Nina Johns. Annamaria Benedek

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Название Nina Johns
Автор произведения Annamaria Benedek
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754916254



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die Situation klar. Ihre Scheide schmerzte. Sie spürte, dass eine flüssige Substanz aus ihr floss. Bisher hatte sie von solchen Situationen nur in der Zeitung gelesen, nur in den Nachrichten gehört. Sie versuchte ihren Schicksalsschlag zu akzeptieren. Weiterzuleben mit dem Wissen, dass sie den Moment, nachdem sie sich schon so lange gesehnt hatte, nicht miterlebt hatte.

      Sie setzte sich auf, stützte ihren Kopf in ihre Hände und dachte darüber nach, wie wohl der Mann, der zum ersten Mal in ihren seidig weichen Körper eingedrungen war, aussah. Ein paar Minuten lang schaute sie noch gedankenverloren vor sich hin, bevor sie von dem Gedanken an ihre Eltern wieder nüchtern wurde. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie bewusstlos gewesen war. Ihr war aber klar, dass sie sich nun auf den Weg nach Hause machen musste und, dass sie Niemandem erzählen durfte, was passiert war. Sie stand auf, ging ein paar Schritte und kniete sich neben dem Bach nieder. Genau an die Stelle, an der sie vor kurzem noch als unberührtes Kind gesessen war. Sie tauchte ihre Hände ins Wasser, schöpfte ein wenig heraus und wusch ihr Gesicht und ihren Hals. Während die kleinen Wassertropfen ihren Körper berührten, konnte sie sich noch weiter beruhigen. Sie war jetzt so weit. Sie stand wieder auf und machte sich auf den Weg. Sie ging nach Hause in das Haus, das ihr zuvor so langweilig erschienen war, an diesem Tag jedoch der schönste Ort war, den sie sich vorstellen konnte. Mit jedem Schritt wurde ihr klarer, dass sie denselben Weg, den sie vor ein paar Stunden zurückgelegt hatte, nun als neuer Mensch betrat. Das machte ihr wiederum Angst. Sie hatte Angst vor der Wahrheit. Sie hatte Angst vor den Lügen. Sie wollte nicht, dass ihre Eltern sich zu große Sorgen um sie machten und sie nicht mehr alleine aus dem Haus gehen lassen wollten. Sie wollte aber auch nicht, dass ihr Geheimnis sie zerfraß.

      Sie machte ganz kleine Schritte, denn der Schmerz hatte noch nicht nachgelassen. Das störte sie nicht. Was sie vielmehr störte war, dass sie wohl nie erfahren würde, wer der Mann war. Sie würde nie erfahren, wie er aussah oder wie er hieß. Sie würde sich nie daran erinnern können, wie er sie angesehen hatte, als ihn seine Begierde übermannte.

      Es gab viele Jungs, die von Nina besessen waren. Ihre selbstsichere Ausstrahlung und ihre Schönheit berührten jeden tief im Herzen. Aber Nina wollte schon immer etwas mehr. Sie wollte einen reifen Mann.

      Sie war so tief in ihren Gedanken versunken, dass sie fast am Haus vorbeiging. Als sie bei der Haustür ankam, blieb sie vor ihr stehen und starrte sie an. Sie wusste, dass hinter dieser Tür die Rückkehr in die Realität auf sie wartete. Sie wusste, dass sie es sich nicht anmerken lassen durfte, dass sie nicht mehr dieselbe war.

      Als sie das Haus betrat, hörte sie Geräusche, die aus der Küche kamen und scheinbar durch fleißiges Arbeiten verursacht wurden. Ihre Eltern waren schon zuhause. Ihre Mutter war gerade dabei, das Abendessen vorzubereiten. Nina wollte eigentlich versuchten unbemerkt in ihr Zimmer zu schleichen, aber unbeabsichtigt blieb sie vor der Küche stehen. Vor der Küche, in der sie und ihre Eltern sich jeden Abend versammelten. Der viereckige Holztisch und die dazu passenden Holzstühle waren ein Symbol für den Zusammenhalt der Familie.

      -Wo warst du? Dein Vater und ich haben uns schon schreckliche Sorgen gemacht. Es ist schon vier Uhr nachmittags und du hast noch nicht mal zu Mittag gegessen. Und wie siehst du denn aus? Dein Kleid ist ganz schmutzig. Du warst schon wieder am Bach. Aber den ganzen Tag lang? Ab mit dir ins Badezimmer, mach dich fertig für das Abendessen - wenn ich bitten darf!

      Nina bemerkte erst jetzt, dass ihr Lieblingskleid wirklich voller Schmutz war. Auch einen Blutfleck entdeckte sie, ihre Mutter glücklicherweise nicht. Eilig lief sie ins Badezimmer und zog sich aus. Mit kaltem Wasser versuchte sie den Blutfleck händisch auszuwaschen, bevor ihre Mutter Fragen stellen konnte. Das gelang ihr auch. Anschließend warf sie das Kleid in die Wäsche.

      Sie stieg in die Dusche und ließ sich warmes Wasser über ihren ermüdeten Körper, ihr mittlerweile zotteliges Haar, ihren Hals und ihre Brüste fließen. Sie sah, wie der Schmutz an ihrem Körper entlang floss. Am Boden der Dusche sammelten sich der Schmutz, das Blut und die Flüssigkeit, die der Fremde in ihr verteilt hatte. Eine halbe Stunde lang stand sie unter der Dusche. Sie hatte das Gefühl, das Wasser würde nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele reinigen.

      Als sie fertig war, stieg sie aus der Duschkabine, trocknete ihren Körper mit einem weichen Handtuch, stellte sich vor den Spiegel und föhnte ihre Haare. Nachdem diese getrocknet waren, nahm sie frische Unterwäsche aus der Kommode und zog sich ein T-Shirt aus Baumwolle an. Sie band sich noch schnell ihre Haare zusammen und lief dann hinunter in die Küche, als wäre alles ganz normal.

      Ihre Mutter gab sich immer Mühe, köstliches, aber auch gesundes Essen für ihre Familie zuzubereiten, so auch an diesem Tag. Heiße Hühnerbrust, Petersilienkartoffeln, Salat, Kuchen und selbstgemachter Apfelsaft. Die köstlichsten Speisen waren aufgetischt.

      Bevor sie sich setzte, hatte Nina gar nicht gemerkt, dass sie großen Hunger hatte. Es schien, als wäre sie in ihren Gedanken hängen geblieben. Aber ihre Gedanken verflogen abrupt und sie aß. Sie aß, als hätte sie tagelang nichts mehr gegessen. Sie konnte ihren Blick nicht vom Tisch abwenden.

      -Geht es dir gut? Du wirkst traurig. Bloß nicht krank werden. Du weißt schon, dass du in der Schule wichtige Tests vor dir hast. Es wäre nicht schön, wenn du etwas verpassen würdest.

      Ninas Mutter sah ihre Tochter besorgt an, während diese, ohne mit der Wimpern zu zucken dasaß und emotionslos die Gabel in ihren Mund nahm.

      -Nein Mutter, mir geht es gut. Ich werde in der Schule nicht fehlen. - Nina schaute nicht in die Augen ihrer Eltern, nicht einmal als sie diesen gewöhnlichen, alltäglichen Satz über ihre Lippen ließ.

      Sie fühlte sich stark und erwachsen. Stark und erwachsen genug, um ihr Geheimnis für sich zu behalten.

      -Na gut! Wenn du fertig bist, kannst du in dein Zimmer gehen. Ruh dich aus. Ich bin mir sicher, dass du viel gewandert bist. - versuchte ihre Mutter Nina zum Sprechen zu bringen.

      -Ja sehr viel. - offenbarte Nina. Das war der einzige Satz, den sie an diesem Tag an ihre Mutter richtete. Sie stand auf, schob ihren Stuhl an den Tisch und ging in ihr Zimmer.

      Sie ließ sich umgehend auf ihr frisch gemachtes Bett fallen. Die beigefarbene Bettwäsche war schlicht, spiegelte jedoch die Fürsorglichkeit ihrer Mutter wieder, auch wenn das Nina gewöhnlich erschien. Sie war an diese Fürsorge gewöhnt. Das Wasser aus dem Hahn erschien ihr gewöhnlich. Die frische Luft in ihrem Garten erschien ihr gewöhnlich.

      Sie deckte sich zu und starrte die Decke an. Sie konnte das Klappern des Geschirrs aus der Küche noch eine Weile hören. Danach kehrte Stille im Haus ein.

      Nina konnte nicht schlafen. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie sich das Verschmelzen mit dem fremden, mysteriösen Mann angefühlt haben musste. Sie konnte nur noch an ihren Vergewaltiger denken. An seine Leidenschaft, an seine Stärke. Aber ihr Mangel an Erinnerungen machte sie wütend. Sie musste herausfinden, wer er war, um wieder zur Ruhe zu kommen. Sie entschloss sich dazu, jeden Tag zum Bach zu gehen, bis sie ihn wieder treffen würde. Zweifel und Wünsche vermischten sich in Ninas Innerem. Und wenn er nie wieder in den Wald gehen würde? Was wäre, wenn sie ihn nie wieder sehen würde? Das Unwissen und die Neugier betörten Nina. Sie konnte einfach nicht akzeptieren, den Mann nie wieder sehen zu können.

      Sie konnte den nächsten Tag kaum erwarten. Sie konnte es kaum erwarten, nach der Schule sofort in den Wald zu gehen, beziehungsweise zu laufen. Sie ertrug den Gedanken nicht, der Mann hätte sie nur ausgenutzt. Was ihr passiert war, konnte kein Zufall gewesen sein.

      Aufregung, rascher Herzschlag: Wird er wohl am nächsten Tag da sein? Wird er mich wohl noch einmal berühren wollen? Wird er mich wohl mit derselben Leidenschaft ansehen?

      Die Äste taumelten im Wind und klopften gegen die Fenster. Die dunkle Nacht verschlang die Straßen und Häuser. Schwarze Wolken senkten sich, Regen wusch die Ereignisse des Tages weg. Für die, die schliefen, brachte der Regen einen neuen, frischen Anfang und für die, die noch wach waren, floss mit dem Regen ein trauriges Ende davon.

      Der Sturm weckte Nina aus ihrem, sowieso schon unruhigen, Schlaf. Sie schaute auf die Uhr. Halb vier. Sie hatte noch viel Zeit zum Schlafen, was sie einerseits beruhigte, weil sie noch sehr müde war, andererseits aber traurig