So war das nicht geplant. Karen Sommer

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Название So war das nicht geplant
Автор произведения Karen Sommer
Жанр Языкознание
Серия Walding
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753183428



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Teller und einem großen, kalten, alkoholfreien Getränk verließ Anna den Festplatz und suchte sich eine ruhige Bank etwas weiter weg vom Geschehen. Diese Ruhe. So angenehm diese Veranstaltung auch war, sie war vor allem laut. Genüsslich aß Anna ihre erste richtige Mahlzeit seit Tagen.

      Wo Frank wohl jetzt war? Und vor allem mit wem? Frank. Anna hatte bis vor wenigen Tagen noch gedacht, die Liebe ihres Lebens getroffen zu haben. Über drei Jahre hatte sie mit ihm gemeinsam gewohnt. Über die Zukunft gesprochen. Alles miteinander geteilt. Über Kinder nachgedacht – sie zumindest. Und dann kam sie letzte Woche wegen Kopfschmerzen früher von der Schule nach Hause, nur um ihn im Bett mit seiner Kollegin zu finden. In IHREM gemeinsamen Bett.

      Diese Szene würde sie wohl nicht so schnell vergessen. Sie solle das nicht so eng sehen. Und es war ja nur Sex. Aber sie – Anna – liebe er wirklich. Kann Mann zwischen Liebe und Sex unterscheiden? Anna konnte es definitiv nicht. Und nun stand sie vor einem Scherbenhaufen, den andere Leute „Leben“ nannten und wusste weder ein noch aus. Überstürzt hatte sie einige Sachen gepackt und das lange Wochenende genützt, um zu ihrer Freundin zu flüchten. Marie wusste immer Rat und Hilfe. Sie war das feste Urgestein ihres Lebens.

      „Na, schon genug von ein wenig Arbeit?“

      Anna zuckte zusammen. Eine dunkle, breitschultrige Gestalt löste sich aus dem Schatten des alten Baumes. Matthias. Diese Stimme hätte sie überall wiedererkannt. Anna blieb der Bissen im Hals stecken. Ihr wurde heiß und kalt gleichzeitig. Ihr Puls beschleunigte sich von selbst. Was sollte das? Sie kannte den Typen gar nicht. Und er benahm sich ihr gegenüber ständig unhöflich.

      Anna hatte trotz der Vielzahl der Bestellungen genug Gelegenheit, Matthias und die anderen Mädchen zu beobachten. Zu allen war Matthias nett und zuvorkommend, nur ihr gegenüber kehrte er eine gemeine Seite hervor. Während des ganzen Abends hatte er kein einziges nettes Wort für sie übrig gehabt. Nur ständiges Genörgel, was sie alles besser machen könnte. Dass sie schneller laufen könnte. Und dass es effizienter wäre, wenn sie gleich mehrere Tische auf einmal aufnehmen würde.

      „Warum bist du zu mir so unfreundlich? Den ganzen Abend meckerst du schon an mir herum! Ich bin freiwillig hier und bemühe mich genauso gewissenhaft wie die anderen auch!“ Wütend machte Anna ihrem Frust Luft. Sie sprang auf und baute sich – obwohl einen Kopf kleiner – vor Matthias auf.

      Matthias stöhnte laut auf. Die Frau brachte ihn um den Verstand. Bevor er noch einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte er sie schon in seine Arme gezogen.

      Matthias konnte sich nicht erklären, was ihn zu dieser Aktion veranlasst hatte. Eigentlich wollte er das alles nicht. Sie hatte ihn den ganzen Abend gereizt. Sie war ihm aus dem Weg gegangen und hatte für jeden anderen ein Lächeln auf den Lippen. Nur nicht für ihn. Und von Minute zu Minute wuchs seine Eifersucht.

      Voll und perfekt geschwungen zogen ihn die Lippen von Anna magisch an. Er legte ihr eine Hand an den Hinterkopf und zog ihn vorsichtig zu sich heran. Aber der Kuss machte alles wieder gut. Ihre Lippen berührten sich und Matthias spürte, dass Anna sich in seinen Armen versteifte. Verwirrt schaute sie ihn an und versuchte ihn wegzudrücken.

      Matthias nahm es als Aufforderung, seine Bemühungen zu verstärken. Er löste sich, um seine Lippen noch einmal sanft auf die ihren zu legen. Es folgte eine Reihe zarter Küsse und Matthias spürte, dass sich Anna langsam entspannte. Zögernd öffnete sie ihre Lippen einen Spalt breit. Als sich ihre Zungen berührten, hatte er das Gefühl seine Erfüllung gefunden zu haben.

      Langsam und verzaubert löste er sich von ihr. Sie fühlte sich so richtig in seinen Armen an. Er musste sich selbst ermahnen, um die Kontrolle nicht zu verlieren.

      Anna hatte das Gefühl, einen Starkstromschlag erhalten zu haben. Ihre Knie verwandelten sich in Pudding. Sie roch noch den männlichen, herben Duft nach Seife und Rasierwasser. Sie fühlte sich wie in Trance.

      Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sich auch schon wieder zurückgezogen und war in der Dunkelheit verschwunden. Anna spürte noch immer seinen festen Händedruck an ihrem Rücken. Sie zitterte leicht.

      Anna taumelte benommen einige Schritte zurück. Was war nur mit ihr geschehen? Wieso ließ sie sich von diesem Wildfremden küssen? Sie berührte ihre Lippen und konnte immer noch nicht glauben, was gerade passiert war. Sie tappte vorsichtig weg und zurück zum Festplatz.

      Matthias trat mit voller Wucht gegen die Bank. Noch falscher hätte er das Ganze ja gar nicht angehen können. Aber das Gefühl, sie in den Händen zu halten, war unbeschreiblich gewesen. Und dann hatte seine Lust über seinen Verstand gesiegt. Sie hat so verängstigt und verunsichert ausgesehen. Er konnte ihr schlecht hinterher gehen. Missmutig ging er an seinen Arbeitsplatz in der Grillhütte zurück.

      Anna suchte Zuflucht im Café bei ihrer Freundin. Marie setzte ihr eine Tasse Früchtetee vor und versuchte sie zu beruhigen.

      „Du wirst sehen, wenn du mehrere Tage darüber schläfst, wirst du ihn vergessen.“

      „Den Kuss vergesse ich bestimmt nicht so bald!“, antwortete Anna gedankenverloren. Sie spürte noch immer seine warmen Lippen auf den ihren. Der Kuss hatte sich so richtig angefühlt. Und voller Leidenschaft.

      „Was? Du erinnerst dich an jeden einzelnen Kuss mit Frank?“, fragte Marie entgeistert.

      „Äh …“ Anna stammelte errötend. Der andere Name holte sie jäh in die Realität zurück.

      „War nur so ein Gedanke. Wie lange wird das Fest noch dauern?“, versuchte Anna abzulenken.

      Die wenigen verbliebenen Gäste drängten sich nun um die Bar und die Schank. Die Band war zu ruhigeren Musikstücken übergegangen und einige Paare tanzten engumschlungen auf der kleinen Tanzfläche.

      „Nicht mehr lange. Wenn die Band aufhört, gehen die meisten nach Hause. Aber jetzt tanzen wir noch einmal.“

      Und schon zog Marie ihre Freundin am Arm hoch und schleifte sie zur Tanzfläche. Die Musik schwenkte um und aus allen Ständen strömten die Helfer herbei und es wurde offen gehüpft und getanzt.

      Die Freude über das Gelingen des Festes war spürbar in dieser ausgelassenen Stimmung und schlug auch auf Anna über. Sie war Teil dieses Festes, hatte ihren Teil zum Erfolg beigetragen und es hatte sie ihre Sorgen für kurze Zeit vergessen lassen und gab ihr ein tiefes Zugehörigkeitsgefühl. Ein nie gekanntes Glücksgefühl durchströmte sie.

      „Und nun das letzte Lied für alle Verliebten und solche, die es noch werden wollen.“

      Der Sänger leitete das letzte Lied des Abends ein. Marie schwang sich in die Arme ihres Mannes und küsste ihn liebevoll. Anna wandte sich zum Gehen um und wollte die Tanzfläche verlassen. Sie rannte direkt in eine männliche Brust. Sie brauchte nicht aufzublicken, der Geruch von Seife und Rasierwasser war unverkennbar. Zwei kräftige Arme umfassten sie.

      „Wie wär’s mit einem letzten Tanz?“, fragte Matthias leise.

      Starr und geschockt nickte sie leicht. Anna hatte nun endlich Gelegenheit, das kantige Gesicht näher zu betrachten. Zwischen seinen Augenbrauen ragte steil eine kleine Falte auf. Die dunklen Augen ließen tiefe Abgründe vermuten. Eine gerade Nase, volle Lippen und ein Dreitagesbart vervollständigten das markante Gesicht.

      Obwohl sie schon den ganzen Abend durchgearbeitet hatten, zeigte Matthias keine Anzeichen von Müdigkeit. Wieso vernebelte dieser Mensch nur so ihre Sinne? Sie konnte nicht mehr klar denken. Sie fühlte sich in seinen Armen sicher und wohl. Anna nahm nichts um sich mehr wahr. Das Lied schien kein Ende zu nehmen.

      Das Lied war viel zu schnell zu Ende. Matthias konnte sich nicht erklären, was ihn dazu veranlasst hatte, Anna zum Tanzen aufzufordern, aber er genoss jede Sekunde umso mehr.

      „Du hast deine Sache wirklich gut gemacht, für eine kleine Lehrerin“, erklärte Matthias in seiner gelassenen Art. Sein Blick fixierte sie und Anna konnte nicht anders, als darin zu versinken.

      „Woher weißt du?“ Verwirrt stolperte Anna fast über ihre eigenen Füße.

      „Der Ort ist klein,