Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer

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Название Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754957905



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Kind untersuchen wollte, die gräfliche Wöchnerin beide Untersuchungen mit Entschiedenheit ablehnte. Diese und noch andere Verdachtsgründe gelangten schließlich zur behördlichen Anzeige. Im Januar 1903 wurde Gräfin Isabella Kwilecka verhaftet. Einige Zeit darauf wurde auch ihr Gatte, Grat Zbigniew Kwilecki, in Haft genommen. Ende Oktober 1903 wurde das gräfliche Ehepaar unter der Anklage der Kindesunterschiebung vor das Schwurgericht Berlin I gestellt. Neben dem gräflichen Ehepaar saßen die Hebamme Katharine Ososka wegen wissentlichen Meineids, die Dienerin Josepha Knoska und die Dienerin Pronislawa Chwiatkowska wegen Beihilfe zur Kindesunterschiebung auf der Anklagebank. Den Vorsitz des Gerichtshofs führte Landgerichtsdirektor Leuschner. Die Anklage vertraten Erster Staatsanwalt Steinbrecht und Staatsanwalt Dr. Müller. Die Verteidigung führten Justizrat Wronker und Rechtsanwalt Ludwig Chodziesner (Berlin), Justizrat Dr. v. Sittorski, Justizrat Dr. Lewinski, Rechtsanwalt Dr. v. Rychlowski, Rechtsanwalt Dr. Eger und Rechtsanwalt Dr. Iborowski (Posen). Als medizinische Sachverständige wohnten der Verhandlung bei Professor Dr. Dührßen, Gerichtsarzt Medizinalrat Dr. Störmer, Kreisarzt Medizinalrat Dr. Leppmann, Gerichtsarzt Professor Dr. Straßmann und Professor Dr. Alexander Brückner (Berlin), Kreisarzt Dr. Paniarski (Posen), Sanitätsrat Dr. Rosinski (Wronke), Professor Dr. Freund (Straßburg, Elsaß) und als Schreibsachverständiger Rechnungsrat Junge (Berlin). Da die Mehrheit der Zeugen nur polnisch verstand, waren Regierungsrat Brandt und Rechnungsrat Groß als Dolmetscher der polnischen Sprache hinzugezogen. Der große Schwurgerichtssaal des alten Moabiter Gerichtsgebäudes, in dem der Kampf um das Grafenkind 20 Tage geführt wurde, bot einen ganz seltenen Anblick. Ist es schon ein noch niemals vorgekommenes Ereignis, daß ein gräflicher Majoratsbesitzer nebst seiner Gattin aus der Untersuchungshaft auf die Anklagebank geführt wird, um sich wegen eines Verbrechens zu verantworten, das im Strafgesetzbuch mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bedroht ist, so veranschaulichten die Zeugen, weit über 200 an der Zahl, ein ganz eigenartiges Bild. In erster Reihe fiel der kleine Graf Joseph Stanislaus Kwilecki, der, ganz in Weiß gekleidet, den Gerichtssaal betrat, auf. Der kleine Junge, mit schneeweißem, fein geschnittenem, klassisch schönem Antlitz, schwarzem, dichtem Lockenhaar und kohlschwarzen großen Augen, hatte jedenfalls keine Ahnung, daß er die Hauptperson in diesem forensischen Drama bildete. Nicht weit von ihm stand seine angebliche Mutter, die jetzt verehelichte böhmische Bahnwärtersfrau Cäcilie Meyer, geborene Pracza, eine ärmlich gekleidete, aber noch immer hübsche Frau mit ihrem kleinen unehelichen Sohn Felix, der ein Jahr früher als der kleine Graf in einer armseligen Dachkammer in einer Vorstadt Krakaus das Licht der Welt erblickt hat. Aber auch der angebliche Vater der beiden Knaben, Ritter v. Ziegler, Hauptmann im 20. österreichischen Infanterieregiment aus Krakau, ein mittelgroßer, schneidiger, hübscher Mann von damals etwa 35 Jahren, war erschienen. Die große Mehrheit der Zeugen waren polnische Arbeiterinnen, aber auch einige Vertreter des polnischen Hochadels, wie die Agnaten, Mitglied des preußischen Herrenhauses Graf Miecislaw Kwilecki und dessen Sohn, der Reichstagsabgeordnete und Rittmeister der Reserve, Graf Hektor Kwilecki, ferner polnische Reichstags- und Landtagsabgeordnete, Geistliche und endlich Polizeibeamte, an der Spitze der bekannte Berliner Kriminalkommissar v. Tresckow I. Die Vernehmung der angeklagten Gräfin, die dem höchsten polnischen Adel entstammte und einstmals eine auffallende Schönheit gewesen sein soll, gestaltete sich ungefähr folgendermaßen: Vors. (zur Gräfin): Bekennen Sie sich schuldig? Sie sind angeklagt, in Gemeinschaft mit Ihrem Ehemann ein Kind untergeschoben zu haben.

      Angeklagte: Will ich ausgeblasen werden und hier Erde sein, wenn ich was weiß von solcher secret – wie sagt man doch, Geheimnis?

      Vors.: Seit wann sind Sie verheiratet?

      Angekl.: Seit dem 12. Juli 1864.

      Vors.: Sie waren am 27. Januar 1897, als Sie einem Kinde das Leben gegeben haben wollen, 51 Jahre alt?

      Angekl.: Jawohl.

      Vors.: Ihre Ehe soll nicht sehr friedlich gewesen sein. Angekl.: Glücklich war sie nicht. Vors.: Sie soll mehr wie nicht glücklich gewesen sein, Sie sollen Ihren Gatten oft mit sehr groben Schimpfworten bedacht haben?

      Angekl.: Oft war ich böse, oft habe ich geschimpft; es gab aber auch Zeiten, wo wir sehr gut lebten, namentlich in den letzten Jahren.

      Vors.: Also früher war Ihr eheliches Verhältnis mehr schlecht als gut?

      Angekl.: Es war bald so, bald so.

      Auf weiteres Befragen bemerkte die Angekl.: Sie habe fünf Kinder geboren. Der Älteste, ein Knabe, sei 1865 geboren und bald verstorben. Ihre älteste Tochter sei 1866, die zweite 1873 und die dritte 1879 geboren. Vors.: Sie sollen häufig von Ihrem Mann getrennt gelebt und sich gar nicht um ihn gekümmert haben?

      Angekl.: Ich bin häufig monatelang bei meinen Eltern gewesen, da war die Trennung doch natürlich.

      Vors.: Sie sollten schon vor Jahren den Offenbarungseid leisten, zogen es aber vor, ins Ausland zu gehen?

      Angekl.: Es waren Schulden meines Mannes, die mich nichts angingen. Ich habe alles, was wir nötig hatten, selbst gekauft und auch bezahlt.

      Vors.: Der Gerichtsvollzieher soll bei Ihnen aus – und eingegangen sein. Er soll so häufig zu Ihnen gekommen sein, daß er »Onkel« genannt wurde?

      Angekl.: Das ist wahr.

      Vors.: Ihre Schuldenlast soll 450000 Mark betragen haben, Sie sollen sehr verschwenderisch gelebt haben?

      Angekl.: O nein. Ich habe sehr viel Geld ausgeben müssen, aber nicht für meine Person. Ich habe das Schloß aufbauen lassen und alles gekauft, was sich in Wroblewo befindet. Es waren 20 Zimmer, aber keine Möbel oder sonst was, das hat natürlich eine erhebliche Summe verschlungen. Mein Vater hat mir häufig Geld gegeben, um die Schulden meines Mannes zu bezahlen.

      Vors.: Sie sollen geäußert haben: »Ich muß mit meinem Körper eine Veränderung vornehmen, damit die Leute glauben, ich sei in gesegneten Umständen, dann werden wir wieder Kredit erhalten«?

      Angekl.: Herr Vorsitzender, das ist leeres Gerede.

      Vors.: Als Sie im Sommer 1896 von Montreux nach Wroblewo zurückkehrten, sollen Sie angegeben haben: Sie seien in anderen Umständen?

      Angekl.: Das ist richtig.

      Vors.: Es wird nun von der Anklage angenommen, daß dies Heuchelei war, es sei Ihnen nur darauf angekommen, einen männlichen Erben vorweisen zu können, der einst Anspruch auf das Majorat hätte und daß Sie deshalb ein fremdes Kind untergeschoben haben?

      Angekl.: O bitte, mein Mann ist so gesund, wie ein Mann nur sein kann.

      Vors.: Sie hatten Ihren Verwandten angezeigt, daß Sie nochmals Mutter werden würden und Ihre Entbindung im Auslande vornehmen lassen wollten?

      Angekl.: Jawohl.

      Vors.: Sie wissen, daß Ihre angebliche Schwangerschaft bei den Agnaten ein solches Mißtrauen erregte, daß diese brieflich an Sie die Aufforderung richteten, im Reichsgebiet zu entbinden. Sie wissen auch, daß wiederholt gesagt wurde, Sie müßten in Posen auf offenem Markte entbunden werden, sonst glaube man es nicht?

      Angekl.: Das waren nur Späße. Der Angeklagte, Grat Zbigniew Kwilecki bestritt, sich der Beihilfe zur Kindesunterschiebung schuldig gemacht zu haben. Der kleine Joseph Stanislaus sei sein natürlicher Sohn, er sei stolz darauf.

      Vors.: Sie sollen zu einigen Leuten, die die große Schönheit des Kindes betonten, gesagt haben: Ich wünschte, der Junge wäre tot?

      Angekl.: Das ist eine krasse Unwahrheit.

      Vors.: Sie sollen eine schlechte Ehe geführt haben, zumal Sie mehrere Liebesverhältnisse hatten?

      Angekl.: Weshalb sollte ich nicht Liebesverhältnisse haben. (Große Heiterkeit im Zuhörerraum.)

      Der Vorsitzende setzte darauf die Vernehmung der angeklagten Gräfin fort und hielt ihr vor, daß sie die im Jahre 1828 geborene Dienerin Aniela Andruszewska im Januar 1897 nach Krakau mit dem Auftrage gesandt habe, ihr einen neugeborenen Knaben mit schwarzen