Germinal. Emile Zola

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Название Germinal
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754175019



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er sich, noch eine zu machen, und man mußte ihn wieder zur Raufe zurückführen. Jetzt kam das Alter; seine Augen nahmen zuweilen einen trüben Ausdruck an. Vielleicht sah er in seinen dunklen Träumen die Mühle wieder, wo er geboren, eine Mühle in der Nähe von Marchiennes am Ufer der Scarpe, umgeben von breiten Fluren, über die ein frischer Wind dahinfegte. Etwas brannte in der Luft, eine ungeheure Lampe, deren sein Tiergedächtnis sich nicht genau erinnern konnte. So stand er denn mit gesenktem Kopfe zitternd auf seinen alten Füßen da und machte vergebliche Anstrengungen, sich der Sonne zu erinnern.

      Inzwischen dauerten die Manöver in dem Schachte fort; der Signalhammer hatte vier Schläge getan, das Pferd wurde herniedergelassen. Das verursachte immer eine gewisse Aufregung; denn es geschah manchmal, daß das Tier, vom Entsetzen ergriffen, unten tot anlangte. Oben ward es mittelst eines Netzes gefesselt, wogegen es sich verzweifelt wehrte; sobald es keinen Boden mehr unter sich fühlte, war es wie versteinert; so versank es in der Tiefe ohne ein Beben der Haut mit weiten, starren Augen. Das Tier, das heute hinabbefördert werden sollte, war zu groß, um zwischen den Leitpfosten hindurch zu können; man hatte es unterhalb der Förderschale befestigen und den Kopf zur Seite festbinden müssen. Der Abstieg währte nahezu drei Minuten; aus Vorsicht verlangsamte man den Gang der Maschine. Darum stieg unten die Verwunderung immer höher. Was? Will man etwa das Pferd unterwegs in der Luft hängen lassen? Endlich ward es sichtbar, unbeweglich, wie versteinert, die starren Augen vom Entsetzen erweitert. Es war ein Brauner, kaum drei Jahre alt, Trompete mit Namen.

      »Aufgepaßt!« rief Vater Mouque, der das Tier zu übernehmen hatte. »Schafft es her, aber macht es noch nicht los.«

      Trompete wurde wie eine tote Masse auf die eisernen Platten des Fußbodens niedergelegt. Das Tier bewegte sich noch immer nicht; das schier endlose, finstere Loch, durch welches es gekommen, und dieser tiefe, von Geräusch widerhallende Saal: sie lasteten wie ein Alpdruck auf ihm. Man war eben damit beschäftigt, es loszubinden, als Bataille, seit einem Augenblick ausgespannt, sich näherte und den Kopf vorstreckte, um den Gefährten zu beriechen, der so urplötzlich von der Erde daherkam. Die Arbeiter machten ihre Späße über die Szene und stellten sich in einem weiten Kreise auf. Welchen Wohlgeruch fand er denn an ihm? Doch unbekümmert um die Späße wurde Bataille immer lebhafter. Er fand an dem Genossen ohne Zweifel den Wohlgeruch der freien Luft, den längst vergessenen Geruch des von der Sonne beschienenen Grases. Plötzlich brach er in ein lautes Gewieher aus, in einen Freudenruf, in den sich etwas wie ein zärtliches Schluchzen mengte. Das war der Willkommgruß, die Freude über die alten Dinge, von denen ihm jetzt ein Hauch zukam, zugleich die Trauer über diesen neuen Gefangenen, der nicht mehr lebend an die Erdoberfläche gelangen sollte.

      »Der Schlingel Bataille!« riefen jetzt die Arbeiter, erheitert durch dieses Treiben ihres Lieblings. »Seht, wie er mit dem Kameraden plaudert.«

      Trompete war mittlerweile seiner Fesseln entledigt worden, rührte sich, aber noch immer nicht. Das Pferd blieb auf der Seite liegen, als fühle es sich noch immer im Netz gefangen; es war gleichsam durch die Furcht gelähmt. Endlich brachte man es mit einem Peitschenhieb auf die Beine; betäubt und an allen Gliedern zitternd, stand es jetzt da. Vater Mouquette führte die beiden Tiere weg, die sogleich Freundschaft miteinander schlossen.

      »Kommen wir endlich an die Reihe?« fragte Maheu.

      Man mußte die Förderschalen freimachen; aber es fehlten noch zehn Minuten an der zum Aufstieg festgesetzten Stunde. Allmählich leerten sich die Werkplätze; die Grubenarbeiter kamen aus allen Galerien herbei. Es hatten sich schon etwa fünfzig versammelt, durchnäßt, fröstelnd in dem Luftzuge, der von allen Seiten kam. Pierron mit dem sanften Gesichte ohrfeigte seine Tochter Lydia, weil sie zu früh den Schlag verlassen hatte. Zacharias kneipte heimlich die Mouquette, um sich ein wenig zu erwärmen. Doch die Unzufriedenheit unter den Arbeitern wurde immer größer; Chaval und Levaque erzählten von der Drohung des Ingenieurs, daß der Preis des Karrens herabgesetzt, die Verholzung besonders bezahlt werden solle. Dieses Vorhaben wurde mit allgemeinen Entrüstungsrufen aufgenommen; ein Aufruhr gärte in diesem engen Winkel, sechshundert Meter unter der Erde. Bald wurden die Stimmen laut; die von der Kohle geschwärzten und vom Warten in dem Luftzug erstarrten Männer beschuldigten die Gesellschaft, daß sie die eine Hälfte der Arbeiter in den Gruben töte, während sie die andere Hälfte Hungers sterben lasse. Etienne hörte es fröstelnd mit an.

      »Rasch, sputet euch!« rief der Aufseher Richomme den Verladern zu.

      Er beschleunigte die Vorbereitungen für den Aufzug; er wollte nicht hart sein und tat daher, als höre er nicht. Indes nahm das Murren dermaßen zu, daß er genötigt war, sich einzumengen. Hinter ihm rief man, daß es nicht immer so bleiben dürfe und daß eines Tages »die Bude in die Luft fliegen werde«.

      »Du bist besonnen, heiße sie schweigen«, sagte er zu Maheu. »Wenn man nicht der Stärkere ist, muß man der Klügere sein.«

      Doch Maheu, der sich beruhigt hatte, und den das Gerede ringsumher zu beängstigen begann, hatte es nicht mehr nötig sich einzumengen. Plötzlich verstummten alle Stimmen; Negrel und Dansaert kehrten von ihrem Besichtigungsgange zurück und kamen aus einer Galerie, beide mit Schweiß bedeckt. Die Gewohnheit der Disziplin nötigte die Leute, sich in Reih und Glied zu stellen, während der Ingenieur schweigend durch die Gruppe schritt. Er setzte sich in einen Karren, der Oberaufseher in einen andern; man zog fünfmal an der Signalleine -- um die schwere Ladung hinaufzuschaffen, wie man von den Vorgesetzten sagte -- und die Schale flog inmitten einer dumpfen Stille in die Höhe.

       Sechstes Kapitel

      In der Schale, die ihn -- mit vier anderen zusammengepfercht -- in die Höhe führte, beschloß Etienne, seine Hungerwanderung auf den Landstraßen wieder aufzunehmen. Besser sogleich zu verrecken, als wieder in diese Hölle hinabzusteigen, wo man nicht einmal sein Brot erwerben konnte. Katharina war über ihm eingestiegen und saß nicht mehr knapp an seiner Seite mit der wohltuenden Wärme ihres Körpers. Er hielt es für besser, nicht mehr an Torheiten zu denken und seiner Wege zu gehen. Er hatte mehr gelernt als diese Herde und fühlte nicht ihre Entsagung in sich; schließlich werde er einen Vorgesetzten erdrosseln. Plötzlich war er wie geblendet. Der Aufstieg war so schnell vor sich gegangen, daß die Tageshelle, deren er sich schon entwöhnt hatte, ihn nötigte, die Augen zu schließen. Doch war es ihm eine Erleichterung, als er den Aufzugskasten in seinen Ankern sich festsetzen fühlte. Ein Handlanger öffnete die Türe, die Arbeiter sprangen aus den Karren.

      »Sag', Mouquet. gehen wir heut' Abend zum »Vulkan«?« flüsterte Zacharias dem Handlanger ins Ohr.

      Der »Vulkan« war ein Tingeltangel in Montson. Mouquet blinzelte mit dem linken Auge, wobei ein stilles Lachen ihm die Kinnladen trennte. Klein und dick wie sein Vater, hatte er die freche Nase eines Kerls, der alles verpraßt, unbekümmert um den morgigen Tag. Eben stieg die Mouquette aus, und er versetzte ihr einen kräftigen Schlag auf den Hintern als Zeichen seiner brüderlichen Zärtlichkeit.

      Etienne erkannte das hohe Schiff des Aufnahmesaales wieder, der ihm am Morgen im Dämmerlicht der Laternen so beängstigend geschienen. Der Raum war kahl und schmutzig. Ein fahles Licht fiel durch die staubigen Fenster herein. Nur die Maschine mit ihren Kupferbestandteilen funkelte; die mit Fett beschmierten stählernen Kabel flogen wie in Tinte getauchte Bänder; die Räder in der Höhe, das ungeheure Gebälk, das sie trug, die Schalen, die Hunde, all das reichlich verwendete Metall verdunkelte den Saal mit dem harten Grau alten Eisens. Das Rollen der Räder erhielt die Eisenplatten des Fußbodens in fortwährender Erschütterung, während von der heraufbeförderten Kohle ein feiner Staub aufflog, der sich wie schwarzes Mehl auf den Fußboden, auf die Mauern, selbst auf die Balken des Aufzugsturmes legte.

      Chaval hatte inzwischen einen Blick auf die Berechnungstafel geworfen, die in dem kleinen Glasverschlage des Aufnahmebeamten hing. Das machte ihn vollends wütend, denn er hatte festgestellt, daß man ihnen zwei Karren zurückgewiesen hatte, die eine deshalb, weil sie nicht die vorgeschriebene Menge enthielt, die andere, weil die Kohle nicht rein war.

      »Der Tag ist gut«, rief er. »Wieder zwanzig Sous weniger! ... Warum nimmt man auch Taugenichtse, die sich ihrer Arme so bedienen wie ein Schwein seines Schwanzes.«

      Der