß ein ausländischer Trainer mehr bewirkte als ein Landsmann, woran auch immer das liegen mochte. Wir fühlten uns wie neugeboren, viele jungen Leute wurden arisch-repressiv und wünschten sich, daß jener böhmische Gefreite, als der er des Öfteren bezeichnet worden war, die Macht ergriff. 1923 hatte er es mal mit einem Putsch versucht gehabt, was an mir als Zehnjährigem ziemlich unbemerkt vorbeigegangen war und daran erinnerte mich meine Mutter immer wieder gerne, wenn ich mal wieder zu sehr von meinem großen Idol schwärmte. Ich tat das als läßliche Jugendsünde ab und ging nicht weiter darauf ein. Schließlich waren wir Jungen die Zukunft des Landes und wenn wir den Hitler zu unserem Reichskanzler machen wollten, dann war das unser gutes Recht, der alte Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte ja immer nur so Nieten als Kanzler eingesetzt gehabt, die allesamt schon nach wenigen Monaten mit ihrem Deutsch am Ende gewesen waren. Hitler kam, sah und siegte, mit ihm feierte auch die Farbe Braun eine glorreiche Wiederkehr und das nicht ohne Grund. In Braunau am Inn war der Führer schließlich am 20.04.1889 geboren worden, vom chinesischen Sternzeichen her betrachtet ein Büffel, genau wie ich. In den Braunhemden marschierte die Hitlerjugend genauso wie die Parteiführung der NSDAP, seine Freundin hieß Eva Braun, was von uns aber niemand wußte, in Braunschweig bekam er eine Stelle in einem Amt und damit die deutsche Staatsbürgerschaft, ohne die er nicht deutscher Reichskanzler werden hätte können und Braunschlag war die beste österreichische Serie seit Jahren. Entschuldigung, manchmal vermische ich Vergangenheit und Gegenwart, das kommt in meinem Alter leider öfter mal vor. Jedenfalls war Braun die Farbe der Stunde, sehr erdig und wir Jungen fühlten uns wohl. Den Tag der Machtergreifung, den 30.01.1933, feierte ich mit meinen Kameraden, wir soffen bis zum Morgengrauen und kotzten dann in die Büsche. Wir fühlten uns unbesiegbar und glaubten an die Wiederauferstehung des deutschen Volkes sowie an unseren Sieg über seine Feinde. Na ja, es ging alles ganz verheißungsvoll los, auch wenn die Leute von der SA ständig nervten und ebenfalls lukrative Posten ergattern wollten. Ich selber war ja anfangs auch in der SA gewesen, doch irgendwann hatte ich gemerkt, daß der Führer höchstpersönlich mit den alten Kameraden, welche für die Bewegung in den Straßenschlachten den Kopf hingehalten hatten, nicht mehr sonderlich viel anfangen konnte und so wandte auch ich mich von meinen alten Freunden langsam ab und suchte mir bessere Gesellschaft. Zugegeben, ich war durchaus schockiert, als die alten Kameraden im Sommer 1934 massenweise hingerichtet wurden, aber andererseits störte es mich auch nicht sonderlich, denn irgendwie waren die ein Relikt aus alten Zeiten, welches man in der Zukunft nicht mehr brauchen würde. Die meisten Leute in Deutschland sahen das ähnlich, viele lobten den Führer für seine Entschlossenheit und der machte munter weiter. Das ganze historische Zeug, Reichstagsbrand, Notverordnungen, Ermächtigungsgesetz und so weiter dürfte ja hinlänglich bekannt sein, von daher werde ich mich lieber auf meine eigene Lebensgeschichte konzentrieren. Apropos Konzentration: Von den Lagern wußten die meisten Deutschen wirklich nichts, also das KZ Dachau war schon bekannt, aber da dorthin ja nur Andersdenkende sowie Andersartige gebracht wurden, machte sich unsereins darüber keine großen Gedanken. Wir bejubelten viel lieber den Führer beim Reichsparteitag in Nürnberg, lasen voller Begeisterung den "Stürmer" und freuten uns darüber, daß der Hitler von einem Erfolg zum nächsten eilte. Bevor er damit anfing, die Juden auszurotten, tat er dasselbe mit der Arbeitslosigkeit, was ihn noch beliebter machte. Er war ein politisches Genie, das stand für uns als seine überzeugten Anhänger völlig außer Frage und die paar Kritiker, Besserwisser und Dauernörgler ignorierten wir entweder oder denunzierten sie bei der Gestapo, wenn