Название | Borderline |
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Автор произведения | Frank Habbe |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847699668 |
Die sozialen Kontakte von Claires Schwarm spielten sich zu achtundneunzig Prozent innerhalb der Clique ab. Die Welt außerhalb war Luft. Sie surften, wann immer es der Stundenplan zuließ. Im Sommer oder überhaupt immer bei gutem Wetter, gern auch mal während der Schule. Stets lagen in der Kabine von Kens altem Land Cruiser diverse Boards und Wet-Suits, um bei Bedarf ein paar Wellen in der nur wenige Kilometer entfernten False Bay zu nehmen.
Anders als ihre Konkurrentinnen zog sich Claire nach Kens Abfuhr allerdings nicht schmollend zurück, sondern wählte eine andere, langfristig angelegte Strategie: Sie lernte Wellenreiten. Von nun anstürzte sie sich voller Eifer in das Vorhaben und die Wellen, die bei Muizenberg an den Strand donnerten. So oft es ging, zog es sie in Gary’s Surf-Camp. Ob nach der Schule oder am Wochenende - stets belud sie in diesem Sommer ihren City Golf und fuhr die kurze Strecke hinunter ans Meer. Es kostete sie unzählige Stunden, Schürfwunden an Rücken und Knien und Gallonen an geschlucktem Salzwasser, bis sie das Brett soweit beherrschte, dass sie sich aus der Obhut von Garys Team traute. Kens kritischem Blick wollte sie sich noch nicht aussetzen und trainierte deswegen weiter an den Surf-Spots der Kap-Region. Zu Beginn erntete sie von den Locals meist nur abfällige Blicke oder wurde bei ihren Bemühungen sogar von der einen oder anderen Welle vertrieben. Als sie aber sahen, wie verbissen Claire nach jedem Sturz mit ihrem Brett zurück in die Brandung paddelte, legte sich die Arroganz allmählich.
Claire registrierte dies mit Genugtuung, und bald darauf stand für sie fest, dass es an der Zeit war, sich bei Ken und seinen Freunden zu beweisen. So nahm sie eines Nachmittags ihren ganzen Mut zusammen und steuerte ihren bepackten VW die schmale Stichstraße hinunter nach Llandudno, den Ort, zu dem die Gang nach der Schule aufgebrochen war. Nachdem sie hinter dem Strand geparkt hatte, lehnte sie sich für einen Moment in ihrem Sitz zurück und schloss die Augen. Sie spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals klopfte. Warum bloß? Die paar Wellen, dachte sie, stieg aus und schlüpfte in ihren kurzärmligen Neoprenanzug. Dann griff sie nach dem Brett und ging entschlossen die wenigen Schritte zum Wasser hinunter.
An diesem Tag blies der berüchtigte Cape Doctor den feinen Sand kräftig über den Strand, sodass sich die wenigen Sonnenanbeter hinter die Steine verzogen hatten. Rechter Hand, bei einigen ins Wasser laufenden Felsen, machte Claire eine bunte Ansammlung von Kleidungsstücken aus. Die dazugehörige Clique schwebte in etwa hundert Metern Entfernung im Rhythmus der leichten Dünung auf dem Wasser. Strömung und ablandiger Wind führten zu einer sich am Eingang der Bucht steil aufstellenden Welle, die kurz danach sauber brach und sprudelnd am Strand auslief. Perfekte Bedingungen für einen Anfänger wie Claire. Dachte sie.
Sich ein wenig links von der Gruppe haltend, marschierte sie schnurstracks ins eiskalte Wasser, warf sich auf ihr Brett und paddelte mit kräftigen Zügen in Richtung Ozean hinaus. Doch je weiter raus sie kam, desto ungemütlicher wurde die Lage für sie. Die ersten beiden Wellen verfehlte Claire schon beim Reinschwimmen. Nummer drei ging sie zu steil an und tauchte die Spitze ihres Boards in das Wellental, was es zum Überschlagen brachte und sie in hohem Bogen aufs Wasser warf. Verbissen und bemüht, das rechts von ihr treibende Grüppchen zu ignorieren (die doch sicher jeden ihrer Fehltritte bemerkten!) paddelte sie zurück in den Break. Sie zitterte. Vor der Kälte des Atlantiks, aber auch vor Wut über sich selbst.
Was war nur los mit ihr? Sie konnte es doch!
Tief durchatmend, visierte sie kurz die nächste Welle an, die sie ohne großes Nachdenken anschwamm. Wenn sie sich die herankommende Woge nur etwas genauer angeschaut hätte, wäre ihr nicht entgangen, dass diese kurz davor war, sich zu einem kapitalen Brecher zu entwickeln. Was Claire jedoch erst bemerkte, als sie sich gerade kraftvoll von ihren Knien in den Stand gestemmt hatte. Da war ihr das laute Brausen des Wassers bereits gefährlich nahe, und aus dem Augenwinkel sah sie nichts außer der sich direkt hinter ihr aufbäumenden Welle, die nur einen Augenblick später schäumend über Claire zusammenbrach.
Mein erster Tunnel, registrierte sie angsterfüllt. Da aber hatte die Wasserwand sie bereits unter sich begraben, war über ihren Körper hinweggerollt und hatte sie tief in die eisigen Fluten hinabgedrückt. Sie spürte, wie sie über den steinigen Untergrund gezogen wurde, während sie mit zappelnden Armen und Beinen verzweifelt versuchte, wieder an die Oberfläche zu gelangen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam sie hustend und spuckend nach oben, griff nach dem an der Leine hinter ihr treibenden Brett und schwamm benommen zurück zum Strand. Dort kauerte sie sich in den von der Sonne aufgewärmten Sand, stützte den Kopf in die Hände und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sturzbäche der Wut und Verzweiflung flossen ihre Wangen hinab. Was hatte sie sich blamiert!
Vollkommen mit sich selbst beschäftigt, bemerkte sie nicht, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie zuckte erschrocken zusammen.
„Mutig, mutig!“
Claire blickte nach oben, kniff die Augen zum Schutz gegen die Sonne zusammen. „Bitte?“
„Respekt, dass du dich an dieses verschissene Monster rangetraut hast!“
Jetzt erst erkannte sie Ken, der mit einem anerkennenden Lächeln im Gesicht über ihr stand. Sie wollte etwas erwidern, doch da war er schon einen Schritt zurückgetreten. Mit einem Wink lud er sie ein, ihr zu folgen. „Komm zu uns rüber. Wir haben Coke. Oder Windhoek. Vielleicht herrscht ja Bedarf?“
Damit drehte er sich um und ging die paar Meter zu seinen inzwischen am Strand lagernden Leuten.
Claire nickte stumm. Sie war viel zu erschöpft, um sich über die Einladung zu freuen. Dann erhob sich und folgte dem Surfer. Und so wurde sie zum zweiten weiblichen Mitglied der Clique.
Von da an war sie kaum noch aus dem Wasser zu bekommen. Unter der Woche ging es nach der Highschool direkt an den Strand.
An den Wochenenden fuhren sie raus aus der Stadt. Kens Vater gehörten Immobilien in der gesamten Kap-Region, darunter Sommerhäuser in Camps Bay und Elands Bay - sie hatten die freie Auswahl.
Seit ihrem Llandudno Wipe Out war Claire nur noch mit der Gang unterwegs, was ihrer Mutter überhaupt nicht gefiel. Seit klar war, dass Willem sich inklusive neuer Freundin eine Zweit-Existenz am anderen Ende des Landes aufgebaut hatte, hatte sich ihre Ehe aus dem Zustand des friedlichen Desinteresses in eine kriegerische Auseinandersetzung verwandelt. Allein gelassen von ihrem Mann, versank Cynthia zusehends in Depressionen. Und jetzt fehlte auch noch Claire, sodass es nun an der Mutter lag, sich mit ihren Gedanken und Ängsten in der großen Villa zu verschanzen. In dieser trostlosen Lage fand sie mehr und mehr Gefallen an einer Rückkehr in die Staaten.
Zunächst bemerkte Claire nichts von dem Wandel, der in ihrer Mutter vorging. Wie auch, sie war ja ständig unterwegs. Ihre jugendliche Leidenschaft für Ken hatte sich zu einer ausgewachsenen Verliebtheit gesteigert. Sie wunderte sich über sich selbst, denn sie war eigentlich nicht der Typ, der sich einfach so verknallte. Doch je häufiger sie zusammen waren, desto schlimmer wurde es.
Nur: Es tat sich nichts. Sie kam nicht voran bei ihm. Dabei versuchte sie es pausenlos mit vorsichtigen Flirtversuchen. Kens Reaktion darauf? Ernüchternd, denn es gab keine. Zuerst hatte Claire Gaby, das schmächtigste Mitglied der Clique, im Verdacht. Aber obwohl auch sie offensichtlich viel für Ken übrig hatte, stand sie auf einem ähnlichen Abstellgleis wie Claire. Immer ging es nur ums Surfen.
Erst mit der Zeit verstand Claire die Hierarchie innerhalb der Gruppe. Ganz oben stand Ken, natürlich. Gleich darunter sein ältester Kumpel Frederick „Frat“ Fred. Auf gleicher Ebene danach kamen Colin und Marten, etwas ältere muskelbepackte Hardcore-Surfer, die beide nicht viel redeten. Zusammen formten die vier Jungs den Kern der Gang, den die beiden Mädels wie zwei Satelliten umkreisten.
Es war nicht so, dass sie ausgegrenzt, überheblich behandelt oder bei den Wellen benachteiligt wurden. Aber richtig drin waren sie eben nicht. Gaby schien sich nicht daran zu stören, aber Claire machte die unmerkliche Trennung zu schaffen. Besonders aus Marten