Treppe zum Licht. Silke May

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Название Treppe zum Licht
Автор произведения Silke May
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656005



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wenn alle den Berg verließen«, vermutete Alwin.

      »Warum denn aussterben?«

      »Weil sich die Gomas mit den Menschen verschmelzen würden, dadurch gäbe es immer weniger von ihnen.«

      »Ja, das wird es wohl sein«, pflichtete ihm Solana bei.

      Auf dem Heimweg hatte Alwin seinen Arm um Solanas Taille gelegt. Bald ließen sie das Dorf hinter sich und gingen den Berg hinauf in Richtung Hof. Solana spürte die Wärme, die von seinem Arm ausstrahlte, und fühlte sich sehr wohl. Immer wieder sah sie Alwin an und immer wieder musste sie feststellen, dass er ihr sehr gefiel, obwohl er das pure Gegenteil von Janis war.

      Sie befanden sich jetzt auf dem schmalen Bergweg und konnten von Weitem schon den Bauernhof sehen. Als sie sich näherten, sah Solana plötzlich einen Mann aus dem Haus treten, der nicht Gor war. Sie durchfuhr ein eisiger Schreck, als sie erkannte: Es war ihr Vater. Solana blieb schlagartig stehen.

      »Mein Vater!«

      »Wo?«

      »Der Mann, der vor eurem Haus steht!«

      »Wie kann das sein? Ich dachte, die Gomas verlassen normalerweise den Berg nicht?«

      »Das dachte ich auch. Vielleicht sucht er mich?«, rätselte Solana.

      Alwin schob sie hinter einen Busch.

      »Warte hier, bis ich dich hole.«

      Er lief weiter zum Bauernhof, während Solana von ihrem Versteck aus alles beobachtete. Der Weg war noch ein ganzes Stück lang, und als Alwin am Hof ankam, ging Sota bereits bergaufwärts davon. Alwin betrat die Stube. Sein Vater saß am Tisch und trank eine Tasse Tee.

      »Wer war das?«

      Gor setzte die Tasse ab und fragte: »Wen meinst du?«

      Alwin sah seinen Vater fragend an.

      »Natürlich den Mann, der gerade hier war, wen denn sonst?«

      Gor stutzte und antwortete dann lapidar:

      »Den kennst du nicht.«

      »Das weiß ich auch, aber kennst du ihn?«, bohrte sein Sohn nach. Gor nickte knapp: »Ja.«

      In Alwin stieg langsam die Ungeduld hoch.

      »Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«, rief er ziemlich aufgebracht.

      »Er heißt Sota und er ist …« Gor unterbrach sich abrupt und schwieg.

      »Er ist …? Jetzt sag schon, mach es nicht so spannend!« Gor seufzte.

      »Wo ist Solana?«

      »Sie hat sich vor ihrem Vater versteckt.«

      »Ich möchte mit euch beiden reden. Hol sie!«, bat Gor. Alwin machte auf dem Absatz kehrt.

      »Okay!«

      Eilig verließ er das Haus, denn er war überaus neugierig, was sein Vater ihnen berichten wollte. Schnell lief er den Berg hinunter und rief schon von Weitem:

      »Solana komm, mein Vater will mit uns reden!«

      Die junge Goma verspürte ein unangenehmes Gefühl. Sie befürchtete, dass sie nichts Gutes erfahren würde, und zögerte. Aber Alwin nahm sie an der Hand und zog sie mit sich.

      Als sie die Stube betraten, stand bereits heiße Schokolade auf dem Tisch. Solana stellte die Tüten neben der Tür ab und nahm Platz.

      »Hallo Solana, hast du was Schönes zum Anziehen gefunden?«, fragte Gor freundlich und sie bestätigte es.

      »Jetzt erzähl schon!«, unterbrach ihn sein Sohn neugierig.

      »Also gut, was ich euch erzählen werde, ist eine etwas längere Geschichte. Sie liegt auch schon sehr lang zurück. Der Mann, der gerade hier war, hat gezielt nach dir gefragt, Solana.

      Er wollte wissen, ob ich dich gesehen habe, was ich natürlich verneint habe. Sota bat mich, oder besser gesagt, er befahl mir, dich hier festzuhalten und einzusperren, falls ich dich irgendwo entdecken würde.«

      »Vater, woher kennst du Sota?«, wollte Alwin wissen. Gor winkte beruhigend ab.

      »Dazu komme ich jetzt gleich, mein Sohn. Sota ist mein Bruder.« Solana gab einen kurzen Aufschrei von sich.

      »Keine Angst, Solana, hier wird dir niemand etwas tun. Bei uns bist du in Sicherheit, ich gebe deine Anwesenheit nicht preis.« Dabei streichelte ihr Gor- väterlich über die Hand. Er dachte einen Moment nach, ehe er ruhig weitersprach:

      »Ich selbst habe bis zu meinem zwanzigsten Geburtstag im Berg gelebt. Einen Tag vor meiner geplanten Verschmelzung mit Jule … flüchtete ich aus dem Berg. Ich liebte nämlich Jana, aber sie war noch zu jung für mich. Weil wir Männer bis zu unserem zwanzigsten Geburtstag verschmolzen werden müssen, kam nur Jule infrage. Also verließ ich kurzerhand den Berg, denn ich wollte lieber sterben, als mit der falschen Frau verschmolzen werden.

      Als ich merkte, dass mir außerhalb des Berges gar nicht passierte, bereute ich, dass ich Jana nicht mitgenommen hatte.

      Nach mehreren Monaten spürte Sota mich auf. Zuerst wollte er mich töten, doch dann brachte er es nicht fertig – oder vielmehr, er erkannte den Vorteil, den ich ihm bringen konnte. Seither versorge ich ihn und sein Volk mit Lebensmittel und Textilien. Normalerweise kommt er- oder ein anderer Goma, in den Vollmondnächten, aber gelegentlich auch am Tag, so wie heute.«

      Alwin und Solana hatte es die Sprache verschlagen. Sie starrten Gor beide an, als er leise zu Solana sagte: »Wir sind aus einer Familie, na, was sagst du jetzt?«

      »Mir fällt nicht viel dazu ein, außer dass es schön ist«, entgegnete sie schulterzuckend.

      Alwin warf ihr einen enttäuschten Blick zu:

      »Das sagst du doch nur, weil du nicht weißt, was es bedeutet.«

      Gor sah ihn daraufhin verwundert an.

      »Gibt es etwas, das ich vielleicht wissen sollte, mein Sohn?«

      Doch Alwin schüttelte den Kopf und so erzählte Gor weiter, während er beide immer wieder abwechselnd ansah.

      »An meinem dreißigsten Geburtstag im „schwarzen Ochsen“ habe ich Helen, deine Mutter, kennengelernt. Wir verliebten uns ineinander und es dauerte nicht lange, und du wurdest geboren, Alwin. So viel zu meiner Vergangenheit.«

      Dann wandte sich Gor an Solana: »Bei uns wirst du immer sicher sein, aber außerhalb des Hofes musst du selbst auf dich aufpassen!«

      »Glaubst du denn, dass Vater mich töten würde?«, fragte sie erschrocken. »Ich denke ja!« Fragend sah sie Gor an.

      »Aber dich hat er nicht getötet!«

      »Nein, aber von mir profitiert er ja auch. Er bezahlt mir nichts für die Ware, die ich ihm besorge. Zugegeben, hin und wieder bringt er mir ein paar schöne Bergkristalle mit, aber das kommt nicht sehr oft vor. Immerhin sind sie so groß, dass ich sie jedes Mal gut verkaufen kann.«

      »Warum gibst du die Ware umsonst her? Wir sind doch auch nicht reich!«, warf Alwin ein.

      »Aus alter Verbundenheit. Du darfst nicht vergessen, ich bin ein Goma.«

      »Das stimmt«, sagte Alwin nachdenklich.

      »Kannst du irgendwann wieder einmal in den Berg hineingehen?«

      »Nein! Nie wieder! Nicht einmal in die Nähe, sonst würde man mich töten«, rief Gor vehement, »schließlich weiß nur Sota und sein eng vertrauter Wächter, dass sie von mir leben.« Dann stand er auf.

      »Und jetzt muss ich in den Stall, denn es ist Zeit, die Ziegen zu melken.«

      »Soll ich dir helfen?«, fragte Solana, aber Alwins Vater verneinte rasch und verließ die Stube. Der Junge selbst war immer noch leicht benommen von den Neuigkeiten. Er sah Solana schweigend an.

      »Ich ziehe mir jetzt etwas