Egmont. Johann Wolfgang von Goethe

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Название Egmont
Автор произведения Johann Wolfgang von Goethe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754177730



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Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die Herzen hängen an ihm.

      REGENTIN. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand Rechenschaft von ihm zu fordern hätte. Noch trägt er den Namen Egmont. ›Graf Egmont‹ freut ihn sich nennen zu hören; als wollte er nicht vergessen, daß seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich nicht Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum tut er das? Will er erloschne Rechte wieder geltend machen?

      MACHIAVELL. Ich halte ihn für einen treuen Diener des Königs.

      REGENTIN. Wenn er wollte, wie verdient könnte er sich um die Regierung machen; anstatt daß er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsäglichen Verdruß gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben den Adel mehr verbunden und verknüpft als die gefährlichsten heimlichen Zusammenkünfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gäste einen dauernden Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschöpft. Wie oft setzt er durch seine Scherzreden die Gemüter des Volks in Bewegung, und wie stutzte der Pöbel über die neuen Livreen, über die törichten Abzeichen der Bedienten!

      MACHIAVELL. Ich bin überzeugt, es war ohne Absicht.

      REGENTIN. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nützt sich nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft; und wir, um nicht müßig und nachlässig zu scheinen, müssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So hetzt eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst recht. Er ist gefährlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwörung; und ich müßte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt. Ich kann nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daß er mich nicht empfindlich, sehr empfindlich macht.

      MACHIAVELL. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.

      REGENTIN. Sein Gewissen hat einen gefälligen Spiegel. Sein Betragen ist oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der völligen Überzeugung lebe, er sei Herr und wolle es uns nur aus Gefälligkeit nicht fühlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es werde sich schon geben.

      MACHIAVELL. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glückliches Blut, das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefährlich aus. Ihr schadet nur ihm und Euch.

      REGENTIN. Ich lege nichts aus. Ich spreche nur von den unvermeidlichen Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederländischer Adel und sein Golden Vlies vor der Brust stärken sein Vertrauen, seine Kühnheit. Beides kann ihn vor einem schnellen, willkürlichen Unmut des Königs schützen. Untersuch es genau: an dem ganzen Unglück, das Flandern trifft, ist er doch nur allein schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn, hat's so genau nicht genommen und vielleicht sich heimlich gefreut, daß wir etwas zu schaffen hatten. Laß mich nur! was ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht umsonst verschießen; ich weiß, wo er empfindlich ist. Er ist auch empfindlich.

      MACHIAVELL. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien auch?

      REGENTIN. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die Last der Verantwortung nahe genug zuwälzen; sie sollen sich mit mir dem Übel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklären. Eile, daß die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift! Dann sende schnell den bewährten Vaska nach Madrid; er ist unermüdet und treu; daß mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daß der Ruf ihn nicht übereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh er abgeht.

      MACHIAVELL. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.

      Bürgerhaus.

      Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.

      KLARE. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?

      BRACKENBURG. Ich bitt Euch, verschont mich, Klärchen!

      KLARE. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen Liebesdienst?

      BRACKENBURG. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich kann Euern Augen nicht aus weichen.

      KLARE. Grillen! Kommt und haltet!

      MUTTER im Sessel strickend. Singt doch eins! Brackenburg sekundiert so hübsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.

      BRACKENBURG. Sonst.

      KLARE. Wir wollen singen.

      BRACKENBURG. Was Ihr wollt.

      KLARE. Nur hübsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen, mein Leibstück. Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.

      Die Trommel gerühret!

      Das Pfeifchen gespielt!

      Mein Liebster gewaffnet

      Dem Haufen befiehlt,

      Die Lanze hoch führet,

      Die Leute regieret.

      Wie klopft mir das Herze!

      Wie wallt mir das Blut!

      O hätt ich ein Wämslein

      Und Hosen und Hut!

      Ich folgt ihm zum Tor 'naus

      Mit mutigem Schritt,

      Ging durch die Provinzen,

      Ging überall mit.

      Die Feinde schon weichen,

      Wir schießen hinterdrein!

      Welch Glück sondergleichen,

      Ein Mannsbild zu sein!

      Brackenburg hat unter dem Singen Klärchen oft angesehen; zuletzt bleibt ihm die Stimme stocken, die Tränen kommen ihm in die Augen, er läßt den Strang fallen und geht ans Fenster. Klärchen singt das Lied allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlüssig wieder um und setzt sich.

      MUTTER. Was gibt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich höre marschieren.

      BRACKENBURG. Es ist die Leibwache der Regentin.

      KLARE. Um diese Stunde? was soll das bedeuten? Sie steht auf und geht an das Fenster zu Brackenburg. Das ist nicht die tägliche Wache, das sind weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hört einmal, was es gibt? Es muß etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg, tut mir den Gefallen!

      BRACKENBURG. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da! Er reicht ihr abgehend die Hand; sie gibt ihm die ihrige.

      MUTTER. Du schickst ihn schon wieder weg!

      KLARE. Ich bin neugierig; und auch, verdenkt mir's nicht, seine Gegenwart tut mir weh. Ich weiß immer nicht, wie ich mich gegen ihn betragen soll. Ich habe unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen, daß er es so lebendig fühlt. – Kann ich's doch nicht ändern!

      MUTTER. Es ist ein so treuer Bursche.

      KLARE. Ich kann's auch nicht lassen, ich muß ihm freundlich begegnen. Meine Hand drückt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise, so liebevoll anfaßt. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich ihn betrüge, daß ich in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nähre. Ich bin übel dran. Weiß Gott, ich betrüg ihn nicht. Ich will nicht, daß er hoffen soll, und ich kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.

      MUTTER. Das ist nicht gut.

      KLARE. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich hätte ihn heiraten können und glaube, ich war nie in ihn verliebt.

      MUTTER. Glücklich wärst du immer mit ihm gewesen.

      KLARE. Wäre versorgt und hätte ein ruhiges Leben.

      MUTTER. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.

      KLARE. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie es gegangen ist, weiß ich's wohl und weiß es nicht. Und dann darf ich Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja, wäre mir weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten ihn an, und ich in seinem Arm sollte nicht das glücklichste Geschöpf von der Welt sein?

      MUTTER.