Rentadep. Jens Otto Holländer

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Название Rentadep
Автор произведения Jens Otto Holländer
Жанр Языкознание
Серия Jo Volland
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742743282



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auf den immer noch nicht geteerten Parkplatz einbog. Die Elektromotoren hatten zweifellos ihre Vorteile.

      Vor allem wenn man ein Modell fuhr, das einem 560 PS Verbrennungsmotor entsprach.

      Er parkte, lief rüber zum Eingangsbereich, scannte sein rechtes Auge ein und die zwei Türen glitten auf, während eine warme weibliche Stimme feststellte.

      „Hallo Jo Volland, Rentadep begrüßt sie. Ihre Anwesenheit wurde zum heutigen Datum um 9.37 Uhr eingeloggt. Rentadep wünscht Ihnen einen profitablen gesunden Arbeitstag. Wünschen sie einen Schnellcheck?“

      „Nein“.

      Jo hätte am liebsten umgedreht.

      Wie hasste er dieses blödsinnige Arbeitszeiterfassungssystem. Hätte er den Check zugelassen, so hätte die Stimme sich über seinen Hauttonus und Turgor ausgelassen und ein Glas Wasser empfohlen, sein Übergewicht angemahnt, verkrampfte Schultern erwähnt und die verengten Pupillen hinterfragt usw. Aber die Leitung bestand darauf. Dabei war er Bestandteil der Firmenleitung. Fünf gesättigte, verkommene Vorstandsmitglieder, um den Vorsitzenden Kowalski, mit dem, wenn man ihn etwas kannte, naheliegenden Spitzname Asshole.

      Von hier wurde europaweit Rentadep gesteuert. Und geplant.

      Jo Volland lief zum Lift und drückte auf das dritte UG.

      Im Wartebereich und im Lift selbst, sollte eine Farborgel, die Psyche der Gäste positiv beeinflussen. Ihn nervte es.

      Kein Wunder, dass die Schwaben so erfinderisch sind und gerne tüfteln, bei dem Klima, dachte er, während ein Kamilleduft den Lift erfüllte.

      Jo war insgeheim ein Dichter, ohne den Denker, bzw. er wäre gerne einer.

      Während er nach unten fuhr dachte er nach:

      -ist Kunst Zeit/Systemabhängig?

      Würde man Kunst von heute in 1000 Jahren als solche erkennen?

      Sollte Kunst nicht das herrschende Syst. Zu entlarven suchen?

      Nachdenklich wie er war, kam ihm Charlotte in den Sinn. Er dachte daran hinter ihr zu stehen und ihr langsam den Rock hoch zu schieben. Durch das dünne Futter seiner Anzughose begann er abwesend seinen Schwanz zu streicheln… Was mache ich mir solche Gedanken? Denken nicht nur Männer mit zu wenig Sex über so etwas nach?

      Sein Schwanz wurde langsam hart. Ihm wurde bewusst was er tat und er hörte auf, sich zu befummeln. Leicht verlegen.

      Der Lift hielt und Jo, mit einer halben Latte in der Hose, entschied sich anders, steckte den Schlüssel in die Expressvorrichtung und fuhr 5 Stockwerke hoch, in den zweiten Stock.

      Fünf Minuten später saß er an seinem Schreibtisch.

      Tageslicht gab es genug, denn sein Büro, Südseite, war nach Süden und Westen nach oben komplett verglast. Ein langer Balkon zog sich um die Ecke herum, im Sommer konnte man eine Markise ausfahren und es war herrlich dort zu sitzen. Man sah in diese Richtung kilometerweit keine menschliche Behausung. Trochtelfingen, Luftlinie 7 km lag in einem Tal und war nicht zu sehen. Ein ovaler Tisch, mit 12 bequemen Sesseln schuf eine Atmosphäre, die einen Hauch von Dominanz zuließ, je nachdem, wie man die Teilnehmer platzierte.

      Die Aussicht auf die karge Landschaft war nicht sonderlich erbauend. Doch im Sommer, der Sommer auf der Alb konnte herrlich sein, aber er blieb nur wenige Wochen, stets unterbrochen von regnerischen kühlen Tagen und im Winter bei Eis und Schnee hatte die Landschaft durchaus ihren Reiz.

      Apropos Schnee. Das Kokain rief nach mehr. Und ein klein wenig H, wer sagt da schon nein?

      Braunes, afghanisches Heroin, unten im Labor von einem findigen Chemiker acetylisiert und chemisch verfeinert von Heroinbase zu Herionhydrochlorid, eignete sich nun, blütenweiß, hervorragend zum Schnupfen. Es schmolz geradezu in der Nase. Extra für ihn war ein minimaler Bananengeschmack beigefügt. Für den Affen, schmunzelte Jo.

      Generationen von Junkies, auf der Suche und um aus minderwertigem, mit allem Möglichen verstrecktem Heroingemisch den maximalen Effekt zu erzielen, spritzen sich Heroin. Die Folge waren unfreiwillige Überdosierungen, Abszesse, rasende Kopfschmerzen, Nierenschmerzen, Organschäden usw.

      Jo zog eine Schublade hervor, die in alten Zeiten Stifte beherbergt hatte. Er hatte das Fach durch eine dünne schwarze Marmorplatte ersetzt. Während er, mit geradezu meditierenden Bewegungen ein Häufchen Kokain, mit einem anderen Häufchen Heroin vermischte und mit einer Rasierklinge, in einer Goldhalterung, das Gemisch kleinhackte, dachte er nach.

      Er konnte es einfach nicht fassen. Das Memo, welches offensichtlich nicht für ihn bestimmt worden war, hatte ihn gehörig aufgerüttelt. Zwischen zwei Akten, in einem Stapel von ausgedruckten mails hatte er die Zeilen gefunden. Wo kam das her? War es ein Zufall oderwollte jemand, dass er es las?

      Er blickte einfach nicht durch. Er konnte es einfach nicht glauben. Dabei hatte ihr genialer Plan so vielversprechend begonnen und alle Erwartungen übertroffen. Zuerst hatten sie Euphorin entwickelt und er die dazu passende Hardware, den Verdampfer. Euphorin war besser als Heroin und zehnmal besser als Methadon/Polamidon oder Buprenorphin. Die Leute rissen sich darum, in ein Rentadep Euphorin Programm zu kommen. So war es relativ einfach, ihnen einen Vertrag aufzudrücken, durch den sie sich für die Dauer der Euphorinsubstitution, maximal 20 Jahre, zur Vermittlung zu lohnfreier, nicht gewerblicher Arbeit, verpflichteten.

      Rentadep, ursprünglich als Hilfsorganisation für Opiat abhängige Menschen gedacht, war offensichtlich aus dem Ruder gelaufen. Oder, um es anders auszudrücken: Wenn seine ersten Vermutungen stimmten, hatte sich Rentadep, zur am meisten menschenverachtenden Organisation Europas seit dem Dritten Reich vor hundert Jahren entwickelt. Ohne Selbstmordattentate, ohne Bomben, ohne Waffen, ohne Ideologie oder Religion, wurden Menschen abhängig gemacht, eine Zeit lang benutzt und dann eliminiert. Doch das konnte nicht wahr sein. Bleib mal ruhig, sagte er sich. Wir leben im freien Deutschland und der Zweite Weltkrieg ist über 100 Jahre vorbei. Jetzt galt es cool zu bleiben und in Ruhe ein paar Erkundigungen einzuholen. Jo Volland verdankte der Firma, die er mitgestaltet hatte, sehr viel. An dem Euphorin Patent und an dem Verdampfer, den er maßgeblich entwickelt hatte, wurden Millionen verdient, denn Euphorin wurde auch außerhalb von Deutschland zur Substitution verwendet. Hier in Deutschland verdiente man indirekt an Euphorin, man vergab es nur innerhalb des Programmes. Ein Teil davon floss auf sein Konto. Das warf man nicht über Bord und wurde illoyal.

      Die Idee kam ihnen, als Jo und Andreas über die mittlerweile gängige Praxis in den USA sprachen, den Strafvollzug zu privatisieren, was in Europa aus ethischen Gründen bisher abgelehnt wurde. Ein Knast der Profit abwerfen musste, kam schnell in Versuchung dies auf Kosten seiner Insassen zu tun. Aus dem Gespräch, der Diskussion entstand eine lebhafte Debatte, bis Jo irgendwann fragte: warum privatisieren wir nicht Abhängige und ihre Betreuung?Als sie, er und seine Clique, alle geboren kurz vor, am oder nach dem Millenium, vor 17 Jahren die Idee zu Rentadep entwickelten, war ursprünglich die Idee gewesen, den rund 95.000 Menschen die sich in Deutschland in einem Substitutionsprogramm befanden, damals noch mit Methadon, eine Möglichkeit zu geben, sich zu bilden, sozial einzubringen, aus dem Status des nutzlosen, kriminellen, bei der Bevölkerung oft als schmarotzend empfundenen, Status des Drogeninvaliden, raus zu kommen. Durch Vermittlung in Familien, oder für gemeinnützige Arbeiten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, war per Gesetz jeder Substituierte, der Euphorin wollte, verpflichtet worden, sich vermitteln zu lassen. Give and take. Die zweite Neuerung, das Benzin des Rentadepmotors war, ihnen eine Ersatzdroge zu bieten, die mehr war als der miese Heroinersatz Methadon und ein paar andere Substitute. Das sogenannte craving, das Verlangen nach der Droge, galt es zu befriedigen. Bisherige Ersatzmittel hatten zwar zuverlässig jegliche Entzugssymptomatik unterdrückt, brachten aber für den Gebraucher keinerlei gutes Gefühl. Ganz im Gegenteil. Heftige Nebenwirkungen, wie extremes Schwitzen, Schlafstörungen u.v.m. Jahrzehntelang hatte quasi jeder Methadonpatient daher Beikonsum von Drogen, die sie ja ersetzen sollte, von Alkohol und Tabletten.

      Das wollten sie endlich ändern. Daher hatten sie sich zusammengesetzt und innerhalb weniger Monate Euphorin entwickelt. In Windeseile waren die Genehmigungsverfahren durchlaufen und es sprach sich bei den Abhängigen herum, was für ein super Stoff Euphorin war.