Winfried von Franken. Michael Sohmen

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Название Winfried von Franken
Автор произведения Michael Sohmen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738057959



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und fährt wieder weg. Seine Miene hellte sich auf. Genau! Das ist ein guter Plan. Viel besser, als ihn hier und jetzt zu töten.

      *

      Regelmäßig ließ Winfried sich von Gernot zu einem Wochenend-Treffen in dessen Lieblingscafé überreden, um über Gott und die Welt zu palavern oder Neuigkeiten auszutauschen. Gernot erinnerte ihn wegen seiner dicken Lippen und den Glupschaugen immer an einen Frosch.

      »Hi Winfried! Wie läuft's bei der Arbeit?«

      »Nun ja … wie immer, Gernot. Und bei dir?«

      »Grandios!«

      Immer dasselbe Thema: Job, Job, Job! - ärgerte sich Winfried - gerade jetzt wäre mir jedes andere Thema recht.

      Eine attraktive Kellnerin eilte an den Tisch, zückte ihren Notizblock und fragte: »Was bekommen die Herren?«

      »Einen Milchkaffee«, sagte Winfried.

      »Und Sie?«

      Gernot grinste. »Ich bekomme eine große Latte.«

      Die Kellnerin lief rot an. »Wie bitte, der Herr?«

      »Eine Latte Macchiato, groß«, erklärte er auf die Nachfrage.

      Mit verstörtem Gesichtsausdruck kritzelte die Kellnerin etwas auf ihren Notizblock und eilte davon.

      Irgendwann muss er endlich seine postpubertäre Phase abschließen, ärgerte sich Winfried, als Gernot wieder zu seinem Lieblingsthema kam: »Du weißt ja, Marketing! Eine absolute Zukunftsbranche und kreativ. Vielleicht solltest du darüber nachdenken, zu wechseln.«

      »Besonders einfallsreich finde ich es nicht, was ihr macht. Alles wiederholt sich, selten erfindet ihr Neues. Die Kreativität bleibt auf der Strecke.«

      »Du verstehst das Ganze nicht. Wir entwickeln nachhaltige Strategien. Die Tendenz geht immer mehr dahin, Menschen möglichst früh mit Werbung zu bombardieren und die Nachfrage nach bestimmten Marken, wenn möglich, schon im Säuglingsalter zu wecken. Spielzeug, Babyklamotten oder Nuckelflaschen, auf denen eingängige Logos schlagkräftiger Konzerne prangen. Deswegen werden die Logos immer trivialer, damit die ganz Kleinen sich die auch einprägen können. Was früher die Hitlerjugend oder die FDJ war, sind heute die Markenkids. Selbst die Kreuzritter kannten dieses Prinzip. Alle hatten ein Logo auf ihrem Mantel.«

      »Ähem«, räusperte sich Winfried. »Tabus kennt ihr wohl keine!«

      Die Kellnerin kehrte zurück und stellte zwei Kaffeetassen auf den Tisch. »Einmal für den mit der großen Latte, einen Milchkaffee für den anderen. Könnten Sie bitte gleich zahlen? Ich würde nicht gerne nochmal an Ihren Tisch kommen.« Mit verschämten Blick sprach Winfried: »Ich zahle Beides.« Die Kellnerin kassierte und eilte im Laufschritt davon.

      Gernot grinste. »Du verstehst das Ganze wirklich nicht. Heute geht es um alles oder nichts, sein oder nicht sein. Die Hälfte aller Konzerne könnte über Nacht ihre Produktion einstellen, ohne dass es den Konsumenten an etwas fehlen würde. Wir leben in einer Zeit der Überproduktion, die exponentiell zunimmt. Zudem wird die Herstellung in den Arbeitslagern der dritten Welt immer billiger. Was heute fehlt, ist Nachfrage. Genau da setzt Marketing an. Um Bedarf zu generieren. Es wird mittlerweile mehr Kapital aufgewendet, Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen, als für die Herstellung.«

      »Das befürchte ich auch. Freie Marktwirtschaft hat ja seine guten Seiten, alle werden satt, man sollte jedoch an die Zukunft denken und das Problem der Überproduktion lösen.«

      »Die EU könnte beschließen, einfach die Überschüsse - beispielsweise die Hälfte aller hergestellten Waren - aufzukaufen, alles auf einen gigantischen Haufen zu werfen und zu verbrennen, um die Preisspirale nach unten zu bremsen. Es würde den Verdrängungswettbewerb einen Moment aufhalten, wäre aber keine Lösung von Dauer. Die Produktion würde sich verdoppeln, vervierfachen, irgendwann hätten wir den Salat. Immer mehr produzierte Ware müsste vernichtet werden, Milliarden Tonnen Erzeugnisse, fabrikneu, auf den Scheiterhaufen. Oder ins Meer kippen. Alle überflüssigen Erzeugnisse, die niemand haben will.«

      Winfried fühlte kalten Schweiß seinen Nacken hinunterlaufen. »Das wäre sehr schade«, sprach er nachdenklich, »letztendlich haben wir ja begrenzte Ressourcen.«

      »Heute sind die Hersteller teilweise sehr einfallsreich. Sie bieten einfach weniger. Sollbruchstellen. Die Produkte gehen nach Ablauf der Garantiezeit sofort kaputt. Kreativität bei Verpackung von Lebensmitteln – sie füllen einfach immer weniger hinein.« Gernot zog eine Rolle Chips aus seiner Tasche und öffnete sie mit einem ›Plopp‹. »Wie bei diesem Hersteller, der Unsummen für Werbung ausgibt und beim Produkt spart: diese Packung wird mittlerweile nur noch halb gefüllt, während der Preis gleich geblieben ist. Man kauft statt einer Packung eben zwei.«

      »Das ist doch Betrug!«

      »Oder kreativ. Selbst schuld, wer das kauft. Es hat sich ein hemmungsloser Verdrängungswettbewerb entwickelt, deswegen versucht man mittlerweile, dass sich Logos fest ins Gehirn einbrennen. Um Menschen auf Marken zu fokussieren. Es vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und dass man irgendwo dazugehört. Logos, Sound, Produkte, trivial müssen sie sein. Überlege mal: vier Töne hintereinander. Drei sind gleich, die kennt jeder.«

      Winfried flötete vier dramatische Töne. »Beethovens fünfte, natürlich!«

      »Mensch! Du bist heute gar nicht bei der Sache. Ich meinte den Telekommunikationskonzern.«

      »Ach so. Deren Komposition ist wirklich beschränkt. Übrigens, es sind sogar fünf Töne. Fast schon zu kompliziert für deine Zielgruppe.«

      »Nun ja, Geschmackssache. Und egal, ob vier oder fünf Töne. Hauptsache trivial. Vom Marketingaspekt, genial!« Gernot rückte ein Stück näher und senkte seine Stimme: »Es gibt natürlich auch geheime Strategien, um den Gegner auszuschalten. Verdorbene Sachen einzuschmuggeln, Lebensmittel zu vergiften, Kassierer mit Rechenschwäche in Läden einzuschleusen oder sogar Schläger anzuheuern. Daher stellen die immer mehr Security-Leute ein. Manche Konzerne beauftragen sogar Geheimlogen. Erinnerst du dich an Dagobert?«

      Winfrieds Augen leuchteten. Endlich ein Thema, mit dem er glänzen konnte: wenn sich das Gespräch um Geschichte, Kultur oder Verschwörungstheorien drehte. »Der legendäre König der Merowinger? Kürzlich habe ich ein Buch gelesen: ›Der Heilige Gral und seine Erben‹. Darin geht es um eine Geheimloge, die sich auf das Erbe König Dagoberts beruft, den Gral besitzen soll und die Herrschaft über Europa anstrebt. Ein geheimnisumwitterter Orden - die Bruderschaft von Zion - soll im Hintergrund operieren. Es soll Verbindungen mit den Ordensmeistern der Tempelritter gegeben haben, heutzutage mit den Illuminaten. Es wird vermutet …«

      »Stopp! Heute bist du wirklich neben der Spur! Den Kaufhauserpresser Dagobert meine ich. Die Kunden bekamen es mit der Angst zu tun, später ging die betroffene Kaufhauskette in Insolvenz. So läuft das heutzutage, Winfried. Nicht immer mit den fairsten Methoden.«

      »Und niemand schöpft Verdacht, was im Hintergrund laufen könnte?«

      »Man muss jedes Misstrauen und alle Verschwörungstheorien schon im Ansatz ausschließen. Echte Profis vermeiden Risiko. Die setzen alles daran, Leute an Symbole zu binden. Bewusst werden nichtssagende Logos entwickelt, die immun sind gegen jede Interpretation. Keine Ähnlichkeit zu Symbolen im Zusammenhang mit irgendeiner Ideologie oder Religion, wie dem Kreuz, dem Halbmond, dem Gral, oder mit was auch immer. Die Sportbekleidungshersteller sind dabei am weitesten – einfach vier Striche oder ein Haken. Punkt! Das ist alles. Oder eine Imbisskette: jeder kennt das gelbe M. Markensymbole zu entwickeln, die so sinnfrei wie möglich sind, ist eine Kunst für sich.« Gernot legte eine Atempause ein. »Oder fällt dir ein Markenlogo ein, das irgendeine Interpretation zulässt?«

      »Die mir in den Sinn kommen, sagen wirklich nichts aus«, gab Winfried zu, widerrief aber sofort: »Moment: ein Hamburger-Konzern. Der mit der Krone. Das Symbol steht für Monarchie!«

      »Daran habe ich nicht gedacht, aber du hast Recht. In diesem Fall haben die Marketingprofis versagt. Mit dem Logo hat der Laden wohl keine Zukunft.«

      »Solchem