Die Jägerin - In Alle Ewigkeit. Nadja Losbohm

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Название Die Jägerin - In Alle Ewigkeit
Автор произведения Nadja Losbohm
Жанр Языкознание
Серия Die Jägerin
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742769404



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fuhr ich ihn an. „Ich muss mich beeilen.“ Ich nahm das Telefon vom Ohr und würgte Alex ab. Jetzt wurde es aber allerhöchste Eisenbahn. Wenn ich noch länger trödelte, würde ich Michael womöglich verpass-

      „Was haben wir denn da? Ein einsames Mädchen im finsteren Wald?“ Ich blieb abrupt stehen und verdrehte die Augen. Für heute hatte ich wirklich genug von Fabeln aus dem Reich der Tier- und Pflanzenwelt! Vorsichtig glitt meine Hand unter den Mantel, und ich umschloss die Pistole. Ich setzte ein Lächeln auf und wandte mich zu dem um, der mit der melodiösen Stimme gesprochen hatte. „Hast du keine Angst so spät allein hier draußen, Mädchen?“, fragte mich mein Gegenüber. Seine dunkle Gestalt schälte sich aus den Schatten heraus. Die bleiche Haut leuchtete in der Nacht ebenso wie die blutroten Augen. Das Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, bei dem der Vampir mir seine Fangzähne zeigte.

      „Jungchen, du weißt wohl nicht, wer ich bin“, antwortete ich.

      Der Blutsauger zuckte mit den Achseln. „Bin neu hier“, erklärte er kurz und bündig und setzte zum Sprung an.

      Peng! Das Silber zerfetzte sein Herz.

      „Herzlich Willkommen.“ Ich verstaute die Pistole, und obwohl es mich in den Beinen juckte loszurennen, nahm ich mir die Zeit, das Holzkreuz auf seine Brust zu legen und darauf zu warten, dass der Vampir in seine Einzelteile zerfiel. Selbst die teuren Klamotten sammelte ich auf. Es tat mir schon ein bisschen leid um sie. Immerhin prangten auf ihnen weltbekannte Namen der großen Modedesigner. Aber Luxushemd hin oder her – ich musste fertig werden. Also warf ich sie in den nächsten Müllcontainer und rannte los. Hoffentlich kam ich nicht zu spät.

      Bereits aus der Ferne konnte ich die große, schlanke Gestalt erkennen, die gegen einen der Kastanienbäume lehnte, die in der Mitte der Allee vor der St. Mary’s Kirche standen. Es war seltsam, wieder hier zu sein. Jede Menge Erinnerungen kamen in mir hoch. Bilder von den Kämpfen, die ich in dieser Straße gefochten hatte, tauchten vor meinen Augen auf, und ich rechnete damit, dass jeden Moment ein Krallen- oder Pockenmonster aus dem Gebüsch sprang, um mich zu überfallen. Natürlich war das nicht möglich. Die Wiege des Bösen, aus der sie jede Nacht geschlüpft waren, existierte nicht mehr. Trotzdem fühlte es sich befremdlich an. Jahrelang war die St. Mary’s Kirche mein Zuhause gewesen; in ihr hatte mein neues Leben begonnen, und dort hatte es auch geendet – irgendwie. Ich gehörte hier nicht mehr her. Ebenso wenig wie Michael.

      Auf leisen Sohlen schlich ich mich näher heran. Ein Auto fuhr die Straße entlang. Seine Scheinwerfer erhellten die Gegend, streiften über Michael. Wie sehnsüchtig er die Ruine betrachtete. Er vermisste sie wirklich. Vielleicht nicht nur das Gebäude, das sein Überleben gesichert hatte. Vermutlich vermisste er auch das Leben darin. Ein Teil von mir und auch von ihm hatte immer gedacht, es sei sein Gefängnis gewesen. Es endlich verlassen zu können, normal, was auch immer normal in unserer verqueren Welt hieß, leben zu können – war das nicht ein Traum, der schließlich in Erfüllung gegangen war? Nach seinem Verhalten und Gesichtsausdruck zu urteilen, war es vielmehr ein Alptraum für ihn. Ich schwankte zwischen Wut und Mitleid. Ich wollte ihn anschreien, ihm eine Szene machen, wie er es wagen konnte, sich hinauszuschleichen, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen, und unsere Tochter im Stich zu lassen. Und andererseits wollte ich ihn in den Arm nehmen, ihm sagen, dass es mir das Herz zerriss, ihn so zu sehen. Für eines von beiden musste ich mich entscheiden, denn stehen zu bleiben oder gar wegzugehen war keine Option.

      „Michael!“

      Er fuhr merklich zusammen. Obwohl die Nacht Schatten auf sein Gesicht legte, wusste ich, dass er mich mit weit aufgerissenen Augen ansah. Das Weiß seiner Augäpfel leuchtete in der Dunkelheit auf wie zwei übergroße Knallerbsen an einem hochgewachsenen Strauch.

      „Ada“, er schluckte hörbar, „was machst du hier?“

      „Dasselbe könnte ich dich fragen“, erwiderte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Ich -“, begann er, aber ihm fiel keine Ausrede ein, mit der er sich aus der Situation herauswinden konnte.

      „Mhh“, machte ich und legte den Kopf schief. Für einen Moment musterte ich ihn. „Wollen wir ein Stück gehen und reden?“, fragte ich ihn schließlich. Ich sah den Umriss seines Kopfes nicken. Mit meinen Fingern umschloss ich seine Hand und zog ihn mit mir mit. Schweigend liefen wir eine Weile durch die Straßen, wobei ich uns zielstrebig Seitenstraßen entlangführte, um Begegnungen mit ehemaligen Nachbarn, die sich womöglich auch noch um diese Uhrzeit draußen herumtrieben, zu vermeiden. Meine Taschenlampe hielt ich in meiner Hand und ließ ihren Lichtstrahl munter umher hüpfen. Nicht aus einem bestimmten Grund. Es war vielmehr zu meiner Ablenkung. Nach beinahe einer viertel Stunde, in der die Stille schwer auf uns gelastet hatte, hielt Michael den Zustand nicht mehr aus und blieb stehen. Da wir uns immer noch an den Händen hielten, war ich gezwungen, ebenfalls stehen zu bleiben. Ich ließ den Strahl meiner Taschenlampe an Michael hinaufwandern und hielt ihn mitten in sein Gesicht. Er kniff die Augen zusammen und drehte den Kopf weg. Ich senkte das Licht auf seine Brust, wofür er sich bedankte. „Wenn du dich darauf vorbereitest, mir eine Standpauke zu halten, solltest du dir im Klaren sein, ich weiß bereits, was du sagen willst.“

      Ich schüttelte den Kopf „Das weißt du nicht“, stellte ich klar und ließ seine Hand los. „Du hast keine Ahnung, was in mir vorgeht, ebenso wie ich keinen blassen Schimmer habe, was in dir vorgeht, weil du nicht mit mir redest. Du ziehst es vor, den Starken zu markieren, den Fröhlichen und Zufriedenen raushängen zu lassen, obwohl du weder das eine noch das andere bist. Wir haben so viel miteinander durchgemacht, und dennoch siehst du dich außerstande, mit mir zu reden?“ Die Worte kamen nur so aus mir herausgesprudelt. Ich wusste nicht, woher sie kamen. Ich hatte zuvor noch nie an sie gedacht, und ich fragte mich, wer sie mir einflüsterte. Es war unheimlich und trotzdem entsprachen sie der Wahrheit. Sie drückten alles aus, was ich fühlte. Michael setzte zu einer Antwort an, doch ich hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. „Du warst für mich immer ein Licht in der Welt. Aber nun hast du deine Leuchtkraft verloren. Das macht mich traurig, auch weil ich mich frage, ob es an mir liegt. Bin ich es, die dein Licht wegnimmt?“ Er schüttelte vehement den Kopf und verneinte die Frage entschieden. „Wieso kehrst du dann zu deiner Vergangenheit zurück und das nicht nur heute Nacht, sondern auch schon davor? Und bevor du fragst: Ich habe meine Mittel und Wege, Dinge herauszufinden, die ich dir aber nicht verraten werde.“

      Um seine Mundwinkel zuckte es. „Soll ich raten? Alex.“

      Ich reckte das Kinn in die Luft. „Ich bin nicht befugt, dir das zu sagen.“

      Er nickte und lächelte, wurde aber rasch wieder ernst. „Ich weiß, ich habe nicht weise gehandelt, und ich verstehe, dass du wütend-“

      Ein markerschütternder Schrei ertönte hinter mir. Michael riss die Augen auf und deutete hinter mich. „Vorsicht!“, rief er. Ich wirbelte herum und sah den Vampir, der wie ein Vogel im Sturzflug vom Dach des Hauses segelte, das zu unserer Rechten war. Leichtfüßig landete er auf dem Asphalt und funkelte uns mordlüstern an.

      „Kann man sich denn hier nicht einmal in Ruhe unterhalten, verflucht nochmal?“, schrie ich, zog meine Pistole und feuerte auf ihn. Ohne Probleme traf ich sein Herz. Der Vampir fiel nach hinten und schlug heftig auf dem Boden auf. Ich wandte mich zu Michael um. „Red‘ weiter“, forderte ich ihn ungerührt auf. Er blinzelte mich verdutzt an, aber auch Bewunderung lag in seinem Blick. Er war stolz auf seine Schülerin, seine Frau. Er schüttelte den Kopf, um das soeben Gesehene loszuwerden.

      „Ich verstehe, dass du wütend auf mich bist, und ich entschuldige mich aus der Tiefe meines Herzens bei dir.“

      Ich schnaubte durch die Nase. „Das da“, ich deutete auf den Blutsauger, den ich erschossen hatte, „hätte dir jeder Zeit passieren können, und ich wäre nicht da gewesen, um dir zu helfen. Du hättest dich nicht einmal verteidigen können. Du hättest sterben können. Jedes verdammte Mal, als du dort standest.“ Meine Stimme schraubte sich mit jedem weiteren Wort in die Höhe. Ich keifte wie eine Furie. Michael starrte mich erschrocken an. Ich war mir nicht sicher, ob es wegen meines Geschreis war oder weil er der Wahrheit endlich ins Gesicht blickte. Ich seufzte und atmete tief durch. Mein Pulsschlag beruhigte sich allmählich.