Hitzemond. Oliver Fehn

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Название Hitzemond
Автор произведения Oliver Fehn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847606789



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ich weiterhin deine Freundin bleibe, sagen sie, komme ich ins Internat.“

      Es war ein schwüler Tag, wir waren barfuß und trugen kurze Hosen, aber ich stand auf und schloss das Fenster, damit jene elektrische Kälte nicht eindrang, die nur von der Sonne kommen konnte.

      „Müssen wir uns in Zukunft eben heimlich treffen“, sagte ich.

      Sie schluchzte noch lauter. „Das wird nicht klappen. Ich hab Hausarrest bekommen. Nach der Schule werde ich sofort abgeholt, und am Nachmittag muss ich zu einem Studienkreis für Nachhilfe, der eine Menge Geld kostet und deren Mitarbeiter sofort die Eltern verständigen, wenn jemand fehlt. Eigentlich bin ich nur gekommen, um meine Sachen zu holen.“

      Sie umarmte mich, und ihre Tränen tropften auf meine Schulter wie heißer Regen.

      Da drehte ich mich um, Schmuddelbuddel, und du blicktest mich an.

      Und mit einem Mal wurde mir klar, dass du uns die ganze lange Zeit nur zugesehen hattest. All jene Tage, Wochen, Monate ...! Ohne auch nur ahnen zu können, wann das alles je ein Ende nehmen sollte. Es musste entsetzlich für dich gewesen sein.

      Vielleicht hattest du ja manchmal versucht, mit mir zu reden, und ich hatte dich nicht gehört. Nachts war ich ganz allein gewesen, Schmuddelbuddel, und hatte an Mona gedacht und von Mona geträumt, und du bist vielleicht durch die Straßen geirrt, wo die Ratten und Penner sind, und wo du mit niemandem reden konntest.

      Verzeih mir, Schmuddelbuddel, aber ich hatte dich wirklich vergessen.

      „Warum sagst du denn nichts?“ fragte Mona. „Ist es dir egal, dass ich nicht mehr kommen darf?“

      Armer Schmuddelbuddel, wie oft musstest du geweint haben im Regen. Ich setzte mich zu dir und kraulte dir das Fell. Du lehntest den Kopf an mein Knie und flüstertest, alles vergessen, alles wieder gut. Wirklich, ich konnte nicht begreifen, was ich getan hatte.

      „Was machst du da?“ fragte Mona und wich zurück, als wäre ich vom Teufel besessen.

      „Das ist mein Freund Schmuddelbuddel“, sagte ich. „Gefällt er dir? Man kann wirklich toll mit ihm spielen.“

      Mona rümpfte die Nase und entblößte ihre spitzen Zähne. Hätte sie jetzt noch gepiepst, hätte sie die perfekte Ratte abgegeben.

      „Aber ... da ist doch gar niemand.“

      Du siehst, es war bei allen immer das gleiche.

      „Bist du dir da ganz sicher?“ fragte ich. „Dann musst du blind sein, Mona. Er kann dich nämlich recht gut sehen – stimmt’s, Schmuddelbuddel?“

      Du nicktest.

      Sie ging einfach hinaus. Sagte kein Wort mehr und machte die Tür so leise zu, als dürfe sie mich nicht erschrecken. Vor dem Haus wartete bereits ihre Mutter. Als sie am Fenster vorbeiliefen, wusste Mona viel zu erzählen.

      Am nächsten Morgen wusste es die ganze Klasse. Schon als ich ins Klassenzimmer kam, spürte ich die ersten höhnischen Blicke; dann machte einer von ihnen den Mund auf, dann der nächste, und zuletzt fielen sie alle über mich her. Darf ich deinen Freund Kuddelmuddel auch mal kennen lernen? Ist Schnurzelpurzel ein Männchen oder ein Weibchen? Welche Farbe hat er? Vermehrt sich so was?

      Du kannst dir vorstellen, was für eine Hölle das war. Mona selbst mischte sich nicht ein, aber ich wusste, dass sie an allem schuld war. Schließlich hatte sie dich als einzige mit eigenen Augen gesehen. Ich hasste sie.

      An jenem Tag wurde ich besonders häufig aufgerufen. Doch die Lehrer waren seltsam freundlich zu mir; sie lächelten nur und nickten, wenn ich mal wieder keine Antwort wusste. Und verdammt, nicht mal die simpelsten Dinge fielen mir heute ein. Die anderen höhnten: Lass dir’s doch von Hottelzottel erzählen, der ist bestimmt nicht so bescheuert wie du. Und dann wieder: Hat er vier Beine? Frisst er gern Bananen? Seid ihr gar zwei warme Brüder?

      Als ich heimkam, erzählte ich dir alles, und wir konnten nicht mal darüber weinen. Die ganze Nacht taten wir kein Auge zu, sondern redeten nur und redeten, und am nächsten Tag war es genauso. Ich hatte Angst, bei so wenig Schlaf krank zu werden. In der Schule rieselte vor meinen Augen silberner Staub herab, und obwohl die anderen noch immer über mich herzogen, war ich jetzt zu müde, um mich zu wehren. Denn besser geworden war nichts. Außer vielleicht, dass die Lehrer mich plötzlich nicht mehr aufriefen. Nicht einmal mehr, wenn ich mich meldete. Vielleicht wollten sie mich ja endlich in Frieden lassen.

      Einen Tag später, ein Mittwoch war’s, kam ich in die Küche, und Mutti und Vati studierten mit ernstem Gesicht einen Brief. Sie hatten ihn so hingelegt, dass ich ihn sofort sah und sie gleich damit anfangen konnten. Er trug den Stempel der Schule.

      „Angst könnte man bekommen vor dir“, sagte Vati.

      Mutti nickte. „Du siehst und hörst Dinge, die es gar nicht gibt; du bist unkonzentriert und kannst dich für nichts begeistern. Jedenfalls für nichts, was mit Schule zu tun hat. – Nun sei doch mal ehrlich mit uns: Was hat es mit jenem komischen Freund auf sich, den du dir da ständig einbildest?“

      Ich wollte dich auf keinen Fall verleugnen.

      „Schmuddelbuddel ist oben“, rief ich. „Ich bilde ihn mir nicht ein. Er sitzt in meinem Zimmer und wartet auf mich.“

      Vati sah Mutti an.

      „Na schön“, seufzte er kraftlos.

      Dann stand er auf und strich mir übers Haar.

      Das war seltsam.

      Verzeih mir, Schmuddelbuddel, aber ich musste es tun. Sie haben mir keine andere Wahl gelassen. Du ahntest nicht, was für ein Ding ich da in der Hand hielt, als ich auf dich zielte. Im Zuckerwatteland gibt es keine Gewehre. Du gucktest nur neugierig, wie immer, wenn ich dir ein neues Spielzeug zeigte. Dann drückte ich ab, und du zucktest nicht einmal. Deine Augen schlossen sich wie Blütenkelche, dann sankst du in meine Arme, und alles war vorbei.

      Du musst mich verstehen. Ich weiß, dass du ohne mich vor Einsamkeit gestorben wärst.

      Wie die neue Schule sein wird, weiß ich noch nicht. Sie sagen, dass ich immerhin viermal im Jahr nach Hause darf, zu den großen Ferien sogar für sechs Wochen. Aber jetzt, wo du nicht mehr hier bist, spielt das alles keine Rolle mehr.

      Heute Abend, wenn die Sonne tief steht, werde ich dich begraben, auf dem Sumpfland hinter der alten Pferdescheune. Und ein paar Dotterblumen werde ich pflücken und sie dir aufs Grab streuen. Vielleicht schnitze ich dir sogar ein Kreuz. Denn wenn ich das nächste Mal nach Hause komme, wird schon Winter sein, und wie soll ich dein Grab im Schnee sonst wiederfinden?

      Ob du mich noch hören kannst, weiß ich nicht. Manchmal, wenn ich jetzt mir dir rede, ist es noch genau wie früher, als du noch lebtest und mit mir herumtolltest. Aber dann ist es auch wieder ganz anders. Vielleicht weil keiner mehr hier ist, der mir antwortet.

      Sie sagen, in der neuen Schule werde ich viele Jungs und Mädchen treffen, die auch so sind wie ich. Na, da bin ich ja mal neugierig. Ob sie auch alle einen Freund hatten, den keiner mochte? Ob sie ihn auch töten mussten? Ob sie deshalb auch so traurig sind wie ich?

      Ich werde sie auf jeden Fall fragen.

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