Mord aus kühlem Grund. Achim Kaul

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Название Mord aus kühlem Grund
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750231757



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eine Bassstimme. Fred drehte sich wütend um. »Mensch, du bist ja gar nicht Elvis«, kam es seelenruhig von einem schwarzhaarigen Riesen im roten Bademantel. Fred funkelte ihn an.

      »Der Elvis, den ick kenne, schwitzt schon seit een paar Jährchen in ’ner anderen Hölle. Noch nüscht mitbekommen?«, knurrte er, zog das Handtuch langsam von seinem Rücken und begann, es auszuwringen.

      »Klar Mann, außerdem hast du auch die ganz falsche Frisur.« Der Riese schmunzelte gutmütig und streckte die Hand aus, um Fred das Handtuch wieder abzunehmen.

      »Dit bleibt hier! Als Souvenir!«, zischte Fred und schlang es sich im Sitzen um die umfangreichen Hüften. Er verschränkte seine massigen Arme und schauten den roten Riesen herausfordernd an. »Kann ick sonst noch wat für Sie tun? Vielleicht een Ständchen?« Der Riese stutzte, schaute Johanna an, die das Ganze sprachlos verfolgt hatte, und zuckte dann mit den Schultern.

      »Von mir aus. War sowieso nicht meins. Wenn’s komisch riecht, nicht wundern.« Damit entfernte er sich gelassen in Richtung der kleinen Bar, die am großen Vitalbecken eingerichtet war. Johanna schaute ihm hinterher.

      »Na herzlichen Jlückwunsch«, sagte sie zu Fred, »da bist du ja jünstig an …« In diesem Moment gellte ein durchdringender, langanhaltender Schrei aus dem hinteren Saunabereich. Johanna bekam eine Gänsehaut trotz achtundzwanzig Grad Lufttemperatur. Gleich darauf rannten zwei kreischende Mädchen in rosa Bikinis, verfolgt von zwei Jungs in langen Badehosen, im halsbrecherischen Tempo zwischen den Ruheliegen und am schmalen Beckenrand entlang.

      »Biester, verdammte!«, entfuhr es Fred, während Johanna erleichtert aufatmete.

      »Ick dachte schon, da is wat …« In diesem Moment ertönte ein weiterer Schrei, wie aus einem Horrorfilm. Er schien überhaupt nicht enden zu wollen. Fred konnte es nicht fassen. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Er hatte noch nie jemanden so markerschütternd schreien gehört. Er schaute Johanna in die schreckgeweiteten Augen und stand abrupt auf. Ein junger Bademeister in Shorts eilte mit genervtem Gesichtsausdruck an ihnen vorbei.

      »Do isch was passiert, ha?«, fragte ein Schweizer, der sich aus seiner Ruheliege nebenan schwerfällig erhoben hatte. Er blinzelte Fred zu. »Bekommen wir do jetzt a äcktschn?«, fragte er erwartungsvoll in seinem gemütlichen Tonfall. Ringsum erhob sich teils aufgeregtes, teils ärgerliches Gemurmel. Johanna schaute sich um und begegnete überall fragenden, kritischen oder besorgten Blicken. Vereinzelt waren Leute aus ihren bequemen Liegen aufgestanden. Einige beschwerten sich leise bei ihren Nachbarn, schüttelten die Köpfe oder zuckten ratlos die Schultern. Fred wusste nicht recht, was er tun sollte. Ein zweiter Bademeister, deutlich älter, als der erste, ging eiligen Schrittes mit ernster Miene zwischen den herumstehenden Badegästen hindurch, während er sein Handy ans Ohr hielt. Ein eigenartiger Geruch machte sich bemerkbar und eine ungewöhnliche Stille breitete sich aus. Der permanente Geräuschpegel aus plätscherndem Wasser, Kindergeschrei, Hintergrundmusik und den Stimmen Hunderter von Badegästen war schlagartig auf nahe null gefallen. »Wie die Ruhe vor dem Sturm«, dachte Fred unwillkürlich, während Johanna fröstelnd die Arme verschränkte. Der Geruch wurde stärker. Eine allgemeine Unruhe machte sich allmählich bemerkbar. Der Schweizer und seine Frau begannen, ihre Sachen einzupacken. Niemand achtete auf die beiden jungen Männer in Jeansshorts, von denen einer von der Empore herab sein Smartphone auf das Geschehen gerichtet hatte. Dort oben, wo die komfortableren Ruheliegen verteilt waren, befand sich außer diesen beiden und einem Seniorenpaar, das eingeschlafen war, niemand mehr. Seitdem der zweite Schrei verhallt war, waren gerade mal ein paar Minuten vergangen, doch der Raum, in dem sich das große Vitalbecken befand, hatte sich in dieser kurzen Zeit enorm bevölkert. Die Leute standen dicht an dicht, wie bei einem Open-Air-Konzert. Nur gab es da üblicherweise nicht so viele nackte Besucher.

      »Wir müssen nach dem Kleenen schauen, Fred«, sagte Johanna und hielt sich die Nase zu. Als hätte er nur auf dieses Kommando gewartet, bahnte sich Fred, ohne ein Wort zu verlieren, energisch einen Weg. »Ick schau in den Felsenduschen nach«, konnte sie ihm gerade noch hinterherrufen. Er winkte mit der rechten Hand, ohne sich umzudrehen. »Hier is wat faul«, dachte er, »und zwar janz jewaltich«. Ihm klang noch der erste Satz des Schweizers in den Ohren. »Zu viele Leute«, brummte er. Er musste an eine riesige Rinderherde denken, die friedlich grast, bevor eine Panik losbricht. »Die Ausjänge sin zu weit wech, und die Fluchtwege sin zu eng«, dachte er und versuchte, seine Schritte zu beschleunigen. Ein muskelbepackter Jüngling stellte sich ihm in den Weg. Er wich ihm aus. »Jetzt bloß keene Eskalation«, schoss es ihm durch den Kopf. Das Gemurmel der Umstehenden wurde lauter. Draußen, außerhalb der Halle, an der frischen Luft, konnte man einen Säugling schreien hören.

      »Sie sehen doch, dass hier kein Platz ist«, zischte ihm eine junge Frau mit kahlgeschorenem Schädel und Spinnentattoo im Gesicht ins Gesicht. Fred versuchte ein Lächeln und drängelte sich rigoros an ihr vorbei. Ihm war schlagartig klar geworden, dass er den Bengel, wie er ihn nannte, schon seit mehr als einer Stunde nicht mehr gesehen hatte. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber so langsam machte er sich Sorgen. Ein alter Mann rempelte ihn an. Von hinten bekam er einen Stoß in die Rippen. Jemand tippte ihm energisch auf die Schulter. Er ignorierte dies alles. Niemand konnte ihn jetzt aufhalten. Sein Blutdruck machte ihm zu schaffen. Er blieb stehen, um tief durchzuatmen. Das hätte er besser nicht getan. Der hintere Saunabereich, den er jetzt erreicht hatte, war von einem undefinierbaren Gestank erfüllt. Hier irgendwo musste die Ursache zu finden sein. Das Gedränge hatte plötzlich nachgelassen. Da waren keine Nackten oder Halbnackten mehr, die ihm den Weg versperrten.

      »Elias! Elias! Bist du da? Komm jetzt endlich her!«, rief Fred, einer Eingebung folgend. Er suchte die leeren Duschen ab. In einer der Kabinen hörte er es tropfen. Dort lag sein vermisstes Handtuch auf dem Boden. Er schluckte. Von seinem Neffen keine Spur. Er drehte den Duschhahn zu. Vom großen Vitalbecken her drangen jetzt immer lautere Stimmen. Wieso gingen die Leute nicht einfach durch die Glastüren ins Freie? Oder benutzten die Schleuse zum Außenbecken. Wohin waren die Bademeister verschwunden? Warum gab es keine Durchsage? Wer hatte da so durchdringend geschrien? Warum stank es hier so? War das Gas? Und wo war Elias? Die Fragen rasten durch Freds Kopf wie auf einer Autobahn. Er bog um die Ecke und war jetzt bei der Kräutersauna angelangt. Gleich nebenan lag die Kelosauna mit Panoramafenster und die Stollensauna, in der es wie immer höhlenartig dunkel war. Zwei gedämpfte Männerstimmen waren zu hören. Eine der beiden wurde plötzlich lauter. Es war der ältere Bademeister, der mit rotem Kopf aus der Kelosauna herauskam.

      »Kannst du mir mal sagen, was heute mit der Technik los ist? Die ist doch gestern erst kontrolliert worden. Klappt denn gar nichts in dem Laden?« Der jüngere Bademeister murmelte etwas Unverständliches. »Ist mir ganz egal, was Schilling sagt!«, polterte der Ältere. Er warf einen ärgerlichen Blick auf Fred.

      »Was machen Sie hier?«, blaffte der junge Bademeister Fred an. Er hatte sich an seinem Chef vorbeigedrängt und stand mit weit ausgebreiteten Armen vor Fred.

      »Ick suche Elias«, brachte dieser etwas verdattert hervor und starrte ratlos in zwei rote Gesichter.

      »Wer soll das sein?«

      »Dit is mein Neffe, er …«

      »Der ist nicht hier. Gehen Sie bitte sofort zurück!«, sagte der Chefbademeister im Befehlston, während der andere sich immer noch wie ein Handballtorwart vor Fred postierte.

      »Aber dit Jeschrei …«, sagte Fred störrisch.

      »Hören Sie, wir gehen jetzt zurück zum Vitalbecken und Sie halten bitte den Mund. Ich will keine Aufregung provozieren. Und du scheuchst die restlichen Gäste raus. Hier hinten darf keiner bleiben!« Der ältere Bademeister hatte Fred an der Schulter gepackt und drängte ihn zurück.

      »Wat riecht hier so? Is dit Gas? Und warum jehen die Leute nüscht einfach int Freie?«, fragte Fred. Der Andere blieb abrupt stehen und legte beschwörend die Hand auf Freds Unterarm. Dabei schaute er ihn aus geröteten Augen an.

      »Die verdammten Glastüren sind verriegelt. Elektronisch. Alle.«

      »Wat? Aber wie …?«

      »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins: Ich will hier drin keine Panik erleben. Das gibt Tote.« In diesem Moment war aus den Lautsprechern