Geliebter Prinz. Billy Remie

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Название Geliebter Prinz
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 1
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738073348



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es über viele Hügel entfernt sehen konnte. Sie bemalten sich gegenseitig mit Fruchtbarkeitssymbolen. Dann wurden alle Unberührten, die die Volljährigkeit erreicht hatten, in einer Reihe aufgestellt und mussten ihre Venen dem gesamten Stamm anbieten. Es wurde das Blut von Jungfrauen getrunken, Frauen und Männern, dann wurden zu Trommeln und Gesang um das hohe Feuer herumgetanzt, um die Götter anzurufen. Zum Ende hin wurden den Unberührten schließlich die Unschuld genommen. Dabei wurde dann wieder viel Blut getrunken, sodass jeder einmal von jedem einen Schluck genommen hatte. Damit stellte man die tiefe Verbundenheit zueinander sicher.«

      Desiderius schmunzelte erheitert. »Und das ist wirklich wahr?«

      »Ja«, versicherte der Halbgott. »Jedes Jahr zu Frühlingsbeginn habe ich einen Stamm Eures Volkes aufgesucht, um zusehen zu dürfen. Es war unglaublich, ich war stets fasziniert von der Freizügigkeit der Luzianer. Sie teilten alles, Blut und Körper. Es gab keinen Anspruch auf die Jungfräulichkeit eines Stammesmitgliedes. Meist wurde auch erst dann eine Frau zu einer geeigneten Gefährtin, wenn sie bereits ein Kind erwartete, ganz gleich, von wem es war.«

      Desiderius hatte diese Geschichte noch nie gehört und er konnte kaum glauben, dass sein Volk, das schon seit Jahrhunderten die Gesetze der Menschen die eigenen nannte, einst so gelebt haben soll. Eine Schande, dass sie nun so engstirnig waren.

      »Damals war es auch nicht ungewöhnlich, wenn sich ein Mann gleich mehrere Gefährtinnen aussuchte«, erzählte der Halbgott weiter. »Wenn die Frauen damit einverstanden waren, gab es daran nichts auszusetzen.«

      »Und es gab tatsächlich Frauen, die das wollten?«, fragte Desiderius und lachte ungläubig auf.

      »Sicher doch«, antwortete Bellzazar grinsend. »Es gab auch Frauen, die sich mehrere Burschen als Gefährten nahmen. Die Geschlechterrolle war bei Eurem Volk nicht so festgefahren wie es bei den Menschen war. Auch Frauen waren Jäger und versorgten einen Mann, der lieber die Kinder hütete und nahe beim Stamm blieb. Oder Frauen, die andere Frauen zu Gefährtinnen machten.«

      Desiderius wandte nachdenklich den Blick ab. Er zog sich wieder seine Hose an, nachdem er alle Fäden aus der Wunde entfernt hatte. Er wusste nicht so recht, ob er dieser Geschichte Glauben schenkte.

      »Und es gab natürlich auch Männer, die sich gleichgeschlechtliche Gefährten nahmen«, fügte Bellzazar hinzu.

      Desiderius‘ Gesicht flog zu ihm herum. Wissende Augen schlugen ihm entgegen und er hatte erneut das Bedürfnis, fortzulaufen. Wieso kannten alle sein Geheimnis? War es so offensichtlich?

      Obwohl es ihn eigentlich nicht überraschen sollte, falls Bellzazar wirklich etwas wusste, immerhin war der Halbgott dafür bekannt, Wissen innezuhaben, das anderen verborgen blieb.

      Aber der Halbgott sprach Desiderius’ Befürchtung nicht aus. Mit einem Schulterzucken sagte Bellzazar nur gelassen: »Es ist leider schwer vorstellbar, aber es gab einst eine Zeit in Nohva, da konnte man wenigstens lieben, ohne dass man dafür geköpft wurde.«

      Desiderius wusste nicht, ob und was er dazu sagen sollte, also schwieg er. Mit nachdenklichem Blick starrte er in die Flammen und fragte sich insgeheim, ob es denn möglich war, sein Leben in dieser Zeit aufzugeben, um Jahrtausende zuvor leben zu dürfen.

      »Prinz Karic glaubt, er könnte ein solches Nohva wieder erschaffen«, berichtete Bellzazar stolz. »Ein freies Nohva. Ein Land voller Möglichkeiten.«

      Desiderius wusste das aber schon, er hatte nicht vergessen, was der Kronprinz ihm anvertraut hatte. Dennoch fragte er nun grübelnd den Halbgott: »Glaubt Ihr es?«

      Es dauerte lange, bis er eine Antwort auf seine Frage erhielt. Bellzazar hob den Blick und sah zu dem Blätterdach hinauf, durch das die letzten Sonnenstrahlen des Abends drangen. Ohne ihn anzusehen, antwortete er: »Ja, ich denke schon, dass er das schaffen wird.«

      Unsicher wie ein Kind, hakte Desiderius nach: »Ehrlich?«

      Schmunzelnd sah Bellzazar ihn an und erklärte: »Mit den richtigen Leuten an seiner Seite, kann der Prinz alles schaffen, was er will. Es kommt nur darauf an, wie stark seine Berater sind, unabhängig davon, wie stark er ist.«

      »Dann ist laut Eurer Meinung ein König nur so stark wie seine Berater?«, fragte Desiderius interessiert. Er war nicht verwundert, nur neugierig, der Halbgott hatte schließlich reichlich Lebenserfahrung, die er teilen konnte.

      »Es sind immer die Berater, die im Geheimen das Land regieren«, behauptete Bellzazar. »Der König gibt zwar die Befehle, aber was würde er tun, wenn niemand da wäre, der sie ausführt?«

      »Und welche Befehle sollten Berater ausführen, wenn es keinen klugen und starken König gäbe, der sie erteilt?«, warf Desiderius ein und grinste erheitert.

      »Das eine kann ohne das andere nicht existieren«, stimmte Bellzazar zu. »Umso wichtiger ist es für einen König, sich seine Berater und Gefährten gut überlegt auszusuchen.«

      »Solange Ihr, ein Halbgott, an der Seite des Königs steht, wird ihm nicht viel passieren«, vermutete Desiderius.

      »Im Moment stehe ich aber an Eurer Seite, und nicht an der des Königs«, gab Bellzazar zu bedenken. Dann fügte er etwas ernster hinzu: »Außerdem werde ich nur noch an König Wexmells Seite stehen, Bursche. Sobald der König ruhig und friedlich in seinem Bett an einem natürlichen Tod stirbt, habe ich meine Aufgabe erfüllt und werde endlich meinen Lohn für die Jahrhunderte erhalten, in denen ich einen Luzianerkönig nach dem anderen geschützt habe.«

      Desiderius horchte verwundert auf. »Ihr werdet nicht an Prinz Karics Seite stehen, wenn er gekrönt wird?«

      »Wenn der junge Kronprinz König wird, werde ich hoffentlich bereits im Reich der Götter sein, bei meinen Brüdern und Schwestern, als vollwertiger Gott, nicht als Bastard eines listigen Dämons, der eine Göttin verführt hat.«

      Die Worte spuckte Bellzazar aus wie Gift. Damit erinnerte er Desiderius daran, dass auch er wegen seines Daseins oft verbittert war.

      Er wusste nicht wieso, aber es beunruhigte Desiderius, dass der Halbgott nicht an Prinz Karics Seite stehen würde. Das magische Wesen war das einzige Geschöpf, das den König wirklich schützen konnte. Vor Magie, vor Mordanschlägen, vor Gift ... vor allem.

      »Wer schützt den König, wenn nicht Ihr?«, murmelte Desiderius voller Furcht.

      Bellzazar hatte ihn gehört und schmunzelte ihm verschwörerisch zu. »Jemand, der genauso gerissen ist. Ein Mann, der weiß, dass einige Dinge getan werden müssen, wenn man König bleiben will. Jemand, der keine Scheu davor hat, seine Gegner noch vor einem Krieg mit einem Giftanschlag zu schwächen.« Bellzazar sah ihn eindringlich an und fügte mit einer bedeutungsvollen Stimme hinzu: »Jemand wie Ihr.«

      12

      Zwei weitere Nächte später waren sie ihrem Ziel bereits ganz nahe.

      Die Reise an sich gestaltete sich recht einfach, da sie nur in den Tiefen Wäldern blieben und beide ganz genau wussten, wie man wilden Tieren und deren Angriffen entgehen konnte. Sie ritten tagsüber und schlugen ihr Lager auf, wenn es dämmerte. Bellzazar war nicht gerade das, was Desiderius schweigsam genannt hätte, aber immerhin hatte der Halbgott interessante Geschichten auf Lager. Desiderius erfuhr viel über die einstige Kultur seines Volkes und verstand dadurch immer mehr, weshalb Prinz Karic so versessen darauf war, diese wieder aufleben zu lassen.

      Wenn die Luzianer herrschten, warum sollten dann weiterhin die Gesetze der Menschen gelten, nur weil diese sich wie trotzige kleine Kinder verhielten, die mit Krieg drohten, wenn man ihnen nicht erlaubte, Hinrichtungen im Namen der Götter zu veranstalten.

      Die Menschen sahen das vermutlich anders, befürchtete Desiderius. In ihren Augen waren vermutlich die Luzianer die Tyrannen, die ihnen verboten, für ihren Glauben zu kämpfen und zu sterben.

      Wie gesagt, jede Geschichte hatte zwei Seiten, und jedes Volk eine andere Ansicht, Desiderius konnte nur das wiedergeben, was er dachte und woran er glaubte.

      Sie ritten nebeneinander her, zwei