SAVANT - Flucht aus Niger 2. Michael Nolden

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Название SAVANT - Flucht aus Niger 2
Автор произведения Michael Nolden
Жанр Языкознание
Серия SAVANT - Flucht aus Niger
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752906424



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Schmutz in meine Nase, in die Lunge, alles, bloß keinen Sauerstoff. »Lasst mich raus!« Ich reagiere nur noch auf die Enge in der steinernen Kammer, die von den anderen abgestrahlte Hitze, den Schweiß, der alles miteinander verklebt. Ein Stoß befördert Bertrand halb von mir weg, ein Tritt kippt Guillaume zur Seite und verschafft mir einen Ausweg. Da hindurch wühle ich mich an dem Targi vorbei, keuchend, getrieben von einem Puls mit ungefähr einhundertachtzig Umdrehungen und dem Presslufthämmern in meinen Schläfen. Nach zehn Metern oder mehr wälze ich mich schwach über den Boden. Die Schmerzen werden nebensächlich. Luft. Atmen. Luft –

      »Eddie? Alles in Ordnung, Eddie?« Bertrand sinkt neben mir auf die Knie.

      Ich versuche mit trockenen Lippen gegen die Angst zu pfeifen. Das Ergebnis ist ein monotoner, arg dürftiger Laut. Der höchstens Angst macht. »Jetzt wieder.« Meine Stimme klingt nach Absteige, Vorhof zur Hölle, bedrohter, als wir es tatsächlich waren. »Tut mir leid. Ich bin da drin fast verrückt geworden.«

      »Claude!« Und wieder ist es der Schrei der weißen Frau, der uns in eine Realität zurückholt, in der die eigenen Befindlichkeiten keinen Platz haben! – Und wie recht sie hat! Wenn es um Kinder geht –

      Kapitel 2: Sturz in die Finsternis

      [Nathalie Pagnol]

      Claude entgleitet meiner Hand lautlos und wortlos und rutscht in die Dunkelheit hinab, von der ich nicht weiß, wie weit sie reicht. Vau gibt panische Schreckensrufe von sich und läuft auf allen Vieren auf einem Felsgrat hin und her. Mein Schrei war überflüssig, er hat Pascale und César in Panik versetzt; Claude ist taub, er konnte ihn nicht hören, noch animieren, erneut nach meiner Hand zu greifen. Vau schwingt die Arme über die Schwärze unter uns. Zu erkennen ist nichts. Gar nichts. Selbst nach längerem Hinsehen, einer Gewöhnung an die Lichtverhältnisse, kristallisieren sich keine Konturen heraus. Ein Kratzen? Nein, ein Klopfen! Claude macht sich bemerkbar! Er weiß, dass wir ihn hören können!

      Antoine schlängelt sich bäuchlings auf den Abgrund zu, in dem mein Junge verschwunden ist. Sein Kopf taucht in die Finsternis. Ehe er das Gleichgewicht zu verlieren droht, lege ich mich mit meinem Oberkörper auf seine Unterschenkel. Antoine tastet mit lang ausgestreckten Händen in den Schacht, findet Wände. »Abgerundet. Wie ein Kamin. Könnte – gebaut sein. Oder auch nicht. Scharfe Kanten. Kleine Vorsprünge. Überall. Aber ich sehe nichts. Nicht das Geringste.« Jedes seiner Worte steigert meine Verzweiflung. Seine Handflächen patschen gegen den Stein. Wir hören das Klopfen, doch es kann keine Antwort auf Antoines primitive Kontaktversuche sein. Die Reaktionen erfolgen falsch, sogar mittendrin. Klopfen und Patschen überlappen einander. Antoine stoppt, lauscht, wartet ab. »Nein. Nicht ein Lufthauch trifft mich. Claude ist zu weit weg!«

      »Komm rauf.« Ich zerre an seinem Hosenbund, als Vau über mich hinweg turnt, sich auf den Hintern von Antoine setzt, dann vornüber parallel zum Rücken meines Freundes nach unten beugt und die Bemühungen des Hausa nachahmt, die Felsen betatscht, von traurigen Grunzern begleitet. »Vau! Zurück. Weg da. Sonst fällt uns –«

      Antoine schiebt sich das restliche Stück selbst aus der Gefahrenzone auf den Grat zurück, den Zwergschimpansen auf den Schultern, an ein Ohr gedrückt und jammernd. »Vau. Es ist gut, alles wird gut. Alles wird gut«, beruhigt er den Affen im Flüsterton.

      César hält die Hand von Pascale. Die beiden sitzen unbeweglich. Eine Hand von César liegt auf Pascales Bauch und bedeutet diesem, sich nicht zu bewegen. Es klopft – wieder! Darüber erklingen Schritte. Sie nähern sich rasch. Ich spähe nach oben, wo die Sterne den Umriss eines Spalts im Boden, über uns, ausformen. Der Schatten von Samirs Kopf taucht darin auf.

      »Eine Lampe! Wir brauchen eine Lampe!«

      Der Franzose Forbach schiebt sich neben den Targi. »Was ist passiert?«

      Ich beschreibe ihm in kurzen Worten, wie Claude vor Schreck ausgerutscht ist, als der Hubschrauber unerwartet abflog und eine Kehre über unser Versteck hinweg zog. Claudes Blick war in diesem Moment nach oben gerichtet. Der plötzlich vorbeirauschende längliche Schatten, der das Firmament verdunkelte, wie auch der heftige Staubwirbel und der auf uns einprasselnde Steinhagel, hatten meinen Sohn erschreckt. Nur eine Handbreit war er zur Seite gehüpft. Auf den Abgrund zu und in ihn hinein. Wir hatten zuvor den Boden an vielen Stellen mit den Füßen ertastet, sicherheitshalber aufgestampft und waren davon ausgegangen, der Untergrund wäre überall so beschaffen.

      »Die Kinder«, ruft Forbach mit beschwörender Stimme. »Reichen Sie uns die Kinder nach oben! Der Hubschrauber ist weg. Aber wir müssen weiter, falls sie in der Nähe landen und einen Suchtrupp aussetzen.«

      »Ich gehe nicht ohne Claude!«

      »Das sollen Sie auch nicht!« Der Franzose antwortet ähnlich leidenschaftlich, leichte Verärgerung über meinen Widerspruch schwingt mit.

      Antoine nimmt es praktischer hin. Er hat sich aufgerappelt und reicht César zu seinem Schwager Guillaume hoch. Dieser packt den Jungen vorsichtig unter die Achseln und hebt ihn neben sich auf den Boden. Dem eher grobschlächtig agierenden Mechaniker hätte ich derartiges Fingerspitzengefühl nicht zugetraut. Ix, der sich an Césars Schulter festgekrallt hat, wechselt nach dem Ortswechsel an den Hals meines Sohnes und umklammert ihn mit einer herzerwärmenden Theatralik, zu der Affen und verschiedene Haustiere imstande sind. Pascale folgt seinem kleinen Bruder nach. Guillaume hat es mit ihm merklich schwerer. Antoines Schwager ächzt leise unter dem Gewicht in der leidlich ausbalancierten Haltung und droht fast zu uns herunter zu fallen. Dieser Trick will helfen, aber Pascale wimmert kurz, als er die unbekannte Hand spürt. Zet, der Anubispavian, fletscht seine Reißzähne. Trick lässt den Jungen sofort los. Erst in der vertrauten Zweisamkeit mit César legt sich Pascales Unruhe wieder. An Guillaume gelehnt, halten sich wie zuvor an den Händen.

      »Was jetzt?«, rufe ich nervös. »Die Lampe? Gibt es eine?«

      »Keine Lampe«, grummelt Samir beschämt.

      »Antoine? Eine Idee?« Ich versuche es friedlicher, ruhiger, obwohl ich innerlich vor Ungeduld vergehe.

      »Ein Feuerzeug.« Der grauhaarige Gigolo zieht es verlegen aus der Tasche. »Ich habe nicht mehr daran gedacht. Einer der Arbeiter hat es mir zusammen mit Zigaretten gegeben.«

      Trick schaut seinen Begleiter von der Seite an. »Du rauchst nicht –«

      »Zigaretten machen in Afrika zuweilen Freunde. Bakschisch«, murmelt der ältere Mann.

      »Holz? Antoine?«, unterbreche ich ihn. »Samir? Holz? Für eine Fackel. Einen Stock, irgendwas?«

      Vau fiept plötzlich und springt.

      »Vau?!« Antoine greift geistesgegenwärtig nach dem Affen, doch viel zu langsam und zu spät. Der Bonobo ist im Schacht ebenso verschwunden wie Claude.

      »Wo bleibt die Fackel? Schnell! Beeilt euch! Sie, Franzose, das Feuerzeug! Her damit!«

      [Eddie Trick]

      Völlig unerwartet zerrt Samir seinen Turban samt Schleier vom Kopf. Das Tuch wird länger und länger. Am Ende landet es, von einer widerstrebend ausgeführten Wurfbewegung geschleudert, in den dankbar empor gehaltenen Händen der weißen Frau. Der Targi kommt mir verunsichert vor, barhäuptig, wie er mittig von Bertrand und mir steht und seine Hand vor seinem bloßen Mund und Kinn vorüberhuscht. Tatsächlich ist der Anblick ungewohnt. Ich ertappe mich dabei, dass ich Samir anstarre, bis er mir einen Blick sendet, der mir einen Stich mit einem Krummdolch verspricht, wenn ich nicht sofort damit aufhöre. Nichts anderes als Rührung schnürt mir die Kehle zu und mir bleiben die dummen Kommentare im Halse stecken.

      Während Ol' Blue Eyes einen Rest seines Tarngewands um seinen Bauch herum abwickelt, eine provisorische Bandage über den Schrunden in seiner ausgetrockneten Haut, beugt sich die Frau über die undurchdringliche Finsternis des Schachts.

      »Vau?« Laut gerufen, sehr neutral, ruhiger, als ich es in dieser Situation könnte, da bin ich sicher. Ihre Stimme klingt halb erstickt, wie von unterdrückter Wut oder Panik. Oder beidem gleichzeitig. »Vau?« Leiser diesmal. Mutlos. Antoine streicht ihr unbeholfen