Das Brustgespenst. Patricia Causey

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Название Das Brustgespenst
Автор произведения Patricia Causey
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742773678



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von denen wir so etwas am wenigsten erwarten?

      Er hatte versucht, sich zu erschießen, doch sogar dafür war er zu tollpatschig. Er benutzte eine Pistole mit einem zu kleinen Kaliber und setzte diese dann zu weit vorne an. Er schoss sich damit buchstäblich das Augenlicht aus. Es wäre eigentlich zum Lachen, wenn es dabei nicht gleichzeitig zum Heulen wäre.

      Kapitel 4

      Endlich werde ich aufgerufen, und nun begegne ich Frau Dr. Seifert, die gleichzeitig Feuerwehr und Trauma-Team in einer Person ist. Mein erster Eindruck ist, dass sie auf dem Foto größer schien, aber ansonsten erkenne ich sie sofort wieder. Noch während der Begrüßung möchte ich ihr mitteilen, dass ich sie gegoogelt habe und nun weiß, was sie kann. Sie schüttelt meine Hand und erwidert mein Lächeln: „Sie haben mich bestimmt schon gegoogelt“.

      Ich bin total baff und weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Dann fangen wir beide gleichzeitig an zu lachen. Ich mag sie bereits, und es wundert mich nicht, dass sie es wahrscheinlich darauf abgesehen hatte, mit diesem Spruch. Aber nun sei’s drum, denn sie hat mich damit voll erwischt. Sie weiß offenbar ganz genau, was sie da tut. Sie scheint das Thema ihrer Dissertation verinnerlicht zu haben, und bei mir hat sie damit vollen Erfolg. Die kleine Auflockerung führt nämlich gleich zu Beginn dazu, dass ich mich nun auf den Inhalt dieser Besprechung konzentrieren kann.

      Sie berichtet mir, dass sie die Bilder aus der Computertomografie ausgewertet hatte. Darauf konnte sie jedoch nicht sehen, um was es sich nun wirklich handelte. Sie erklärt mir nun, dass das Objekt ungewöhnlich tief liegt. Normalerweise, erklärte sie, würde sie in derartigen Fällen eine sofortige operative Entfernung empfehlen, um daraufhin eine Biopsie zu machen. Jedoch würde dieser Schritt in meinem Fall aufgrund der Lage des Objektes einige Gefahren mit sich bringen. Darum möchte sie mit einer langen, dünnen Nadel ein Stück des Gewebes herausnehmen, um die Biopsie durchführen zu können. Danach würde endlich Klarheit herrschen, und die nächsten Schritte könnten besser geplant werden. Sie hebt jedoch während des Gespräches hervor, dass dieses Vorgehen auch seine Vorteile hat, denn ich würde somit schneller Bescheid wissen.

      Die Biopsie möchte sie am liebsten sofort durchführen, und das Resultat würde bereits in zwei Tagen vorliegen.

      Bei einer operativen Entfernung müsste ich mindestens drei Wochen warten. Ihre Erklärung erleichtert mich. Zudem klärt sie mich auf, dass sie nochmals ein Blutbild machen möchte. Diesmal wüsste sie nun, wonach sie suchen sollte.

      Ich lasse die ziemlich schmerzhafte Gewebeentnahme über mich ergehen. Dabei lasse ich mir nichts anmerken. Die Kriegerin in mir kommt wieder zum Vorschein. Anschließend nimmt mir eine Praxisassistentin noch einen gefühlten Hektoliter Blut ab, bis ich dann gehen darf.

      Im Bus mache ich mir Gedanken, wie ich das nun Uwe sage, schließlich muss er davon heute wissen. Länger verschweigen wollte ich es ihm gegenüber nicht, denn dies wäre sehr unfair gewesen. Andersherum, wenn es Uwe wäre, der eine Verdachtsdiagnose bekommen hätte, würde ich es auch gerne wissen wollen. Ja, ich wäre ihm sogar böse, wenn ich es erst später erfahren würde. Als Partner möchte man für seinen Schatz da sein und Unterstützung bieten können. Niemand sollte mit einer solchen Angst allein sein. Zudem wird er das Pflaster an meinem Finger und das an meiner Brust zu sehen bekommen. Wenn ich wieder mit einer faulen Ausrede kommen würde, dann würde ihn das verletzen. Das hatte er nicht verdient.

      Während der Bus an einer roten Ampel hält, kommt mir plötzlich ein Gedanke, und ich ärgere mich, dass ich Frau Dr. Seifert in ihrer zweiten Funktion, der als Trauma-Team, nicht nach einem guten Rat gefragt habe. Einen Rat dahingehend, wie man so etwas am besten angeht. Mit einem Satz ähnlich wie „Hallo Hase, ich habe vielleicht Krebs“ würde ich nur erreichen, dass der Arme sich vor Sorgen verrückt macht. Im Bus grübele ich noch darüber, ob ich es ihm vielleicht doch lieber verschweigen sollte, zumindest, bis ich Gewissheit habe.

      Kapitel 5

      Es ist jetzt genau 18.12 Uhr, und Uwe müsste jeden Moment durch die Tür kommen. Ich sitze am Esstisch und schaue wie eine Löwin fokussiert auf den Wohnungseingangsbereich. Ich habe mir jedes Wort drei Mal überlegt, was ich ihm sagen will. Habe es in Gedanken wieder gestrichen, geändert und dann doch wieder in meinen Vortrag mit aufgenommen. Ich muss unbedingt mit Uwe reden, denn zwei Tage lang verschweigen kann ich es sowieso nicht. Uwe hatte gestern schon bemerkt, dass ich ihn bei etwas angeschwindelt hatte. Aus gutmütiger Rücksicht hat er es gut sein lassen.

      Die Uhr zeigt nun 18.16 Uhr. Wo bleibt er bloß, frage ich mich ungeduldig. Wäre er mit seinen Kollegen noch etwas trinken gegangen, dann hätte er mir bestimmt eine SMS geschickt. Uwe bleibt in der Regel nie weg, ohne mir vorher Bescheid zu geben, wohin er gegangen ist. Geduld … bestimmt ist er gleich da. Ich setze mich kerzengerade hin, als das vertraute Schlüsselgeräusch an der Tür zu hören ist. Eigentlich liebe ich dieses Geräusch, denn es erfüllt mich abends mit einer wohligen Wärme und der Gewissheit darin, dass mein Geliebter wieder bei mir ist. Doch heute spannt es mich nur noch mehr an.

      Uwe tritt durch die Tür und lässt sogleich seinen Standardspruch los, als er mich sieht. „Hallo mein Bienchen, hast du den Krieg gewonnen?“ Wenn man diesen Blödsinn über Jahre hinweg jeden Abend hört, sollte es einem eigentlich schon ziemlich auf die Nerven gehen. Trotzdem muss ich immer wieder schmunzeln, nur eben heute kann ich nicht einmal das.

      „Hallo Hase, ich habe auf dich gewartet. Ich muss dir etwas Wichtiges erzählen“, entgegne ich ihm.

      Uwe legt seine Jacke ab und schaut über die Schulter hinweg zu mir herüber.

      „Wusste ich doch, dass etwas nicht stimmt. Ich hab’ es mir schon gestern Abend gedacht. Aber ich wollte nicht nachfragen, da du so abwesend warst. Ist etwas passiert?“

      Ich deute ihm an, sich zu mir zu setzen. Er stellt noch schnell eine kleine Einkaufstüte in die Küche und setzt sich dann zu mir hin. Ich sollte nun meinen Vortrag halten, doch stattdessen breche ich in Tränen aus.

      Gemeinsam auf dem Sofa sitzend, hält Uwe mich fest umschlungen. Nachdem endlich alle angestauten Tränen aus mir herausgekommen sind, kann ich ihm schließlich erzählen, was los ist. Er beweist wie immer seine Feinfühligkeit und hört einfach nur zu. Man würde in so einer Situation vielleicht erwarten, dass der Partner beschwichtigt und Dinge sagt wie „es wird schon nichts sein.“ Aber nicht bei Uwe, denn er hat sofort gemerkt, dass ich mir des Ernstes der Lage bewusst bin und solche Plattitüden mich nun nicht beruhigen können.

      Gestern Abend hatte ich mich selbst damit beruhigen wollen, dass schon nichts sein würde. Aber das Ding in der Brust ist nun einmal da. Und wenn es mir auch niemand anders gesagt hat, so deuten doch alle Indizien darauf hin, dass das Ding eben nicht „nichts“ ist.

      „Übermorgen also?“, erkundigt sich Uwe bei mir. „Ich werde mir dafür freinehmen und komme mit dir mit. Keine Widerrede.“ Er hatte schon wieder bemerkt, dass ich ihn beschwichtigen wollte. Das lag nur daran, dass ich ihm keine Angst machen wollte. Aus diesem Grund hatte ich am Nachmittag so mit mir selbst darum gerungen, ob ich es ihm sagen sollte oder nicht.

      Bei Uwe jedoch nützt das alles nichts, denn er ist zu stark und zu clever dafür, um ausgetrickst zu werden. Ich, die Kriegerin, hatte einen echten Krieger wie ihn abbekommen. Natürlich würde er es mit der Angst zu tun bekommen, doch er hatte nie sich selbst in den Mittelpunkt gestellt. Noch nicht ein einziges Mal, seitdem ich ihn kenne, hatte ich dabei das Gefühl, dass er so etwas wie Selbstmitleid auch nur kennt. Besonders bei mir stellte er meine Bedürfnisse immer vor die seinen. Das machte mich manchmal wahnsinnig. Wenn wir unseren Urlaub planten, hatte ich nicht einmal das Gefühl, dass er selbst eine Idee darüber hatte, wohin er gerne reisen würde.

      Er machte sich vielmehr Gedanken darum, wo es mir denn am besten gefallen würde. Ich konnte ihm zwar das Rauchen abgewöhnen, und auch habe ich ihm beigebracht, seine dreckige Wäsche nicht überall herumliegen zu lassen, doch ein bisschen mehr an sich selbst zu denken, dies konnte ich ihm nie beibringen. Es muss eine angeborene Eigenschaft von ihm sein. Nur ließ er sich auch gerne