Lord Geward. Peter P. Karrer

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Название Lord Geward
Автор произведения Peter P. Karrer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847617402



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Schwert: auch eine tödliche, manchmal verstümmelnde Waffe. Eine Waffe, die auch einzig und allein dafür gefertigt wurde, um einen Gegner zu töten. Einen Gegner, der einem gegenübersteht, dem man in die Augen sieht. In Augen in denen man die eigene Angst erkennt. Augen, die sich nach dem Schlag in Todesangst verzerren. Eine Waffe, die, wenn sie getötet hat, blutverschmiert und schwer in den eigenen Händen liegt. Blut, das riecht, das warm fließt, oft sogar über die eigenen Hände, die den tödlichen Schlag ausführten. Blut, das klebt und einen lange an den Tod und die grausame Verstümmelung erinnert. Das einem zuschreit: »Du hast getötet, Du bist ein Mörder!«

      Wie sauber ist da doch eine Panzerfaust.

      Ich muss den Gegner nur anvisieren, muss nicht die Angst in seinen Augen sehen, muss nicht sein vergossenes Blut von mir abwaschen, muss nicht seine Sorgen teilen.

      Was für ein Fortschritt!

      Eine moderne Waffe. Tödlicher und grausamer als mein Schwert und doch eine saubere Waffe. Ein kurzer Zug am Abzug und alles ist vorbei.

      Diese „saubere Waffe“ hat nichts in dieser Welt zu suchen.

      Habe „ich“ etwas in dieser Welt zu suchen?

      Wenn ich mit einem Schuss beide Fahrzeuge treffe, sind diese Waffen für immer aus dieser Welt verschwunden.

      In Plänen versunken, weicht der Tag der nächsten Nacht, die mit dem zunehmenden Mond von Nacht zu Nacht heller wird. Ich bin zum unsichtbaren Schatten des Tross geworden und rechne mir aus, in zwei, höchstens drei Nächten, genügend Licht zum Zielen zu haben und doch nicht entdeckt zu werden.

      Drei Nächte später, zwei Täler weiter ist es so weit. Ich liege auf einer Anhöhe in hüfthohem Gras und warte auf die hereinbrechende Nacht, die Nacht des Todes. Jede Sehne meines Körpers ist bis zum Zerreißen gespannt.

      Zweifel blitzen auf und verblassen wieder. Werde ich beide Fuhrwerke treffen? Werde ich viele Menschen töten? Funktioniert meine Waffe und bediene ich sie richtig? Habe ich das Recht, so in den Ablauf der Zeit einzugreifen? Bin ich ein Zeitreisender, der ein Paradoxon auslöst? Vernichte ich vielleicht nicht nur die schweren Kriegswaffen, sondern auch die Zukunft, meine Zukunft?

      Jetzt ist es dunkel genug. Ich robbe los.

      Das verdammte Gras verursacht einen Lärm, der mir in den Ohren dröhnt. Hoffentlich bilde ich mir das nur ein! Noch vorsichtiger schleiche ich weiter.

      Jetzt bin ich am Ziel, bin in der optimalen Entfernung.

      Die beiden Gefährte stehen perfekt, fünfzig Meter von mir weg, parallel zu mir, nebeneinander.

      Ich bereite meine Ausrüstung vor und konzentriere mich ausschließlich auf meine Aufgabe, will nicht mehr denken, will keine Folgen mehr berücksichtigen, will keine Zeit mehr verlieren, will es nur hinter mich bringen.

      Ich atme aus, atme ein, dann drücke ich ab.

      Ein Zischen reißt mich aus meiner Konzentration. Zu spät denke ich daran meinen Kopf wegzudrehen. Der heiße Feuerstrahl verbrennt mir Augenbrauen und Teile meiner Haare. Realisieren werde ich das erst später.

      Jetzt erschüttert ein unglaublicher Knall, gefolgt von unzähligen Explosionen die Nacht, die sich augenblicklich taghell erleuchtet.

      Ich höre Männer, teils im Todeskampf teils um Orientierung bemüht, wild durcheinander schreien und sehe sie mit abgerissenen Gliedmaßen in wilder Panik ziellos durch die Gegend laufen oder Kriechen.

      Nein, diese Waffe ist keine saubere Waffe.

      Ich möchte mich wegdrehen, möchte das Grauen unten im Tal nicht sehen, aber ich bin wie gelähmt. Gebannt muss ich immer noch hinab sehen, muss jedes Detail sehen. Muss... muss, auch wenn ich nicht will.

      Immer noch gewaltigere Explosionen vernichten jedes Leben dort unten.

      Eine gewaltige Welle aus Feuer und Hitze, die langsam, aber unaufhaltsam zu mir herauf zieht, überfällt mich im Gesicht, wie ein Topf siedendes Wasser.

      Immer noch laufen einige wenige Männer wie brennende Fackeln, in wilder Panik, um Hilfe schreiend, durcheinander.

      Mein Gott, beende dieses Horrorspiel. Hilf mir, Gott!

      Immer noch kann ich meine Augen nicht von diesem entsetzlichen Grauen wenden.

      Tod, Feuer und immer neues Leiden.

      Dann sehe ich das unfassbare...

      Die andauernden Druckwellen der schweren Detonationen, lösen gegenüber einen Murenabgang aus.

      Mein Gott, der ganze Hang bewegt sich.

      Ein Hang groß wie ein Berg, bewachsen mit Bäumen und Sträuchern, rutscht nach unten. Immer schneller und schneller bewegt sich die alles vernichtende Masse. Das Geräusch der langsam abklingenden Explosionen wird durch das Donnern der Geröllmassen, die immer schneller werden, abgelöst. Riesige Felsen, die sich ihren Weg nach unten bahnen. Felsplatten, mindestens fünfzig Quadratmeter groß, reißen Bäume wie Streichhölzer aus und mit sich in die Tiefe.

      Ein unvorstellbarer Berg an Geröllmasse begräbt Männer, Pferde und Wagen unter sich.

      Am Ende schwebt nur noch eine Wolke aus Rauch und Staub über dem grausigen Ereignis.

      Es ist absolut still, nichts ist zu hören, nicht einmal ein Vogel wagt die Ruhe des Sterbens zu unterbrechen.

      Es ist still, totenstill.

      Was habe ich getan?

      Mein Gott, was habe ich nur getan.

      Ich hoffe, alles nur geträumt zu haben und bete, ich möchte aus diesem Albtraum erwachen, aber ohne Erfolg.

      Endlos lange verharre ich reglos auf der Stelle.

      Niedergeschlagen, traurig, ohne eine Spur von Stolz, mein Ziel erreicht zu haben, trete ich den Rückweg an.

      Die restliche Nacht verbringe ich in tiefer Depression.

      Im Morgengrauen beginne ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich mit Inbrunst zu beten. Auch meine Gebete sind wirr und irre. Meine Gebete helfen nicht das Erlebte zu verarbeiten, aber sie bringen mich immerhin zurück ins Leben. Ich weiß nicht zu wem, oder zu was ich bete, aber ich bete.

      Ich sehe mir das Schlachtfeld aus der Nähe an. Ich weiß nicht warum, aber ich muss die Folgen meines Verbrechens sehen, muss mich vergewissern.

      Beinahe glaube ich, alles nur geträumt zu haben. Nichts erinnert mehr an die Karawane, keine Wagen, keine Menschen, keine Tiere, nur eine riesige Geröllfläche.

      Der Deckel eines Massengrabes.

      Ich habe Menschen, so viele Menschen getötet. Ich wollte doch nur andere Menschen schützen, wollte niemanden töten, nur die Waffen vernichten.

      Mein Gott, wie soll ich damit leben?

      Ich sehe Kinder, die nach ihren Vätern schreien; Mütter die um ihre Kinder trauern.

      Eine alte Frau ruft nach ihrem Bruder, der sie seit acht Jahren versorgt, ihre Windeln wechselt, sie umbettet, wäscht und mit Brei füttert. Die gelähmte Frau, dessen Bruder ich mit vielen anderen getötet habe, ruft, winselt, fleht. Die halb toten Lippen formen immer wieder die selben Worte: »Heiner, Heiner, wo bist du? Heiner, wann kommst Du zurück? Heiner, hilf mir bitte. Hilfe, Heiner Hilfe, Hilfe!«

      Die schrecklichen Bilder der Angehörigen verfolgen mich immer noch. Ich muss dagegen kämpfen. Wieder höre ich »Hilfe!«, kann mich nicht losreißen »Hilfe!«, kann keinen Abstand zu meinen Horrorphantasien schaffen: »Hilfe!« und wieder »Hilfe!«. Nein, ich phantasiere nicht, ich bin hell wach und wieder höre ich leise aber deutlich »Hilfe!«

      Hier ist ein Mensch, der noch lebt und meine Hilfe benötigt.

      »Hilfe!«

      Ich drehe mich um, suche, horche; ja hier unter einer riesigen ausgerissenen Wurzel bewegt sich eine Hand.

      Mit meinem Schwert hacke ich in