Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring

Читать онлайн.
Название Mythos, Pathos und Ethos
Автор произведения Thomas Häring
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738030754



Скачать книгу

wollten und die Grünen wiederum mit der Schwampel (schwarze Ampel oder Jamaika-Koalition = CDU/CSU, FDP und Grüne) nichts anfangen konnten, lief alles auf eine Große Koalition von Union und SPD hinaus. Hatten die Wähler das gewollt?

      Davon ist schwer auszugehen. Rot-Grün wollten die Menschen nicht länger als Regierung haben, Schwarz-Gelb auch, beziehungsweise noch nicht. Von daher blieb nur die Große Koalition übrig, so einfach war das manchmal im Leben.

      Die SPD freute sich ohne Ende, denn sie war auferstanden aus Meinungsumfragenruinen und hätte beinahe noch die Union überholt, man hatte wirklich alles rausgeholt, was überhaupt möglich gewesen war. Die Grünen waren ebenfalls zufrieden, mit 8,1 Prozent der Stimmen hatten sie sich wacker geschlagen und die Linken waren mit 8,7 % souverän in den Bundestag eingezogen, hatten sowohl Schwarz-Gelb als auch Rot-Grün verhindert und konnten davon ausgehen, bei den nächsten Wahlen weiter zuzulegen, sofern es im Bund zu einer Koalition aus Union und SPD kam, was als ziemlich wahrscheinlich galt.

      Nur in Bayern war mal wieder eine Welt zusammengebrochen. Die CSU hatte ihr Wahlziel 50 plus X nicht erreicht, es waren gerade mal 49,3 % geworden und das sorgte schon für Fassungslosigkeit sowie Kopfschütteln in den eigenen Reihen. Sträuber bekam eine Mitschuld aufgebürdet, doch davon wollte Meister Ege selbstverständlich überhaupt nichts wissen. Er verwies auf die schwachen CDU-Wahlergebnisse in den ganzen anderen Bundesländern und hob hervor, daß die CSU zehn Prozent vor der zweitplatzierten CDU aus Baden-Württemberg und fast 30 Prozent vor der Brandenburger CDU, welche unionsintern auf dem letzten Platz gelandet war, lag. Leihstimmen an die FDP hätten den Ausschlag für das eigene bescheidene Wahlergebnis gegeben, hieß die offizielle Sprachregelung, diese unverschämten taktischen Wähler hatten der großen Bayernpartei mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wenn man ganz ehrlich war, dann mußte man durchaus zugeben, daß jene Erklärung ziemlich schlüssig daherkam. Eine Gerkel konnte halt als Kanzlerkandidatin nicht so mobilisieren wie ein Sträuber, das hatte man ohnehin schon vorher gewußt gehabt und war nun eindrucksvoll bestätigt worden. Aber bitter war es für die CSU-Granden schon, daß die eigene Partei mit 7,4 % der Stimmen bundesweit auf dem letzten Platz aller im Parlament vertretenen Parteien gelandet war. Nichtsdestotrotz tat Sträuber so, als wolle er dennoch als Minister nach Berlin gehen und es gab viele Leute in der CSU, die ihn so schnell wie möglich aus Bayern draußen haben wollten und wenn er als "Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium" landen würde, Hauptsache er verzog sich endlich.

      Schräder hatte in der "Elefantenrunde" am Wahlabend einen großen Auftritt hingelegt gehabt, er hatte die Medien und die Demoskopen kritisiert und klargemacht, daß er deutscher Bundeskanzler bleiben wolle und werde. Andrea Gerkel sah aus wie eine Frau, die gerade noch dem Tod von der Schippe gesprungen war und Guildo Festerbelle hatte dieses zufrieden dämliche Grinsen im Gesicht, das so viele Aggressionen in der Bevölkerung hervorrief. Schräder rüpelte und bluffte, er glaubte wirklich noch an seine Chance, die anderen Teilnehmer der Runde hielten sich eher zurück und so hatten die Leute in Deutschland am nächsten Tag so einiges, worüber sie ausführlich diskutieren konnten, wenn sie denn wollten. Ungläubiges Staunen, made in Germany.

      Bernd und sein Außenminister trafen ein letztes Mal im Kanzleramt aufeinander. "Hallo Ansgar, alte Mischerhaut, na, das Wahlergebnis gut überstanden?" erkundigte sich Schräder gönnerhaft. "Ich glaube schon. Erst einmal Glückwunsch zu Deiner furiosen Aufholjagd, schade, daß es nicht ganz gereicht hat, aber jetzt kommt es wenigstens nicht mehr auf diese Nachwahl in Dresden an, weshalb ich endlich Urlaub machen kann. Ich wollte mich nur noch von Dir verabschieden, weil ich mich jetzt aus der Politik zurückziehen werde", erklärte der Grüne. "Ach, tatsächlich, na ja, irgendwie kann ich das schon nachvollziehen, wieder in die Opposition gehen macht ja auch keinen Sinn, wenn man sieben Jahre lang Minister gewesen ist." "Absolut. Und was wird aus Dir?" "Keine Ahnung. Meine Sozialdemokraten sind ja so was von stolz auf mich und dermaßen begeistert von unserem Wahlergebnis, daß die mich auf der Stelle zu ihrem König krönen würden, wenn sie nur könnten." "Das freut mich, aber perspektivisch betrachtet wird es ja wohl doch eine Große Koalition werden." "Das wissen wir doch alle, aber wir werden für die SPD so viel rausholen, wie nur irgend möglich." "Das kann ich mir gut vorstellen. Na dann, viel Erfolg und alles Gute." "Dir auch, alter Freund."

      Weniger freundschaftlich ging es im Hause Sträuber zu. Egmont wütete und giftete in einer Tour, er lief die ganze Zeit unruhig im Haus herum, bis er einmal fast versehentlich mit seiner Frau zusammengestoßen wäre, weshalb ihn jene fragte: "Was ist los mit Dir?" "Ach, die blöde Gerkel hat alles vermasselt. Da verliert die genau die gut drei Prozent, die ich vor drei Jahren dazu gewonnen hatte und dann wird die für so ein miserables Wahlergebnis wahrscheinlich auch noch mit der Kanzlerinnenschaft belohnt. Das Leben ist einfach nicht fair." "Aber freu Dich doch, daß Deine Union endlich wieder an der Regierung ist." "Na toll, zusammen mit den Sozen, etwas Schlimmeres gibt es eigentlich gar nicht, außer natürlich mit den Linken. Und was soll ich jetzt machen?" "Wie wäre es denn mit den Tisch decken?" "Sehr witzig, Kathrin, wirklich sehr witzig. Nachdem die CSU nicht mal 50 Prozent in Bayern erreicht hat, kann ich in den Koalitionsverhandlungen auch nicht auftrumpfen. Diese blöden Diebe von der FDP! Haben überhaupt keine Inhalte und Konzepte, aber fleißig Stimmen klauen, das können sie, diese neoliberalen Schleimscheißer!" "Und ich dachte immer, die von der FDP wären Eure Freunde." "Das hatte ich bislang auch geglaubt gehabt, aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Was mache ich nur? Was mache ich nur?" "Du machst noch Löcher in den Teppich, wenn Du hier dauernd so herumläufst wie ein Huhn, dem sie den Kopf abgeschlagen haben." "Genau so fühle ich mich aber auch. Geh, Kathrin, laß mich allein, ich muß nachdenken." "Sagst Du heute denn gar nicht "Muschi" zu mir?" "Nein danke, mir ist heute nicht nach Gerkeleien, äh, Ferkeleien. Ein andermal wieder." Sie ging ihrer Wege und er grübelte stundenlang weiter im Kreis herum.

      21./22./23.09.2005: Die beiden großen Volksparteien hatten nicht lange gezögert, sondern sogleich vollendete Tatsachen geschaffen. Sowohl Gerkel als als auch Mützewirsing wurden jeweils als Fraktionsvorsitzende in ihren Ämtern bestätigt, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wer Herr, beziehungsweise Frau, im eigenen Hause war. Das war durchaus bemerkenswert, schließlich stand ja noch die Nachwahl in Dresden an. Natürlich war die Stimmung bei der SPD wesentlich besser als bei der Union, doch unabhängig davon war jene die stärkste Partei geworden. Genau das aber zweifelten die Sozialdemokraten auf einmal an, indem sie darauf verwiesen, daß es sich bei CDU und CSU um zwei verschiedene Parteien handele, die sich zwar im Bundestag zu einer Fraktion zusammenschlössen, was ihnen ein Gesetz aus dem Jahre 1969 ermöglichte, aber demzufolge würde die SPD die stärkste Fraktion im Bundestag stellen. Jenes Manöver war natürlich leicht durchschaubar, zielte es doch in allererster Linie darauf, sowohl den Posten des Bundeskanzlers als auch den des Bundestagspräsidenten für sich beanspruchen zu können. Auf den Trick fiel verständlicherweise niemand herein und so ruderten die SPDler, die sich kurzzeitig als schlechte Verlierer sowie "Asozialdemokraten" präsentiert hatten, schnell wieder zurück. Es hatte sich bei der ganzen Geschichte noch einmal um jene Art von Muskelspielen gehandelt gehabt, mit denen Bundeskanzler Schräder bereits am Wahlabend unangenehm aufgefallen war. Jedoch gab es auch in der SPD Stimmen der Vernunft, wie etwa die des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Lowereit, der sich eine Große Koalition, ohne Schräder und unter Gerkel, durchaus vorstellen konnte. Schließlich ging aus dem Wahlergebnis zweifelsfrei hervor, daß CDU/CSU mehr Stimmen bekommen hatten als die SPD und schön langsam hielt jene Realität auch in den Köpfen der Beteiligten Einzug, auch wenn es vielen nicht recht paßte.

      Die FDP befand sich in einer denkwürdigen, ziemlich beschissenen Lage. Man hatte zwar ein tolles Ergebnis erzielt gehabt, doch dafür konnte man sich auch nichts kaufen, weil es für Schwarz-Gelb bekanntlich nicht reichte. Bei etlichen Liberalen reichte es wenigstens noch für Schwarzgeld, das war zwar nur ein schwacher Trost, aber immerhin. Guildo Festerbelle erwies sich einmal mehr als der unsympathische Autist, der sich die Welt so bastelte, wie sie ihm gefiel. Das Wahlergebnis ebenso ignorierend wie etliche Sozialdemokraten, wollte er eine Art Koalitionspapier von FDP und Union vorlegen, in der Hoffnung, die Grünen würden dem zustimmen und daraufhin das Dreier- (beziehungsweise Vierer-) Bündnis (kam ganz darauf an, ob man die CSU als eigenständige Partei betrachtete oder nicht) mit der Union und den neoliberalen Wirtschaftsarschkriechern wagen. Außerdem griff Guildo nach dem Fraktionsvorsitz, den bislang noch Wilfried