Nachrichten aus dem Garten Eden. Beate Morgenstern

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Название Nachrichten aus dem Garten Eden
Автор произведения Beate Morgenstern
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742763297



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von 100, die man mal als Maßstab von einem Garten in der Magdeburger Börde, also ziemlich unse Gegend, angesetzt hat. Machdeburch, wie wir sagen, ja unse Landeshauptstadt, nachdem die Bezirke wieder in Länder zurückverwandelt wurden. Trotzdem wir immer auf Halle geglupscht haben und Machdeburch uns vollkommen aus den Augen war, hat die Stadt den Zuschlag bekommen, weiß ich warum. Schickedanzens Hof so groß, dass sie einen Knecht hatten, was schon als Ausbeuten fremder Arbeitskraft galt. Im Juni fuhren die Frauen und Kinner aus dem Dorf mits dem Pferdewagen auf die Schickedanzschen Felder raus. Die Frauen zum Rübenverhacken. Jede nahm eine Reihe. Die Kinner rutschten ihnen auf dem Boden nach zum Verziehen, ein oder zwei Reihen, je nachdem, wie kräftig die Kinner waren, wenn es ging, was um die Knie rumgebunden, weil der Boden knochenhart war. Im Herbst fuhren Frauen und Kinner zum Kartoffellesen. Freitags holte man sein Geld ab. Es gab regelrechte Listen, wo alles aufgeschrieben stand. Ich hatte auf unsem Hof zu tun. Aber Margarete fuhr fleißig mits zu Schickedanz auf den Acker, um sich Taschengeld zu verdienen und sich freitags ihr Geld abzuholen. Dardarzu durfte sie von zu Hause weg. Sonst kam sie als Älteste von fünf Kinnern eher nicht vom Pfarrgehöft runter. Sie hatte ihre Pflichten. Und Jerard und ich hatten unse. Sie fing mits Kinnerhüten an, Jerard und ich mits Gänsehüten. Nachhert ist Jerard schon mits dem Vater raus und hat Mist ausgebracht, gepflügt, die Scholle abgeschleppt, gegrubbert, geeggt, gedrillt, ehmt alles gemacht, was in seinen Kräften stand. Die Arbeit lag ihm. Wegen meiner ewigen Krankheiten war ich weniger zu gebrauchen, habe aber auch schon zugefasst, wie ich konnte.

      Wir Luthers hatten 40 Morgen Land, kaum weniger als Schickedanzens. Mein Vater hat außerdem noch für die, wo arbeiten gingen und bloß drei, vier Morgen besaßen, den Acker fertiggemacht, wozu alles gehört außer dem Ernten. Das konnten die Leute auf so kleinen Flächen selbst. Sie mähten sich ihrs runter, banden die Kornstuken und so weiter. Zickenbauern nannte man die mits bloß drei bis vier Morgen, weil sie sich Ziegen und keine Kuh leisten konnten. Dafür halfen uns ihre Frauen, notfalls auch die Männer, beim Rübenverhacken und beim Ernten. So kamen beide Teile mits der Arbeit zurecht. Und dann hatten wir noch eine Reihe von Familien, die auch Landwirtschaft nebenbei machten, aber genügend Land hatten, um sich Kühe zu halten. Die Kühe gaben Milich, besonderst die frischmelkenden, trotzdem man mits ihnen auch den Boden bearbeitete. Das waren die Kuhbauern. Ochsen wurden nur früher auf dem Gut und im Unterschloss verwendet. Man sagt, ein Ochse wächst ins Geld. Als Wiederkäuer ist er – anderscht als wie die Pfäre – ein guter Futterverwerter. Man läßt ihn ein, zwei Jahre arbeiten, wo er treckt, was nicht mal unse schweren Jäule schaffen. Und denn verkauft man ihn. Aber bei unsen Bauern fand er keine Verwendung. Mits Pfären wirtschafteten damals im Siehleken sieben, acht Bauern. Großbauern gabs bei uns weiter keine, was wohl mits den drei Gütern zusammenhing, die wir in Sylken und Arnrode gehabt hatten, die das meiste Land besaßen.

      Da steht der Junge, der ich war, also noch immer vor Schickedanzens Hof wie bestellt und nicht abgeholt. Aber nun lasse ich das Fritzchen Luther mal aufhören zu denken: Soller mal komm, der Jerard. In seinen Gedanken wird jetzt draus: Mache iche mir davonne? Oder glupsch iche mal? In sein Denken kommt jetzt eine andere Frage: Ob der Jerard vielleicht krank ist? Dann müsste Fritzchen sowieso nachsehen. Nachhert oder gleich. Also gleich.

      Also öffnete ich die Hoftür. Im Hof traf ich auf die größte Mistkuhle im Dorf mits dem größten Haufen drin. Der Hofhund schlug an. Ich besuchte ihn. Trotzdem er mich kannte, musste ich immer erst mits ihm sprechen, damits er Ruhe gab. Sein Futternapf leer. Und gleich kam auch der Foxterrier und umsprang mich. Die Gänse noch da, nicht beim Hütteteich, wie sichs gehörte, nicht rausgelassen, als frühs die Gänsehirtin »Jänse, Jänse« gerufen hatte.

      Wie die Gänse lange Hälse machten, zischten und grell-gellende Schreie schrien – klug, wie sie sind, dulden sie keinen Fremden –, der Foxterrier mich umsprang, wurde ich sehr unruhig. Ich pfiff, schrie gegen die Gänseschreie an: Jerard, Jerard! Als ich damits aufhörte, mits einem Mal eine besondere Stille: zusammengesetzt aus einer völligen Abwesenheit von Menschen und einer besonders starken Anwesenheit von Haustieren, von Gänsen, quiekenden Schweinen, mal ein Pferdewiehern, Hühnergackern. Vor allem die Kühe brüllten. Wer ein Ohr für Viechter hat, der versteht aus dem Klang, obs bloß mal so ein Übermut ist, ein Zeichen, ich bin noch da, ich lebe, oder ein Anliegen, gar ein dringendes, dardarhintersteckt. Ich hörte ein klagendes Unverständnis der Kreatur heraus, dass es mich vom Haus weg zu den Kühen trieb. Im Stall sah ich: die Euter prall. Kurz vor acht wars. Und zwischen sechs und sieben Uhr wurden die Milchkannen im Dorf abgeholt, sagte ich schon, entsprechend früher wurde gemolken! Ich rannte nach den Kannen, kannte mich ja aus wie auf unsem eigenen Hof. Vor lauter Eile nahm ich zuerst nicht mal den zergerbten Ledertornister von meinem Vater ab, den ich auf den Rücken geschnallt hatte. Ich setzte mich auf den Melkschemel und stripste. »Strips, straps, strull, is der Emmer niche bals vull.« Wars jewohne Gott sei Dank. Schule hatte ich vergessen. Leben war wichtiger. Immer hatte ich das laute, tiefe Klagen der Kühe im Ohr, die noch auf mich warteten. Zeit verging. Mir war was abverlangt. Bei uns sechs Kühe, wo ich bloß dem Vater mithalf. Hier acht und ich ganz allein. Ein geübter Schweizer schafft so an die 17 Kühe per Hand. Davon konnte bei mir keine Rede sein. Die Finger, Arme taten weh, was mir wiederum recht war. Solange war ich abgelenkt von den Gedanken, was im Haus passiert sein könnte. Die beiden Katzen Minka und Mulle strichen um mich und miehten und mauten, sodass ich ihnen zwischendurch Milich satt, also gleich von der Kuh, hinstellte. Milich satt, Suppe und Essenreste war, was sie von uns Menschen zu erwarten hatten. Fleisch mussten sie sich selbst beschaffen, was sie auch fleißig taten. Ich goß die Milich in die Kannen, schleppte die in den Stallgang und kämpfte kräftig gegen die Bilder an von schrecklich Dahingemordeten. Ich gab den Kühen zu saufen, sah nach den Pfären. Die genauso unversorgt. Ich tat Heu in die Raufe, damits sie fürs erste was hatten, und lief zur Schuke, zum Born, um sie zu tränken. Pfäre sind mits Wasser sehr eigen, sehr pingelig, dass man für sie eigene Eimer haben muss. Ist es nicht sauber, prusten sie es einem über den Latz. Ich stellte den Eimer auf meinem Oberbein ab, wie ich das bei unsen Pfären auch machte, damits sie sich nicht so tief herunterbeugen mussten und sie mir den Eimer nicht umkippten. Ich ließ die Hühner raus, streute ihnen Weizen, weil es nur eine kleine Mühe war. Den Schweinen gab ich bloß zu saufen. Fressen kann ja mal unterbleiben, aber saufen muss sein. Auch mits den Hunden wusste ich nichts Besseres anzufangen, als ihnen wenigstens was zu schlabbern hinzustellen. Gott sei Dank hatten wir hier ungene im Dorf eigene Hofbrunnen. Die oben auf dem Barch, wie wir sagen, hatten mits dem Wasser größte Schwierigkeiten. Nur ein Brunnen, eine Schuke, ein Born bei Sperling, von dem alle ihr Wasser holen mussten mits dem Eimerholz über den Schultern, dem Joch. Zwei Leute mussten ran und schubsen, den Schwengel schwingen, damits überhaupt genügend Schubkraft entstand. Und der Born gab, ob es an den Bodenschichten lag oder woran sonst, nur rostiges Wasser. Selbst der Brunnen auf dem Pfarrhof, auf mittlerer Höhe von Sylken gelegen, brachte nur rostiges Wasser zutage. Und wenn man denkt, da oben hatten Leute Landwirtschaft wie mein Großonkel Ernst Luther, und der gar nicht so wenig. Und sie mussten nicht nur für sich selber, sondern auch fürs Vieh schleppen, sommers wie winters! Später hat mein Großonkel dann mits der Kaupe, mits der Kute, einem Wasserfass, vom Gut holen dürfen. Wir im ungeren Dorf hatten dagegen Glück mits dem Wasser und wenig Mühe. Ich gab den Kaninchen zu saufen und den Meerschweinchen, die man dazwischen hielt, weil die mits ihrem Fiepen die Ratten vertreiben. Auch zwischen Zicken hielt man deschertwejen Meerschweinchen. Schon wollte ich sehen, ob ich was Frisches für die Karnickel fand, und anfangen zu füttern. Aber die Ruhe hatte ich dann doch nicht wegen dem, was wohl im Haus passiert sein könnte. Ich überlegte, ob ich zu Hermann oder meinem Vater gehen sollte. Aber Hermann wie der Vater würden fragen, ob ich denn nicht im Haus nachgesehen hätte und mich einen feigen Hund schimpen. Schewwern würden sie. Und in der Schule würde die Lehrerin mich nach Jerard fragen, und ich müsste lügen, was mir fast unmöglich ist. Der Vater hat mits harter Hand alle Lügerei aus mir rausgeprügelt, dass ich schon bei dem Versuch rot werde und stottere.

      Die Lippen bibberten, die Zähne klapperten, und die Knie schlenkerten gummiweich, so sehr war mir zum Ferchten, als ich ins Haus ging. Aber siehe da, ich hatte mich ganz umsonst gefercht. Da war nichts. Außer niemand da. Als ob man die Familie grad mal weggerufen hätte von einem sehr späten Abendbrot oder frühen Frühstück. In den Tassen noch Reste von Lorke und auf den Tellern Krümel. Ich untersuchte die ganze Wohnung. Im Schlafzimmer die Schrankschübe offen. Das Schließen war anscheins nicht mehr ihre Sache gewesen.