Mannesstolz. Georg von Rotthausen

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Название Mannesstolz
Автор произведения Georg von Rotthausen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741805707



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Bootsmann telephoniert in der Wachstube: „Vorzimmer Kommandeur! Wache. …”

      Vor der Kommandantur stellt Malvoisin den Wagen ab. Ein junger Leutnant zur See kommt gerade aus dem Gebäude.

      „Hier dürfen Sie nicht stehenbleiben!”

      „Ich darf, Herr Leutnant, ich darf.”

      Malvoisin schließt sein Fahrzeug ab, lächelt den Leutnant an und betritt zielstrebig das Gebäude.

      Der verblüffte junge Mann sieht ihm nach und überlegt, ob das gerade vielleicht ein Admiral in Zivil gewesen sein könnte.

      Malvoisin strebt dem Kommandeursbereich zu. Dabei kommt er an der Photogalerie der bisherigen Kommandeure vorbei. Vor einem Bild bleibt er kurz stehen.

      „Moin Großpapa. Da bin ich mal wieder. Lang ist’s her. − Schön war’s immer bei Dir. − Und heute habe ich schlechte Nachrichten für Deinen Nachfolger. Üble Sache. − Übrigens, Deiner Schwester Priscilla geht es blendend. Aber das weißt Du sicher. Sie hat dieses Jahr wieder eine Weltreise auf der ‚Deutschland’ gemacht. 94 ist sie gerade geworden und ein Armutsfaktor für ihren Hausarzt. Und vermutlich hat sie wieder mal auf der Brücke nachgefragt, ob man nicht mal in Richtung der-und-der Insel den Kurs ändern könnte, weil sie dort noch nicht gewesen sei. Du weißt ja, der alte Kaptein Harmsen, der bei Dir als junger Kerl Ordonnanzoffizier war, der hat das tatsächlich auf einem anderen Dampfer mal gemacht, damals in den Fünfzigern, als Originale noch gefragt waren. Aber ganz so alt war Hein Harmsen damals noch nicht, und Tante Prissy war schon immer unwiderstehlich. Harmsen ist jetzt 102 und läuft in Övelgönne noch ganz munter herum. Er steckt sich jeden Tag seinen Kurs ab und den segelt er dann entlang, wenn ok op sien Fööt. Und den Deerns plinkert er immer noch zu. Denk mal an, und die plinkern sogar zurück. Dann setzt er sich auf die Kaimauer und singt ‚Das wäre noch mal ’was …’, und er hat jedes Mal begeisterte Zuhörer, vor allem, wenn er sein tampenstarkes Seemannsgarn vertellt. Du kanntest ihn ja gut. − Ach, und Maren ist mir die gute Frau geworden, wie Du es gesagt hast. Und wir haben drei wunderschöne Kinder: Christian, Karin und Tessa, aber das weißt Du sicher auch. − Ik harr nu wat to doon, Großpapa, da is mi bannig bang för. Kiek mol wedder in, wenn ok jüst in’n Geist. Weeßt, wi hebbt ’n scheunet Huus in Kellenhusen, wo wi fröher jümmers Urlaub mookt hebben. Un giff Großmama ’n Seuten. − Denn atschüs, Großpapa.”

      Malvoisin berührt das erste Bild in der Galerie und zwei Tränen kullern seine Wangen herunter. Ein Obermaat kommt vorbei und besieht sich verwundert den Zivilisten, der die Galerie der Kommandeure betrachtet und plötzlich ein Taschentuch zieht, um sich das Gesicht abzuwischen und zu schnäuzen.

      Malvoisin geht weiter und kommt zum Kommandeursbüro. Er tritt in das Vorzimmer ein. Eine ältere Sekretärin empfängt ihn.

      „Zu wem möchten Sie bitte?”

      „Guten Morgen. Malvoisin, Kripo Lübeck. “

      Er zückt wieder seinen Dienstausweis, den die Sekretärin ungläubig betrachtet.

      „Kriminalpolizei?”

      Sie weiß nicht, worüber sie sich mehr wundern soll: das die Kripo im Haus ist oder über diesen Hut, den der Kriminale gerade abgenommen hat und in der linken Hand hält.

      „Ja, so nennt sich meine Truppe.”

      „Ach, richtig. Sie hat die Wache ja eben angekündigt. Aber der Kommandeur hat gleich einen Termin. Ich weiß nicht …”

      „Richtig, mit mir, Würden Sie mich bitte anmelden!”

      Er sieht sie auffordernd an. Die Sekretärin klopft kurz, tritt beim Kommandeur ein und meldet leicht verwirrt:

      „Verzeihung, Herr Kapitän, da ist ein Herr von der Kriminalpolizei …”

      „Kripo?”

      Der Kommandeur sieht auf seine Armbanduhr.

      „Na gut, ich lasse bitten.”

      Die Sekretärin tritt zur Seite und gibt den Weg frei. Malvoisin tritt ein.

      Der Kommandeur steht an seinem Schreibtisch, neben ihm erwartet ein Kapitänleutnant seine Anweisungen.

      „Herr von Felsenstein, die Herren Lehrgruppenkommandeure zur Besprechung erst in einer halben Stunde.”

      „Jawohl, Herr Kapitän!” Der Kaleu tritt ab.

      „Kapitän zur See Kröger −” Er reicht Malvoisin die Hand. „Kripo? Hat einer meiner Männer etwas ausgefressen?”

      Malvoisin mustert sein Gegenüber mit schnellem Blick.

      Vor ihm steht ein etwa 50jähriger, drahtiger Mann, sicher 1,80 m groß. Er schätzt ihn auf das Idealgewicht seiner Größe von 80 Kilogramm. Kröger hat ein sympathisches Gesicht, marineüblich glattrasiert. Darin energische Züge, die keinen Widerspruch dulden. Seine vollen schwarzen Haare mit deutlich grauen Schläfen machen ihn neben seiner Gesamterscheinung zu einem attraktiven Mann. Er trägt den blauen Dienstanzug mit den vier goldenen Ärmelstreifen seines militärischen Ranges. Malvoisin registriert mit Kennerschaft das Einzelkämpferabzeichen an der rechten Uniformseite, an der linken das Militärleistungsabzeichen in Gold, das Kreuz der Ehrenritter des Johanniterordens, an der Ordensspange das Bundesverdienstkreuz I. Klasse, Bundesverdienstkreuz am Bande, den Verdienstorden des Landes Berlin, das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold, das Deutsche Sportabzeichen in Silber, das Offizierkreuz der Französischen Ehrenlegion, die Königlich Großbritannische Victoria-Medaille, das Ritterkreuz des Königlich Norwegischen Olav-Ordens, das Hollandmarschabzeichen und darüber in goldener Stickerei das Tätigkeitsabzeichen des seefahrenden Personals.

      „Malvoisin, Mordkommission Lübeck −” er hält Kröger den Dienstausweis hin.

      „Mordkommission? Das hatten wir hier noch nicht. Aber nehmen Sie doch bitte Platz.”

      Der Kommandeur weist einladend auf einen Sessel. Beide setzen sich. Der Kapitän sieht seinen unerwarteten Besuch fragend an.

      „Malvoisin? Sind Sie der Sohn von Friedrich Malvoisin?”

      „Ja, ich kann es nicht leugnen.”

      Ein schwaches Lächeln huscht über Malvoisins Gesicht.

      „Ich dachte es mir doch gleich. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Wie geht es dem Herrn Admiral?”

      „Ich denke gut.”

      Kröger bemerkt, daß sein Gegenüber das Thema nicht sonderlich angenehm ist und setzt es nicht fort.

      „Sieh an, sieh an. Das ist der Sohn von ‚Friedrich dem Großen’!”

      Mit einem auffordernden Blick zeigt er, daß Malvoisin mit dem Grund seines Kommens herausrücken soll. Der ist dankbar, vom Vater-Thema weg zu sein.

      „Herr Kapitän, kennen Sie einen jungen Mann namens Malte Kröger?”

      „Mein Ältester. Was ist mit ihm?”

      „Ich habe schlechte Nachrichten.”

      Er räuspert sich. Todesbote war er noch nie gern, aber er hat es immer so damit gehalten, solche Schockmeldungen schnell herauszulassen, und so macht er es auch jetzt.

      „Ihr Sohn ist tot.”

      Malvoisin mustert sein Gegenüber.

      „Wie, tot?”

      Der Kapitän zieht seine Stirn kraus.

      „Ihr Sohn wurde heute morgen ermordet am Strand von Kellenhusen gefunden.”

      Kröger schließt kurz die Augen.

      „Was ist passiert, wo ist mein Sohn? Was erzählt der da?”

      „Ihr Sohn wurde in einem Strandkorb in der Nähe der Seebrücke mit einem Strick um den Hals gefunden. Er wurde gehenkt.”

      Kröger wirkt gefaßt, lehnt sich zurück, verschränkt den linken Arm, stützt den