Für Freiheit, Lincoln und Lee. Michael Schenk

Читать онлайн.
Название Für Freiheit, Lincoln und Lee
Автор произведения Michael Schenk
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738064353



Скачать книгу

oben auf ihn herab. „Nur Mut, mein Freund. Ein kurzer Sprung, nicht mehr.“

      Die anderen Männer, die sich über die Reling beugten, lachten auf, als Friedrich es endlich geschafft hatte und nach oben kletterte. Einer der Männer schlug ihm gutmütig auf die Schulter und sagte etwas in einer unverständlichen Sprache. Der Mann hatte eine ungewöhnlich dunkle Haut und eine ausgeprägte Hakennase, doch Friedrich achtete nicht weiter darauf, sondern beobachtete die Bemühungen seiner Gefährten, endlich an Bord zu folgen. Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen und zwei Männer beugten sich mit Laternen über den Einstieg hinab. Schließlich war es geschafft und als die Vier sich wieder gesammelt hatten, fiel ihnen ein netter älterer Herr auf, der sie gutmütig ansah und unbefangen lachte.

      „Capitaine“, sagte Lerousse mit einer angedeuteten Verbeugung, „das sind die Neuen. Die Brüder Baumgarde und ihr Freund Kahlmann.“ Er wandte sich den Vieren zu. „Dies ist Capitaine de Croisseux.“

      „Baumgart“, korrigierte Friedrich und übernahm das Wort. „Wir sind Brüder. Also, mit Ausnahme von Bernd Kahlmann. Der ist unser Freund. Wir wollen nach Amerika und...“

      De Croisseux hob eine seiner Hände und nickte freundlich. „Nach Amerika. Ja, da wollen wir auch hin. Und da ihr auch dorthin wollt, werdet ihr eure Überfahrt wohl abarbeiten wollen, nicht wahr? Nun, ihr könnt sofort damit anfangen, denn wir gehen Ankerauf.“

      Lerousse schob sie nach vorne, auf den Bug zu. „Helft am Gangspill.“

      Sie hatten keine Ahnung, was das sein sollte. Hinter ihnen rief der Kapitän einen französischen Befehl und das Schiff schien plötzlich vor Leben zu wimmeln. Männer hasteten an den Brüdern und Kahlmann vorbei und zogen sie automatisch mit sich. Andere ergriffen die gitterartig verwobenen Leinen, Rahen genannt, die von den Flanken des Schiffes nach oben unter die Masten und ihre Rahen führten. Friedrich blickte ungläubig zu, wie behände die Seeleute dort aufenterten, dann zog ihn einer der seltsam dunkelhäutigen Männer zu einer Tonne, die vorne am Bug des Schiffes stand. In die Tonne waren Löcher eingearbeitet. Friedrich sah sie interessiert an, doch der Dunkelhäutige knuffte ihn unangenehm in die Seite und wies auf ein paar lange weiße Rundhölzer, die an der vorderen Reling des Schiffes festgebunden waren. Die Brüder und ihr Freund sahen zu, wie andere Männer diese Rundhölzer aus den Halterungen nahmen und in die Löcher der Tonne steckten. Allmählich sah diese aus wie die querliegende Nabe eines Speichenrades, allerdings ohne Reifen. So nahmen sie ebenfalls zwei der Hölzer und steckten sie in die dafür vorgesehenen Öffnungen. Insgesamt standen zehn Mann an den fünf Speichen und alle waren in eine Richtung ausgerichtet. Einer von ihnen stieß einen leisen Ruf aus und die Männer drückten gegen die Speichen. Also taten es die Brüder und Kahlmann ebenfalls. Erst tat sich nichts, doch nach ein paar Versuchen bewegte sich die Nabe, das Gangspill, langsam. Ein leises Klicken ertönte. Begleitet von leisen Anfeuerungsrufen des Dunkelhäutigen drückten sie gegen die Speichen, hörten das leise Klicken, während sie kreisförmig um die Nabe herum gingen. Dann begriff Friedrich endlich, dass sie auf diese Weise die Ankerkette mit dem Anker nach oben holten.

      Der Dunkelhäutige rief etwas nach hinten, zum Heck des Schiffes. Dort stand Kapitän de Croisseux am Ruder der Marbelle. Er stieß ein gedämpftes Kommando aus und über ihnen ertönte ein Flappen. Friedrich sah, wie sich das große Segel an den Rahen nach unten entfaltete. Irritiert erkannte er, dass dieses Segel eine dunkle Färbung hatte. Gegen den Nachthimmel war es nur dadurch zu erkennen, dass es ein wenig dunkler war und die Sterne verdeckte. Die Segel, die er bislang gesehen hatte, waren alle hell gewesen und diese Erkenntnis gefiel Friedrich absolut nicht. Die Marbelle musste tatsächlich ein Schmugglerschiff sein. Wunderbar, zu Hause wurden sie von den Königlichen gejagt, und wer wusste schon, wer auf den Meeren wohl Jagd auf de Croisseux und seine Marbelle machte.

      Am Heck ertönte ein rhythmisches Schleifen, als das Lateinersegel an seinen Führungsringen den Mast hochgezogen wurde. Friedrich taumelte, als ein Windstoß die Segel traf und schlagartig füllte. Die Marbelle legte sich sanft auf die Seite. Nicht viel, doch für Friedrich und die anderen erschien es im ersten Moment, als kentere das Schiff. Die anderen Männer lachten auf, bis der Dunkelhäutige sie zur Ruhe ermahnte. Die Holme wurden wieder aus dem Gangspill geholt und angebunden. Zwei Männer hatten den hochgezogenen Anker inzwischen mit einer Kette gesichert.

      Die drei Brüder standen mit ihrem Freund an der landseitigen Reling und starrten mit offenem Mund auf Marseille, das langsam nach hinten auswanderte und sich plötzlich hinter dem Schiff befand. Allmählich wurde das Land kleiner. Friedrich blickte auf den Schornstein der Dampfmaschine. Kein Maschinengeräusch war zu hören. Nur das Knarren von Holz und das Singen der gespannten Takelage. Dazu das Flappen der Segel. Mit leisem klatschen schlugen die Wellen gegen den Rumpf. Das Deck war ein wenig geneigt, doch langsam richtete es sich auf.

      Pierre Lerousse stand plötzlich neben ihnen und grinste sie breit an. „Kommt, meine Freunde, ich zeige euch, wo ihr eure Hängematten aufspannen könnt. Habt ihr Hunger?“

      Hatten sie. In den folgenden Tagen lernten sie eine ganze Menge über das Schiff und seine Besatzung. Sie lernten die Masten und Segel, Fallen, Blöcke, Leinen und Taue zu unterscheiden. Sie lernten auch, dass ein Tampen ein kurzes Tauende war, und wie ausgezeichnet Lerousse es zu benutzen verstand, um sie und die Mannschaft zu größerem Eifer anzuspornen. Draußen auf dem Mittelmeer startete auch die Maschine. Lerousse führte sie ins Unterdeck, wo es erbärmlich stank. Nach einer merkwürdigen Mischung aus Exkrementen, Schweiß und Ruß. In einem großen Raum stand die Dampfmaschine. Sie waren einer solchen Maschine noch nie so nahe gewesen.

      Lerousse grinste sie an. „Für die Segelarbeit seid ihr wohl kaum geeignet. Aber das hier ist nicht schwer. Sehr ihr, diese Klappe ist die Feuerung. Dort hinein kommen Holz oder Kohle. Das befeuert den Kessel, in dem sich Wasser befindet. Das wird erhitzt und erzeugt Dampf. Der bewegt die Kolben. Ja, genau, diese langen Zylinder. Seht ihr, wie sie die Welle bewegen? Sie liegt quer zum Schiff und an ihren Enden befinden sich die Schaufelräder. Du“, er deutete auf Hans, „was passiert, wenn ein Topf überkocht?“

      „Na, der Deckel geht hoch“, sagte der 15-jährige prompt.

      Lerousse lachte auf. „So ist es. Der Deckel geht hoch.“ Er wies mit ausholender Geste um sich. „Das hier, das Schiff, das ist der Deckel. Wenn der Druck im Kessel zu hoch ist... bumm.“

      Seine Zuhörer erblassten und der Maat grinste sie breit an. „Damit das nicht passiert, gibt es das hier.“ Er wies auf eine federnd gelagerte Stange. „Das ist das Sicherheitsventil. Haben wir zu viel Druck, dann geht es nach oben und Druck wird abgelassen. Und es passiert das hier.“

      Lerousse zog seine doppelläufige Pistole aus der Schärpe und drückte von unten gegen das Ventil. Ein schrilles Pfeifen ließ alle erschrecken. Vom Niedergang, der Treppe, die nach oben führte, erklang ein Poltern und einer der Besatzung sah verschreckt herein. Lerousse und ein Mann, der den Kessel mit Brennmaterial beschickte, lachten laut auf. „Gut, hier, dieses Rad, regelt den Dampfdruck. So fahren wir schneller oder langsamer, oui?“

      Er gab ihnen einen Schnellkurs im Maschinenraum und der Umgang mit der Dampfmaschine war nicht besonders kompliziert. Es gab eine Kupplung für den Vor- und Rückwärtsgang der Welle. Doch die ganze Maschinerie wurde von nur einem der dunkelhäutigen Männer bedient, die den größten Teil der Besatzung ausmachten.

      Die Besatzung. Friedrich und die anderen hätten keinem von ihnen freiwillig ihr bisschen Geld anvertraut. Die meisten waren dunkelhäutig und sprachen einen Dialekt, den keiner der Freunde verstand. Lerousse, de Croisseux und drei andere schienen die einzigen Franzosen an Bord zu sein. Sie waren auch die einzigen, die ständig bewaffnet waren. Die Disziplin an Bord der Marbelle war allerdings beeindruckend. Jede Anordnung von Kapitän oder Maat wurde rasch ausgeführt. Nur selten wurde der Tampen benutzt.

      Karl hatte einmal aufbegehrt, als Lerousse ihn mit dem Tampen ermahnte, nicht zu trödeln. Der Maat hatte freundlich gegrinst. „Was ist, mein Freund? Du willst doch nach Amerika, nicht wahr? Willst du zum Kapitän gehen und dich beschweren, oui?“

      Die Marbelle war früher wohl einmal ein Kriegsschiff gewesen. Im Schanzkleid befanden sich insgesamt acht Stückpforten. Vier auf jeder Seite. Doch nur hinter