Die Legende vom weißen Elefanten. Auguste de Villiers de l'Isle-Adam

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Название Die Legende vom weißen Elefanten
Автор произведения Auguste de Villiers de l'Isle-Adam
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754185582



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natürlich, in dem es so kühl ist, daß meine arme Chloe und ich unsere Nachmittage damit verbringen, vor Kälte zu zittern?«

      »Es ist wahr, daß wir heuer keinen allzu warmen Sommer haben«, meinte Herr C... »Nun denn, so hebt euere Blicke himmelwärts, euch bleibt der weite, unberührte Himmel.«

      »Ein unberührter, reiner Himmel, in dem den ganzen Tag über Schwärme von Luftballons voll aufgeklärter Herren kreuzen? nein, ein solcher Himmel ist nicht mehr natürlich, lieber Fremdling.«

      »Aber – des Nachts, beim Schein des Mondes und der Sterne, beim Gesang der Nachtigall könnt ihr vergessen ...«

      »Aber,« murmelte Daphnis, »nachts durchschneiden unzählige, vom Schießplatze ausgehende elektrische Strahlen die Luft und beeinträchtigen sowohl den Glanz der Sterne als auch den schönen, über dem Walde ruhenden Mondschein. Die Nacht ... ist nicht mehr natürlich.«

      »Was die Nachtigallen betrifft,« seufzte Chloe, »so hat das fortwährende Pfeifen und der Lärm der Züge von Melun sie verscheucht, hier gibt es keine Nachtigallen mehr, lieber Fremdling.«

      »O,« rief Herr C... »Seid ihr nicht allzu empfindlich? Wenn ihr das Natürliche so über alles liebt, warum habt ihr euch dann nicht am Ufer des Meeres niedergelassen? Das Geräusch der am Strande zerschellenden Wogen ... die Sturmtage ...« »Das Meer, lieber Fremdling,« sagte Daphnis, »meinen Sie wirklich, wir wüßten es nicht, daß ein unterseeisches Kabel hindurchgelegt ist. Wie Sie wissen, genügt es, ein paar Tonnen Öl hineinzuschütten, um den höchsten Wellengang in beinahe meilenweitem Umkreis zu beruhigen. Was die Blitze seiner Stürme betrifft, so können uns diese nicht mehr imponieren, seit ich weiß, daß man sie in einer Flasche aus einem Papierdrachen herabsenden kann.

      Nein, sehen Sie, das Meer erscheint uns heutzutage durchaus nicht mehr ... so natürlich.«

      »Auf jeden Fall,« sagte Herr C..., »bleiben uns die Berge, in denen der Sammlung bedürftige Seelen einen stillen friedlichen Aufenthalt ...«

      »Die Berge?« antwortete Daphnis. »Welche Berge meinen Sie? Die Alpen zum Beispiel? Den Mont Cenis? Mit seiner Eisenbahn, die wie eine Ratte daran herauf- und herunterläuft und alles mit Lärm und häßlichem Rauch erfüllt, und die hübschesten, früher mit üppigem Grün bedeckten Plateaus verödet. Expreßzüge und Zahnradbahnen, die unausgesetzt die höchsten Berge unsicher machen, rauben ihnen jede Poesie ... Nein, nein, diese Berge sind wirklich nicht mehr ... natürlich.«

      Einen Augenblick schwiegen alle.

      Dann ergriff Herr C..., der neugierig war, wie weit die Paradoxen dieser beiden schwärmerischen Verehrer der Natur gehen würden, wieder das Wort: »Dann sagen Sie mir doch, junger Mann, was Sie zu tun beabsichtigen?«

      »Aber ... natürlich, wir werden darauf verzichten,« rief Daphnis, »wir werden der allgemeinen Bewegung folgen, leben wie die andern. Werden zum Beispiel uns ganz der Politik widmen, das bringt viel ein.«

      Bei diesen Worten vermochte Herr C... kaum das Lachen zu unterdrücken, er sah sich die beiden jungen Leutchen an.

      »Ach, wirklich,« sagte er. »Und dürfte ich vielleicht ohne unbescheiden zu sein, mir die Frage erlauben, welcher politischen Partei Sie sich anschließen würden, Herr Daphnis?«

      »O,« antwortete Chloe statt seiner ruhig und immer in ihrer sanft dozierenden Art sprechend. »Da Daphnis in sich selbst die Partei der ländlichen Unzufriedenen repräsentiert, habe ich ihm geraten, sich auf gut Glück in dem Wahlkreis dieses Landes als Kandidat zu melden, der geistig am beschränktesten ist. Was gehört denn heute dazu, um die Majorität der Wähler für sich zu gewinnen und das Mandat eines Abgeordneten zu erringen? Vor allen Dingen darf man kein gutes Buch geschrieben haben oder vorhaben, eines zu schreiben; dann darf man kein Talent haben, gleichviel zu welcher Kunst; man muß sich den Anschein zu geben wissen, als verachte man überhaupt alle Schöpfungen der Intelligenz, darf nur in protegierendem Tone mit zerstreutem, gleichgültigen Lächeln von solchen Dingen reden; man muß es verstehen, selbst nach jeder Richtung hin den Eindruck einer gesunden Mittelmäßigkeit zu machen; man muß wohlgemut mit den dreihundert Kollegen täglich die Zeit totzuschlagen wissen, sei es, indem man auf Kommando seine Stimme abgibt, sei es, daß einer den andern davon überzeugt, daß man im Grunde eine Gesellschaft von traurigen Schwätzern ist, die mit sehr wenigen Ausnahmen ebenso parteiisch wie bestechlich sind; – abends kaut man dann an seinem Zahnstocher herum, läßt das Auge gleichgültig über die Menge gleiten und murmelt: Bah! Das wird sich alles machen lassen! Alles wird gemacht. Habe ich nicht recht und sind das nicht Eigenschaften, die die Wähler unbedingt von ihrem Abgeordneten erwarten? Ist man aber erst gewählt, dann bekommt man neuntausend Franken Gehalt, ohne all das, was drum und dran hängt, denn die Regierung zahlt nicht nur mit schönen Worten. Man hat Gelegenheit, seiner lieben kleinen Chloe die Erlaubnis zu verschaffen, ein oder zwei Tabakläden zu eröffnen ... Ich finde, daß all das gar nicht so übel ist, außerdem ist es ein leichter Beruf ... Warum solltest du es nicht versuchen, Daphnis?«

      »Nun,« meinte Daphnis, »ich sage auch nicht nein. Es gehört zu einer solchen Sache natürlich viel Reklame und andre nicht grade angenehme Schritte, aber wenn es sein müßte, ließe sich der Widerwillen vor solchen Dingen schon überwinden. Wenn es sich übrigens darum handelt, sich zu einer politischen Meinung zu bekennen, lieber Fremdling, so ist die eine so gut wie die andre – werfen wir alle in Ihren runden Hut und ziehen Sie auf das Geratewohl eine für mich heraus ... Sie haben gewiß eine glückliche Hand, ich fühle das, ich wette darauf, daß Sie die beste für mich ziehen würden, diejenige, die, wie man so sagt, der Schlüssel des Spieles ist.

      »Außerdem bin ich der Ansicht, daß, wenn mir später eine andere besser gefallen sollte, oder mir vorteilhafter erscheinen sollte, so würde ich mir bei dem geringen Werte, den politische Meinungen haben, gar nichts daraus machen, sie zu wechseln. In unserm Jahrhundert sind Überzeugungen – nicht mehr natürlich.«

      Als aufgeklärter und leutseliger Mann ließ Herr C... sich herab, über diese Paradoxen zu lächeln, da er sie mit dem jugendlichen Alter dieser beiden Originale entschuldigte.

      »Wirklich Herr Daphnis,« sagte er lächelnd, »Sie könnten die Partei des loyalen Zynismus vertreten und unter solchem Titel viele Stimmen für sich gewinnen.

      »Außerdem«, nahm Chloe das Wort, »las ich in dem Zeitungsblatt, in dem heute morgen unser Käse verpackt gewesen ist, daß man in mehreren Wahlkreisen nach einer passenden Persönlichkeit sucht, um das Gleichgewicht gegen den Einfluß eines gewissen Generals herzustellen, für den ein großer Teil des Publikums ja allerdings übertrieben eingenommen ist, der ein Deputierter nach der Mode ist und dessen Politik ...«

      »Ein General sagst du, Chloe? ...« unterbrach sie Daphnis erstaunt, »ein General ... der in Politik macht ... und der Deputierter ist ... Das ist doch gewiß kein natürlicher General.«

      »Nein,« sagte Herr C..., diesmal in viel ernsterem Tone, »aber kommen wir zum Schlusse, meine jungen Freunde. Eure jugendliche Freimütigkeit ist allerdings etwas bizarr, aber sie ist liebenswürdig, und sie hat mein Herz gewonnen. Ich will mich euch daher zu erkennen geben. Ich bin das aktuelle Oberhaupt des französischen Staates, dessen, vielleicht ein wenig zu spöttische Bürger ihr seid. Also, Herr Daphnis, ich nehme Notiz von Ihrer zukünftigen Kandidatur ...«

      Seinen Rock ein wenig öffnend, ließ Herr C... das zwischen der Weste und dem tadellos weißen steifen Hemde befindliche Stück roten Moirébandes sehen, das auf seinen Porträts so gut aussieht und keinen Zweifel an der hohen Stellung seines Trägers zuläßt – dies Stück Band ersetzt die Krone.

      »Was? Der König!« riefen gleichzeitig Daphnis und Chloe erstaunt aufspringend und sich dann verneigend.

      »Aber, ihr lieben jungen Leute,« sagte jetzt ziemlich kühl Herr C..., »wir haben in Frankreich keinen König mehr, indessen ich habe die Macht eines Königs ... obgleich –« »Ich verstehe,« murmelte Daphnis teilnahmsvoll, »Sie sind ... kein ... natürlicher König.«

      »Ich habe aber wenigstens die Ehre, Präsident einer Republik zu sein,« antwortete trocken Herr C..., sich erhebend.

      Daphnis