Spuk im Gutshof. Silke Naujoks

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Название Spuk im Gutshof
Автор произведения Silke Naujoks
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847607557



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ich habe einen Brief von Tante Susanne bekommen. Ich soll auf dem schnellsten Weg hierher kommen. Großmutter ist gestürzt und liegt im Bett, weil sie nicht mehr laufen kann. Sie braucht dringend Pflege. Außerdem ist der Grundstücksverwalter gestorben und seine Frau hat ihre Arbeitsstelle gekündigt. Tante Susanne musste für Großmutter zwei neue Personen einstellen, weil das restliche Personal auch gekündigt hat.“ Weiter kam sie nicht.

      Ihr Vater hatte die Hand erhoben, um ihre Rede zu beenden. „Du brauchst mir nicht zu sagen, was auf dem Anwesen vorgefallen ist. Ich weiß Bescheid. Deine Tante hat mich ausreichend verständigt, ich werde ein ernstes Wort mit ihr reden müssen. Wie kann sie dir nur gestatten alleine zu reisen, man kann sich heutzutage auf keinen mehr verlassen.“

      „Nicht böse sein, Papa“, stotterte Sandy mit hochrotem Kopf. „Im Mädchenheim trifft niemand die Schuld, ich habe es heimlich verlassen.“

      „Du hast was … getan? Also mein liebes Kind das ist die Höhe! Weißt du nicht, welche Gefahren auf allein reisende Mädchen lauern? Im Übrigen war dein unüberlegtes Handeln überflüssig. Auf den Brief deiner Tante hin habe ich alles Notwendige veranlasst. Ich habe eine Pflegerin für deine Großmutter engagiert. Außerdem bringe ich einen neuen Verwalter mit und dann ist da noch jemand, der im Notfall zur Verfügung steht.“ Er drehte sich um.

      Sandy´s Blick folgte ihm, sie bemerkte die drei Personen, die beladen mit Gepäck auf sie zu liefen.

      „Das ist Schwester Sofie Kramer“, machte ihr Vater sie mit einer Frau unbestimmten Alters bekannt.

      Der neue Verwalter war ein gewisser Herbert Golinski, ein plumper kleiner Bursche, der eher wie ein Stallknecht aussah.

      Der dritte Unbekannte hieß Claus und war trotz seinem jugendlichen Alters Doktor der Physik.

      Er sah aus, wie sich alle jungen Mädchen den Mann ihrer Träume vorstellten: Groß, dunkles Haar, breitschultrig, ein Prinz wie aus dem Märchen. Er besaß ein schmales, fein geschnittenes Gesicht und ein unwiderstehliches Lächeln. Seine Stimme klang verführerisch weich und er hatte eine Art sein Gegenüber beim Sprechen anzuschauen, das man als Frau schon kalt wie Stein sein musste, um unter diesen Blick nicht dahin zu schmelzen.

      „Es freut mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen, Ihr Vater hat schon viel von Ihnen erzählt. Doch ich muss sagen, die Wirklichkeit übertrifft meine kühnsten Erwartungen.“

      Sandy spürte, wie ihr das Blut in den Wangen schoss.

      „Wollen Sie hier bleiben? Oder wo ist das Ziel Ihrer Reise?“, fragte Sandy mit einer leichten Röte im Gesicht.

      Claus erwiderte lächelnd, wobei er zwei Reihen perlweißer Zähne zeigte. „Ich werde in der Stadt erwartet, in der meine Eltern am Stadtrand ein kleines Sommerhaus haben. Sicher freuen sich meine Eltern schon sehr, mich wiederzusehen. Aber dort wartet auch noch eine junge Dame auf mich. Wir sind so gut wie verlobt.“

      Sandy spürte einen heftigen Stich in der Herzgegend und wurde verlegen. Er war also vergeben, dieser Traummann. „Das freut mich für Sie.“

      „Ich hoffe, du wirst uns mit deiner Verlobten in den nächsten Tagen besuchen?“, fragte Sandys Vater. „Und du, mein liebes Fräulein, fährst auf den schnellsten Weg zu deiner Großmutter.“

       Warum behandelt er mich immer noch wie ein kleines Kind? Immerhin bin ich schon 18 und mache demnächst mein Abitur.

      „Ich bin nicht so vertrauensselig, wie du meinst, alter Mann“, konterte Sandy mit einer Mischung aus Trotz und Wut.

      „Du bist noch zu jung, um die Gefahren zu erkennen“, erwiderte ihr Vater. „Du bist meine einzige Tochter und ich habe Angst, dich zu verlieren. Du und dein Cousin Jens, ihr seid meine einzigen Erben.“

      „Andere Mädchen in meinem Alter sind bereits verheiratet“, platzte Sandy heraus.

      „Schon gut.“ Ihr Vater streichelte ihre Hand. „Ich weiß, du hast es nicht gern, wenn ich dich wie ein kleines Kind behandele, aber das ist wohl die Schwäche aller liebenden Väter. Vielleicht bin ich nur zu besorgt um dich, weil ich über den Verlust deiner Mutter nicht hinweg gekommen bin.“

      Sandy schwieg betroffen und wich dem schmerzerfüllten Blick ihres Vaters aus. „Ich bin so besorgt, dass ich mir manchmal wünsche, du würdest niemals heiraten, Sandy. Manchmal ist es besser, nie das wahre Glück kennen gelernt zu haben, wenn es einem eines Tages doch wieder entrissen wird.“

      Dieser letzte Satz beunruhigte Sandy stark. Verstohlen schaute sie sich nach Claus um, der in seinem grünen Notizbuch blätterte. Sandy ertappte sich bei dem Gedanken, ob der gut aussehende Mann sich in sie verlieben könnte.

      Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, um sich ihren heimlichen Träumen hinzugeben.

      Ihr Vater riss sie jedoch aus ihren Träumen. Er hatte ein Taxi bestellt, das ihn und Sandy zu ihrer Großmutter bringen sollte.

      In diesem Augenblick beschlich sie eine seltsame Anspannung.

      Kapitel 3

      Ein leichtes Unbehagen machte sich in ihr breit, als sie die alten Gemäuer des Anwesens ihrer Großmutter sah. Sie wusste, dass ihre Oma das alte Gemäuer so liebte, wie es war. Das ganze Anwesen war noch auf dem technischen Stand des letzten Jahrhunderts.

      Mittlerweile war es schon spät geworden. Die schattigen Umrisse des Grundstücks flößten ihr Angst ein. Hätte sie geahnt, welche furchtbaren Ereignisse sie hier erwarteten, welches Grauen und welche Todesängste sie hier ausstehen würde, so hätte sie diesen Ort des Schreckens auf der Stelle wieder verlassen.

      Eines der alten Dienstmädchen das Tante Susanne als Aushilfe geschickt hatte, nahm die Ankömmlinge in Empfang.

      „Ihre Großmutter hat sich hingelegt. Sie hat ihre Medikamente genommen, weil sie starke Schmerzen hatte. Über Ihren Besuch freut sie sich bereits sehr, aber kann Sie erst morgen empfangen.“

      Sandys Vater wandte sich an die mitgebrachte Pflegerin. „Ich schlage vor, Sie nehmen das Zimmer, das neben den Räumen meiner Mutter liegt. Sollte sie klingeln, so sind Sie rasch zur Stelle.“

      „Es ist alles zu Ihrer Zufriedenheit vorbereitet“, meldete sich das Dienstmädchen. „Wünschen Sie noch etwas zu speisen?“

      „Nein, danke. Wir haben bereits gegessen. Ich schlage vor wir gehen alle schlafen.“

      Sandy war von der Reise ermüdet und stimmte seinem Vorschlag zu. Sie war froh, dass sie endlich ihr Zimmer aufsuchen konnte.

      Neugierig sah sie sich im Zimmer um. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass es sich um ein Kinderzimmer handelte. In einer Ecke stand eine Wiege und gegenüber eine Wickelkommode. Seltsam! Weshalb hatte man ihr ausgerechnet dieses Zimmer gegeben, für ein Kinderzimmer ist sie doch schon viel zu alt.

      Das flackernde Licht der Lampe warf unruhige Schatten an die Wände. Sandy spürte ein leichtes Frösteln in ihren übermüdeten Gliedern. War es das Licht? Oder spielten ihre Augen ihr einen Streich? Kaum sichtbar, schien sich an der Wand etwas zu bewegen, oder bildete sie sich das nur ein? Wahrscheinlich ist es nur ihre Müdigkeit, die sie alles doppelt sehen ließ.

      Mit einem Seufzer ließ sie sich in die frisch bezogene Bettwäsche fallen und schlief sofort ein.

      Kapitel 4

      Jäh schreckte sie aus dem Schlaf, als jemand mit den Fäusten gegen die Tür trommelte. „Fräulein Sandy, wachen Sie auf. Fräulein! Etwas Schreckliches ist passiert.“

      Schlaftrunken richtete sich Sandy auf, fast gelähmt vor Schreck rief sie mit schwacher Stimme: „Kommen Sie herein.“

      Das alte Dienstmädchen, welches sie gestern empfangen hatte, stürzte mit angstverzerrtem Gesicht in das Zimmer. „Die Pflegerin!“, keuchte sie. „Sie ist vom Balkon gefallen. Sie schien kurzsichtig zu sein und hat übersehen, dass das Geländer abgebrochen