SAVANT - Flucht aus Niger 2. Michael Nolden

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Название SAVANT - Flucht aus Niger 2
Автор произведения Michael Nolden
Жанр Языкознание
Серия SAVANT - Flucht aus Niger
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752906424



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Mein Sohn sieht mich an. Er ist viel nervöser als die anderen. Ix bemuttert ihn sehr, ein deutliches Merkmal dafür, dass mit dem Jungen etwas nicht in Ordnung ist. »Keine Angst«, flüstere ich. »Wir überstehen das. Unsere Freunde helfen uns. Sag es auch Claude.«

      César nickt müde. Seine Gestik ist nicht mehr so geschwind wie noch am Tage. Claude verfolgt die Zeichen seines Bruders, in Ermangelung von ausreichender Beleuchtung nur über den Handrücken gestrichen. Seine versteinerten Züge versprechen mir eine stoische, hoffentlich ungespielte Tapferkeit. Claude drückt sich enger an die Felswand in seinem Rücken.

      Das Rotorengeräusch erzeugt einen hohlen Widerhall im Tal. Nur Pascale scheint immer noch genau zu wissen, woher der Originalton uns erreicht. Er hat den Zeigefinger ausgestreckt und folgt mit ihm dem Knattern wie eine Kompassnadel einer magnetischen Feldstärke. Wenn das Geräusch für ihn hörbar näher ist, hebt er die andere Hand.

      Samir rutscht an dem Franzosen und dem jugendlichen Kerl vorbei auf uns zu. Vor Antoine und mir richtet er sich in der Hocke auf. »Von oben nicht, fast nicht einsehbar. Das Tal. Wir müssen still sein.« Er blickt ins Leere, offensichtlich auf der Suche nach einem Wort. »Kann alles ein Zufall sein.«

      Dieser hagere Gilbert-Becaud-Verschnitt legt den Kopf schräg. Er versucht, mit dem Amerikaner eine gedämpfte Unterhaltung zu führen.

      »Lassen Sie uns teilhaben. Forbach, so war doch der Name?« Der Angesprochene kriecht näher. Sein Geruch weht ihm säuerlich voraus. Ich nehme an, ich rieche inzwischen kaum besser. César zieht die Nase kraus.

      »Ich fürchte«, sagt Forbach, »dieser Hubschrauber hat ein Ziel.« Er lässt die Worte ausklingen und wartet.

      »Was soll der Blödsinn?«, entfährt es diesem Trick, »schenk den Leuten reinen Wein ein! Wir haben keine Zeit für deinen Hinhaltequatsch!« Forbach klopft dem hinterdrein gerobbten Trick beschwichtigend auf die Schulter. »Ja, ja. Eine – befreundete Organisation, die in Tieren unterwegs ist, verwendet einen Hubschrauber. Um Großwild aufzuspüren.«

      »Großwild?«, fragt Samir.

      »Große Tiere«, führt der junge Mann aus. »Elefanten. So was.«

      »Hier gibt es keine großen Tiere. Zu trocken.« Der Targi schaut nach oben. »Elefanten?!« Samir prustet leise.

      Pascale winkt mit der linken Hand heftig vor meiner Nase herum. Ich greife nach seinen Fingern und halte sie fest. »Ja, Pascale, wir haben begriffen.«

      Der Rotorenlärm hat an Stärke zugenommen. Wir pressen uns mit aller Kraft unter das natürlich Vordach des Felsens.

      »Können uns nicht sehen.« Es liegt Zuversicht in der Stimme des Targi.

      »Wenn es der Hubschrauber der Jagdgesellschaft ist, dann kann man uns von da oben entdecken«, meint der Franzose. »Nachtsichtgeräte. Wärmebildkameras. Gut zahlende Kunden, bestes Equipment. Glaubt mir, die können uns sehen!«

      Samir zieht den Schleier vollends vom Gesicht. Hektisch schaut er sich um. Hier ist kein Ausweg. Steine zu allen Seiten, kein Schlupfwinkel, der uns allen Platz böte, nichts. Schließlich zeigt er auf einen kaum sichtbaren Spalt, dem ich keine Bedeutung beigemessen habe. Das Versteck liegt auf dem Weg, den wir eben heraufgeritten sind. »Ein Riss. Im Boden. Groß genug für die Frau und die Kinder.«

      Pascale reißt sich von meiner Hand los. Sein Zeigefinger hat nun einen ganz bestimmten Punkt am nachtschwarzen Himmel anvisiert.

      »Wieso die Kinder?«, höre ich den jungen Mann von der UNEP fragen.

      Auf meinen fragenden Blick hin senkt Antoine das Kinn zur Bestätigung um Millimeter. Er packt sich Claude und César unter die Arme und rennt das Tal hinunter. Ix, der Schwarze Kapuzineraffe, und Vau, der Bonobo, laufen hinterher und haben die drei Menschen bald problemlos eingeholt. Ich nehme Pascale auf den Arm, meine Muskeln zittern unter seinem Gewicht. Zet hastet seitlich von mir auf den Unterschlupf zu. Atemlos passe ich mich seiner Geschwindigkeit an.

      [Eddie Trick]

      Lawrence von Arabien. Der Wind und der Löwe. Karthoum. Marschier oder stirb. Sahara. Zuletzt Hidalgo. Habe ich verschlungen und konnte nicht anders, als ich zum ersten Mal eine Sanddüne unter den Füßen hatte, einen Purzelbaum auf ihr zu schlagen, hangabwärts, während eines Urlaubs, überholt nur von einem übermütigen Sandboarder. Und hätte nie gedacht, selbst einmal im Zentrum eines Wüstenabenteuers zu stehen. Ansehen werde ich mir die Filme nie mehr. Nicht, weil ich glaube, hier zu – sterben. Sondern, weil – was soll das denn noch toppen?!

      »Verteilen!« Unser Tuareg-Babysitter scheucht Bertrand und mich auf die gegenüberliegende Seite des Tales.

      »Ja, ich laufe ja schon!« Jetzt bin ich die lahme Krücke. Bertrand hat einen meterweiten Vorsprung. Zu meinem Glück ist er nicht von der nachtragenden Sorte, packt mich am Arm und zieht, bis ich gleichauf mit ihm renne. Ich fühle mich wie Miss Prissy und er ist ein überforderter Foghorn Leghorn. Der andere Hausa – Guillaume? – schiebt mich an, drückt gegen meinen Rücken und macht echt Tempo. Halten mich alle für einen Tattergreis? Ich unterdrücke ein »Kacke«, hauche ein »Danke« an jedermann, der es haben will und hören kann. Ich hechte voraus über den Schotter in Deckung. Über uns wird der Rotorenlärm unerträglich, ein schwebendes, unabwendbares Unheil. Aus winzigen Verletzungen in meiner Haut quillt überall Blut. Es färbt die zerfetzte Kleidung in diesem Licht schwarz. Sand gerät in die Wunden und brennt wie Feuer.

      »Komm«, zischt Bertrand gerade laut genug über die Lärmkulisse hinweg.

      Ich krieche vorwärts. Die letzten zwei Meter zieht mich der Franzose in eine Höhlung, so niedrig, dass ich den Kopf im Sitzen einziehen muss.

      Guillaume und Samir nehmen die restliche Fläche in diesem stickigen Hohlraum in Beschlag; ein Bild, als wollten zwei Schlangenmenschen in einer viel zu kleinen Zauberkiste ein gemeinsames Knäuel bilden. Wie mag es erst den anderen in dem Bodenriss ergehen? Und erst das Geräusch! Der Hubschrauber kreist da oben wie ein Geier aus Metall. »Wenn der Hubschrauber von der Armee ist? Bertrand? Kann doch sein? Wenn du dich täuschst?«

      »Die Armee braucht jedes Teil. Die kann es sich nicht erlauben, einen Hubschrauber allein in eine entlegene Gegend zu entsenden! Ein paar tausend Mann sollen das Land beschützen. Die haben noch weniger Material zur Verfügung. Eddie, die trauen sich gar nicht hierher!«

      »Und wenn du dich trotzdem täuschst? Wenn der Armeehubschrauber – gemietet worden ist? Samt Personal?«

      Ol' Blue Eyes starrt geradeaus.

      Ich kann es ihm ansehen, dass er daran gar nicht gedacht hat. Aber es liegt nahe. Jemand wie Maged Leroux, der so mit seiner Macht prahlt, würde ohne mit der Wimper zu zucken, nigrisches Militär bestechen. Er hätte die Mittel für ein fettes Bakschisch. Ich bin nicht wild darauf, Militärs in einem von Gott verlassenen Landstrich zu begegnen. Der Willkür irgendwelcher Soldaten ausgesetzt zu sein. Ausgeraubt. Gefoltert. Spaßeshalber. Zwerg Napoleon würde sie dafür bezahlen. Und dann? Verscharrt. Vergewaltigt – ich hätte Lawrence von Arabien nicht so oft anschauen dürfen. Der verstörte Blick von Peter O'Toole ist unvergesslich. Eingebrannt ins Gedächtnis.

      Bertrand schüttelt schließlich den Kopf. »Nein, nein, wenn – wenn das Fluggerät zerstört wird, könnte es nicht ersetzt werden. Jemand käme in gewaltige Erklärungsnot. Nein, für kein Geld der Welt«, ruft er mir jetzt zu.

      Staub wirbelt durch die schmale Öffnung in unseren Schlupfwinkel. Ich huste. Es fühlt sich an, als schnüre sich meine Luftröhre zu. »Dreck! Bertrand? Was soll denn das mit den Nachtsichtgeräten? Die sind doch dämlich da! Alles, was Ohren hat, ist doch längst untergetaucht.«

      Bertrand beugt sich vor. Körnchen tanzen zwischen unseren Gesichtern. »Ja, und es läuft nicht weg«, sagt er laut, »es versteckt sich, das Wild. Aus Angst. Genau wie wir.«

      Samir klopft auf meinen Unterarm, weist dann den ansteigenden Hang entlang in die Höhe. Der Rotor wird leiser. Dem abnehmenden Krach folgt das Gefühl der Enge. Die Teilchen in der Luft setzen sich, verdichten sich, sie legen sich auf die Zunge, die Schleimhaut der Nase, überall hin,