SIE. Henry Rider Haggard

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Название SIE
Автор произведения Henry Rider Haggard
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752907315



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ich keine Antwort, sondern pfiff nur leise durch die Zähne, denn an dem Fleck, wo die Erde sich gelöst hatte, sah man deutlich solides Mauerwerk aus mit braunem Zement verbundenen Steinblöcken, und der Zement war so hart, dass er sich mit der Feile meines Jagdmessers nicht ritzen ließ. Doch das war noch nicht alles; irgendetwas schimmerte durch die Erde am unteren Rand des Mauerwerks, und als ich die Erde wegschob, kam ein riesiger Steinring zum Vorschein, der etwa einen Fuß im Durchmesser maß und ungefähr drei Zoll dick war. Ich war sprachlos.

      »Meinst du nicht auch, Onkel Horace, dass dies einmal ein Anlegeplatz war, an dem recht große Schiffe festgemacht haben?«, sagte Leo grinsend.

      Diesmal blieb mir mein Unsinn in der Kehle stecken - der Ring sagte genug. In fernen Zeiten mussten hier wirklich Schiffe gelegen haben, und diese Steinmauer war zweifellos der Rest eines massiven Kais. Vermutlich lag die dazugehörige Stadt unter den Sümpfen begraben.

      »Es scheint fast, als ob an der Geschichte doch etwas dran ist, nicht war Onkel Horace?«, sagte Leo triumphierend. Ich dachte art den mysteriösen Negerkopf und ging nicht darauf ein.

      »Gewiss«, sagte ich, »gibt es in einem Land wie Afrika mancherlei Überreste längst versunkener und vergessener Kulturen. Niemand kennt das Alter der ägyptischen Kultur, die sich sicherlich weit ins Innere des Landes ausgebreitet hat. Außerdem gab es die Babylonier und Phönizier und Perser und viele andere mehr oder weniger kultivierte Völker, ganz zu schweigen von den Juden, die heute in der ganzen Welt verstreut sind. Möglicherweise hatte eines dieser Völker hier Kolonien oder Handelsniederlassungen. Denke doch an die versunkenen persischen Städte bei Kilwa, die uns neulich der Konsul zeigte.«

      »Ganz recht«, sagte Leo, »aber vorhin hast du etwas völlig anderes gesagt.«

      »Schön - aber was wollen wir jetzt anfangen?«, fragte ich, das Thema wechselnd.

      Leo schwieg, und wir gingen zum Rand des Sumpfes und sahen uns dort ebenfalls um. Er schien grenzenlos, und hier und dort flatterten aus ihm ungeheure Schwärme wilder Wasservögel der verschiedensten Art auf, die zuweilen fast den Himmel verdunkelten. Die Sonne stand jetzt hoch am Firmament, und in der Hitze stiegen dünne, widerliche Wolken giftiger Dünste von der Oberfläche des Sumpfes und den schaumbedeckten trägen Tümpeln auf.

      »Zweierlei ist klar«, sagte ich zu meinen drei Gefährten, die angewidert das Schauspiel betrachteten, »erstens, dass wir durch diesen Sumpf nicht hindurchkommen, und zweitens, dass wir, falls wir hierbleiben, am Fieber sterben werden.«

      »Das ist klar wie Tinte, Sir«, sagte Job.

      »Gut, dann gibt es also nur zwei Möglichkeiten. Entweder kehren wir um und versuchen, mit unserem Boot irgendeinen Hafen anzulaufen, was allerdings ein ziemlich riskantes Unternehmen wäre, oder wir segeln oder rudern weiter stromauf und warten ab, wohin wir kommen.«

      »Ich weiß nicht, was ihr vorhabt«, sagte Leo entschlossen, »...ich jedenfalls fahre den Fluss hinauf.«

      Job verdrehte die Augen und stöhnte, und der Araber murmelte ebenfalls stöhnend »Allah«. Was mich betrifft, so bemerkte ich gelassen, dass es in unserer Lage ganz gleich sei, wohin wir gingen. Doch in Wirklichkeit brannte ich nicht weniger darauf, die Reise fortzusetzen, als Leo. Der riesige Negerkopf und der steinerne Anlegeplatz hatten derart meine Neugier angeregt, dass ich fest entschlossen war, sie um jeden Preis zu befriedigen. So bestiegen wir denn wieder unser Boot, verstauten alles, richteten den Mast auf, legten unsere Gewehre bereit und setzten unsere Fahrt fort. Glücklicherweise wehte der Wind vom Meer landeinwärts, so dass wir das Segel hissen konnten. Wie wir später herausfanden, wehte der Wind meistens bei Tagesanbruch einige Stunden lang landeinwärts und bei Sonnenuntergang seewärts, was ich mir nur so erklären kann, dass, wenn die Erde durch den Tau und die Nacht abgekühlt war, die heiße Luft nach oben stieg und der Wind vom Meer hereindrang, bis die Sonne auch ihn erwärmt hatte.

      Unter Ausnützung dieses günstigen Windes segelten wir drei oder vier Stunden lang rasch stromauf. Einmal stießen wir auf eine Herde Flusspferde, die sich aufrichteten und uns so schrecklich anbrüllten, dass es Job und, wie ich gestehen muss, auch mir angst und bange wurde. Es waren die ersten Flusspferde, die wir gesehen hatten, und nach ihrer Neugier waren wir auch die ersten weißen Menschen, die sie zu Gesicht bekamen. Ein oder zwei Mal fürchtete ich fast, sie würden zu uns ins Boot kommen, um ihre Neugier zu stillen. Leo wollte auf sie schießen, doch ich brachte ihn davon ab, denn ich fürchtete die Folgen. Wir sahen auch Hunderte von Krokodilen, die sich am schlammigen Ufer sonnten, und aber Tausende von Wasservögeln. Wir erlegten einige davon, darunter eine Wildgans, die außer scharfen Sporen an den Flügeln auch zwischen den Augen einen dreiviertel Zoll langen Sporn hatte. Wir schossen keine zweite dieser Art, und so weiß ich nicht, ob es sich um eine Laune der Natur oder um eine besondere Spezies handelte. Job gab ihr den Namen Einhorngans.

      Gegen Mittag wurde es unerträglich heiß, und aus den Sümpfen, die den Fluss säumten, stieg ein so grässlicher Gestank auf, dass wir sogleich zur Vorsicht eine tüchtige Portion Chinin schluckten. Bald darauf flaute der Wind gänzlich ab, und da nicht daran zu denken war, unser schweres Boot in der Hitze gegen den Strom zu rudern, waren wir froh, am Ufer eine Gruppe weidenartiger Bäume zu entdecken. Wir legten uns in den Schatten darunter und ruhten uns, nach Luft schnappend, aus, bis der Sonnenuntergang unserer Qual ein Ende bereitete. Weiter stromauf sahen wir eine weite Wasserfläche, und wir beschlossen, erst einmal dorthin zu rudern und uns dann zu überlegen, wie wir die Nacht verbringen sollten. Gerade als wir das Boot losmachen wollten, kam jedoch in etwa fünfzig Meter Entfernung ein schöner Wasserbock mit großen, nach vorn gekrümmten Hörnern und einem weißen Streifen auf dem Rücken an den Fluss, um zu trinken. Trotz unserer Nähe bemerkte er uns nicht. Leo erblickte ihn zuerst, und als passionierter Jäger, der schon seit Monaten darauf versessen war, solch ein edles Wild vor die Flinte zu bekommen, richtete er sich sofort auf und verharrte reglos wie ein Jagdhund. Ich reichte ihm sein Jagdgewehr und ergriff auch das meine.

      »Los«, flüsterte ich, »aber schieß ja nicht vorbei.«

      »Vorbei!«, erwiderte er flüsternd. »Das könnte ich nicht einmal, wenn ich wollte.«

      Er legte an, und der rotbraune Bock, der sich inzwischen sattgetrunken hatte, hob den Kopf und blickte über den Fluss. Er stand auf einer kleinen Anhöhe, die sich durch den Sumpf zog und anscheinend gern vom Wild benützt wurde, und hob sich von dem roten Abendhimmel ab. Es war ein wunderbares Bild, und ich glaube, dass ich diesen faszinierenden Anblick, selbst wenn ich hundert Jahre alt werde, nie vergesse. Rechts und links breiteten sich unabsehbare, tödliche Dünste verströmende Sümpfe aus, da und dort von Tümpeln schwarzen unbewegten Wassers unterbrochen, die wie Spiegel die roten Strahlen der untergehenden Sonne zurückwarfen. Hinter und vor uns wälzte sich träge der Fluss dahin, auf eine schilfumsäumte Lagune zu, auf deren Oberfläche eine sanfte Brise mit den langen Abendschatten spielte. Im Westen hing der riesige rote Feuerball der Sonne, der eben hinter dem dunstigen Horizont versank und den weiten Himmel, über den Kraniche und Wildvögel dahinzogen, golden und blutig rot färbte. Und inmitten dieser unendlichen Einöde wir - drei moderne Engländer in einem modernen englischen Boot -, und vor uns, klar abgehoben vom Abendhimmel, der edle Bock.

      Paff! Mit mächtigen Sätzen eilt er davon. Leo hat ihn verfehlt. Paff! Wieder vorbei. Nun ist die Reihe an mir, doch er flitzt dahin wie ein Pfeil, schon über hundert Meter weit entfernt. Beim Himmel! Er strauchelt und überstürzt sich! »Es scheint, Master Leo, ich habe ein besseres Auge als du«, sage ich und kämpfe gegen den unedlen Jubel an, der in einem so herrlichen Moment selbst in der Brust des wohlerzogensten Sportsmannes aufsteigt.

      »Verflucht, ja«, knurrte Leo; doch dann huscht rasch ein Lächeln über sein Gesicht, und er fügt hinzu: »Verzeih, alter Junge. Ich gratuliere dir; es war ein prächtiger Schuss, und die meinen waren nichts wert.«

      Wir sprangen aus dem Boot, liefen zu dem Bock und stellten fest, dass die Kugel ihn ins Rückgrat getroffen hatte. Wir brauchten über eine Viertelstunde, um ihn zu reinigen und so viel von dem besten Fleisch herunterzuschneiden, wie wir tragen konnten. Nachdem wir es im Boot verstaut hatten, blieb uns gerade noch genügend Zeit, um zu der Lagune zu rudern, zu welcher sich der Ruß, an dieser Stelle in den Sumpf vorstoßend, erweiterte. Als wir etwa dreißig Faden vom Ufer Anker warfen,