Germinal. Emile Zola

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Название Germinal
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175019



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      »Schaut, so könnte es auch uns ergehen!... Man muß nicht allzuviel klagen. Nicht alle haben Arbeit bis über den Kopf.«

      Der Trupp trat ein und begab sich geradeswegs zur Baracke, einem weiten Saal mit grobem Kalkbewurfe, ringsum mit Schränken angefüllt, die mit Vorlegeschlössern verschlossen waren. In der Mitte stand ein eiserner Kamin, eine Art Ofen ohne Tür, feuerrot, dermaßen vollgestopft mit glühender Kohle, daß einzelne Stücke platzten und auf den gestampften Boden herausfielen. Der Saal war nur durch diesen Ofen erhellt, dessen blutroter Widerschein an dem schmutzigen Gebälke tanzte bis hinauf zu der mit schwarzem Staube belegten Decke.

      Als die Maheu ankamen, herrschte ein lautes Gelächter in dem heißen Saale. Etwa dreißig Arbeiter standen mit dem Rücken zum Feuer gewandt, mit einer Miene des Behagens sich röstend. Vor dem Abstieg kamen alle hierher und nahmen in ihrer Haut ein Stück Wärme mit, um der Feuchtigkeit des Schachtes Trotz bieten zu können. An diesem Morgen gab es einen Spaß; man scherzte mit der Mouquette, einer Schlepperin von achtzehn Jahren, einer gutmütigen Dirne, deren riesiger Busen und Hinterteil Jacke und Hose zu sprengen drohten. Sie wohnte zu Requillart mit ihrem Vater, dem alten Mouque, der als Stallknecht diente, und ihrem Bruder Mouquet, der bei der Winde beschäftigt war; da die Arbeitsstunden nicht für alle die nämlichen waren, ging sie allein zur Grube. Zur Sommerszeit im Getreide, zur Winterszeit an eine Mauer gelehnt, gab sie sich dem Vergnügen hin in Gesellschaft des für die Woche erkorenen Schatzes. Das ganze Bergwerk kam an die Reihe, sämtliche Kameraden in einer bestimmten Reihenfolge, ohne daß die Sache weitere Folgen hatte. Als man eines Tages sie mit einem Nagelschmied von Marchiennes aufzog, barst sie schier vor Zorn und schrie, daß sie zuviel Selbstachtung habe und sich einen Arm abhacken werde, wenn jemand sie mit einem anderen als mit einem Kohlenarbeiter gesehen habe.

      »Ist's denn nicht mehr der lange Chaval?« fragte ein Arbeiter spöttisch. »Du hast diesen Kleinen genommen? Aber der braucht ja eine Leiter!... Ich sah euch neulich hinter Réquillart. Er war auf einen Eckstein gestiegen...«

      »Was weiter?« erwiderte die Mouquette wohlgelaunt. »Was hat es dich zu kümmern? Man hat dich nicht gerufen, um nachzuhelfen.«

      Diese gutmütige Derbheit erregte neue Heiterkeitsausbrüche der Männer, die ihre halb gebrannten Schultern blähten, während sie selbst vom Lachen geschüttelt in ihrem schamlosen Kostüm unter ihnen herumging, das mit den bis zur Ungesundheit angeschwollenen Fleischklumpen komisch und beängstigend zugleich war.

      Doch bald ließ die Heiterkeit nach. Die Mouquette erzählte Maheu, daß die lange Fleurance nicht mehr kommen werde; man habe sie gestern tot und starr in ihrem Bette gefunden. Die einen redeten von einem Herzübel, die anderen von einer allzu hastig geleerten Schnapsflasche. Maheu war verzweifelt über diese Nachricht; es sei nun wieder ein Unglück, er verliere eine seiner Hilfsarbeiterinnen, ohne sie sogleich ersetzen zu können. Er arbeitete im Akkord; sie waren ihrer vier Häuer in seinem Schlag; er, Zacharias, Levaque und Chaval; wenn sie nur mehr Katharina als Schlepperin hätten, werde die Arbeit sicherlich leiden. Plötzlich rief er aus:

      »Halt! Und der Mann, der vorhin Arbeit suchte?«

      Eben kam Dansaert an der Baracke vorüber. Maheu erzählte ihm die Geschichte und bat um die Ermächtigung, den Mann anzuwerben; dabei betonte er das Bestreben der Gesellschaft, die Hilfsarbeiterinnen durch Burschen zu ersetzen wie in Anzin. Der Oberaufseher lächelte zuerst, denn der Vorschlag, die Frauen von der Grubenarbeit auszuschließen, mißfiel gewöhnlich den Bergleuten, die um die Anstellung ihrer Töchter besorgt waren, wenig berührt durch die Frage der Sittlichkeit und der Gesundheit. Nach kurzem Zögern gab er endlich seine Einwilligung mit dem Vorbehalte, die Genehmigung seiner Entscheidung bei Herrn Negrel, dem Ingenieur, einzuholen.

      »Der Mann muß schon weit sein, wenn er seither immer geht«, sagte Zacharias.

      »Nein,« sagte Katharina, »ich habe ihn bei den Dampfkesseln stehen bleiben sehen.«

      »Lauf ihm nach, Maulaffe!« rief Maheu.

      Das Mädchen setzte sich in Lauf, während ein Trupp Arbeiter zum Schachte hinaufging und anderen das Feuer überließ. Auch Johannes holte seine Laterne, ohne den Vater abzuwarten, mit ihm Bebert, ein dicker, kindlicher Junge, und Lydia, ein schwächliches Mädchen von zehn Jahren. Die Mouquette, die vor ihnen aufgebrochen war, brach in dem dunklen Treppengang in ein Geschrei aus, nannte sie schmutzige Rangen und drohte ihnen mit Maulschellen, wenn sie sie wieder in die Beine kniffen.

      Etienne plauderte in der Tat bei den Kesseln mit dem Heizer, der die Öfen frisch füllte. Es überlief ihn eiskalt bei dem Gedanken, daß er wieder in die finstere Nacht hinaustreten solle. Indes entschloß er sich zum Aufbruch, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte.

      »Kommt,« sagte Katharina, »es ist etwas da für euch.«

      Er begriff nicht sogleich; dann wallte die Freude in ihm auf, und er drückte dem Mädchen kräftig die Hände.

      »Dank, Kamerad... Ihr seid ein guter Junge, wahrhaftig!«

      Sie begann zu lachen, während sie ihn in dem roten Lichte der Feuerherde betrachtete. Es machte ihr Spaß, daß er sie für einen Jungen hielt, weil sie noch so schmächtig und ihr Haarknoten unter der Haube verborgen war. Auch er lachte zufrieden, und sie standen einen Augenblick mit frohen Gesichtern einander gegenüber. Maheu hockte in der Baracke vor seiner Kiste und zog seine Holzschuhe und Wollstrümpfe aus. Als Etienne kam, ward alles in vier Worten geregelt: dreißig Sous Tagelohn für eine anstrengende Arbeit, die er bald erlernen werde. Der Häuer riet ihm, seine Schuhe an den Füßen zu behalten, und lieh ihm einen alten ledernen Hut zum Schutze für seinen Schädel, eine Vorsicht, die der Vater und seine Kinder verschmähten. Man holte das Arbeitsgerät aus einer Kiste, wo sich zufällig auch die Schaufel der Fleurance vorfand. Als Maheu die Holzschuhe und die Strümpfe aller, sowie das Bündel Etiennes in der Kiste verschlossen hatte, verlor er plötzlich die Geduld.

      »Was macht denn dieser Tölpel von Chaval?« rief er. »Sicher hat er wieder eine Dirne auf einen Steinhaufen hingeworfen. Wir haben uns heute um eine halbe Stunde verspätet.«

      Zacharias und Levaque brieten sich ruhig die Schultern. Ersterer sagte schließlich:

      »Du wartest auf Chaval? Er ist vor uns gekommen und sogleich angefahren.«

      »Wie, du weißt das und sagst mir nichts davon? Vorwärts schnell!«

      Katharina, die ihre Hände wärmte, mußte dem Trupp folgen. Etienne ließ sie vorausgehen und stieg hinter ihr hinan. Wieder kam er durch ein ganzes Wirrsal von Treppen und dunklen Gängen, wo die nackten Füße das weiche Geräusch von altem Schuhwerk hervorbrachten. Schließlich befand man sich vor der hell beleuchteten Laternenkammer. Diese war ein durch eine Glaswand abgesonderter Raum voll Gestellen, wo in übereinandergelegten Fächern Hunderte von Davyschen Sicherheilslampen hingen, die, nachdem sie sorgfältig untersucht und nach dem gestrigen Gebrauch gereinigt worden, angezündet wurden und den brennenden Kerzen einer erleuchteten Kapelle glichen. Am Schalter empfing jeder seine Laterne, die mit seiner Ziffer gestempelt war, dann prüfte er sie und schloß sie selbst, während ein an einem Tische sitzender Beamter in einem Register die Stunde der Anfahrt verzeichnete. Maheu mußte einschreiten, um die Laterne für seinen neuen Eggenmann zu erwirken. Noch eine Vorsichtsmaßregel wurde beobachtet; die Arbeiter zogen an einem Kontrolleur vorüber, der sich vergewisserte, ob auch alle Laternen wohl verschlossen seien.

      »Alle Wetter, hier ist es nicht warm«, murmelte Katharina zähneklappernd.

      Etienne begnügte sich, mit dem Kopfe zustimmend zu nicken. Er stand wieder vor dem Schachte in der Mitte des weiten, vom Luftzug durchfegten Saales. Gewiß, er hielt sich für tapfer, und dennoch faßte ihn ein unbehagliches Gefühl der Aufregung an der Gurgel inmitten des Dröhnens der rollenden Hunde, der dumpfen Schläge der Signalhämmer, des heisern Geheuls des Sprachrohrs, angesichts des unablässigen Fluges der Kabel, welche durch die Wellen der Maschine mit voller Dampfkraft auf und ab gerollt wurden. Die Schalen stiegen auf und nieder gleich dem stillen Gleiten eines nächtlichen Tieres, immer wieder Männer verschlingend, welche der Schacht zu trinken schien. Er war jetzt an der Reihe; ihm war sehr kalt, aber er bewahrte ein nervöses Schweigen, über das Zacharias und Levaque