Askuja. Sophie R. Nikolay

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Название Askuja
Автор произведения Sophie R. Nikolay
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847659006



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Bett und Wand. Fagal hatte Pari nie angewiesen, sich zu verstecken, doch ihm erschien es besser zu sein, wenn er nicht gesehen würde. Diesmal trat der Wachhabende nicht in Fagals Räumlichkeiten, weshalb Pari wieder hervorkam, sobald die Schritte verhallten.

      „Ich verstehe dich nicht. Wäre es denn so schlimm, wenn dich hier jemand sehen würde?“, fragte Fagal belustigt.

      „Nein. Trotzdem halte ich es weiterhin für besser. Egal wie oft du dich noch darüber amüsierst.“

      Pari trat vor Fagal. Sie waren gleich groß und trotzdem nicht ebenbürtig. Ein kleiner Stich brannte in Paris Herz, denn er wusste, für sie beide gäbe es nie eine Zukunft. Er legte seine Hände um den Nacken seines Gegenübers, glitt mit den Fingerspitzen durch das dichte schwarze Haar und küsste ein letztes Mal für diesen Tag den Mund, der vergangene Nacht alles andere als sittsam gewesen war.

      „Übermorgen?“, fragte er hoffnungsvoll.

      „Ja. Ich erwarte dich wie immer“, erwiderte Fagal und lächelte leicht. „Ich freue mich.“

      *

      Nachdem Pari gegangen war, trat Fagal in sein Badezimmer. Schwarzer, blank geschliffener Stein dominierte den Raum. Eine gläserne Wanne stand in der Mitte auf einem Sockel. Die Burg und die Stadt erschienen vom Äußerlichen, als wären sie dem Mittelalter der Erde nachempfunden. Innerlich profitierten die Bewohner von all den technischen Entwicklungen, die von den unterschiedlichen Völkern der Allianz gebaut worden waren. Askuja bot genug Rohstoffe, um ein angesehener Handelspartner zu sein. Die Anbauflächen mit gut bestellten Feldern, die Pflanzenplantagen des Meeres, die Bodenschätze … Letzteren hatte Fagal die Ausstattung seiner Räumlichkeiten zu verdanken. Im Tausch gegen Edelsteine bekam man so viel Technik, wie man wollte.

      „Halb voll, neununddreißig Grad“, sagte er laut und gab damit der Wanne den Befehl, Wasser in der angegebenen Temperatur einzulassen. Nach dem Bad machte er sich fertig für das Frühstück mit seinem Vater. Die einzige Zeit des 30 Stunden langen Tages, die sie zusammen verbrachten. Nicht, dass er gerne länger mit ihm zusammen wäre. Im Gegenteil, die halbe Stunde während des Frühstücks reichte vollkommen.

      *

      Pari lief durch die Gassen, kaufte ein Maisbrot und trat schließlich durch die windschiefe Tür des Hauses, in dem er mit seinem Freund Firin eine Wohnung teilte. Ganz wie erwartet war dieser schon wach, denn er musste wie Pari zur Arbeit.

      „Guten Morgen“, grüßte Pari ihn gut gelaunt.

      „Du strahlst mit der Sonne um die Wette, also gehe ich davon aus, dass du eine sehr gute Nacht hattest“, erwiderte Firin und zwinkerte. Der Rotschopf wusste von der Liaison, die Pari mit Fagal verband.

      „Jaa … leider folgt immer das ernüchternde Aufwachen.“ Pari ließ sich auf der Holzbank nieder, die vor dem Tisch stand. Ihrem einzigen Tisch, der auch noch wackelte, weil der Boden uneben und die Beine krumm waren.

      „Du wusstest doch, worauf du dich einlässt.“

      Pari grunzte eine Zustimmung. Natürlich hatte er es gewusst. Trotzdem gelang es ihm nicht, die Affaire als das abzutun, was sie sein sollte. Eine Bettgeschichte. In den letzten Wochen hatte sich Fagal immer tiefer in sein Herz gegraben und es ließ sich nicht mehr aufhalten. Eines Tages würde er daran zerbrechen, das wusste er. Doch bis dahin würde er jede Minute genießen, die er mit diesem besonderen Mann verbringen konnte.

      „Fahrt ihr heute raus?“, lenkte Pari vom begonnenen Thema ab.

      „Kann sein. Vielleicht auch erst morgen. Es kommt darauf an, wie viel noch im Lager liegt.“ Firin arbeitete für Jakko, der eine Pflanzenplantage im Meer betrieb. Niemand auf Askuja aß diese, denn alle Wasserpflanzen galten als ungenießbar. Das jedoch nur für den Menschen. Es gab Völker, die sahen die roten, grünen und gelben Pflanzen als Delikatessen an. Da es nicht viele Planeten mit einem so großen Wasservorkommen gab, bestand die Allianz darauf, dass alle besiedelten den Anbau betrieben.

      „Und was habt ihr zu tun?“

      „Ich muss noch das Tor fertigstellen.“ Pari rümpfte die Nase.

      „Ach ja, das für den schmierigen Kerl … Na dann wünsche ich dir viel Spaß beim Ausliefern“, bemerkte Firin mit leichter Schadenfreude, was ihm einen schiefen Blick seines Freundes einbrachte.

      Flucht

      Nachdem der morgendliche Weckruf erklungen war und alle Arbeitskräfte sich aus den Betten gequält hatten, folgte die Aufstellung. Die Aufseherin schritt durch den Gang und achtete darauf, dass niemand sprach. Ihre grimmige Mimik reichte schon aus, dass sich jeder an das Sprechverbot hielt. Dafür musste sie nicht noch zusätzlich den Stab schwenken, den sie bei dem kleinsten Vergehen mit diabolischer Freude einsetzen würde. Die Stromschläge, die das Ding abgab, waren sehr schmerzhaft und niemand, der einmal das Vergnügen hatte, damit in Kontakt zu kommen, riskierte es ein zweites Mal.

      In Reih und Glied verließen die Arbeitskräfte schließlich die Schlafhalle. Als die Aufseherin einen älteren Mann maßregelte, weil er es gewagt hatte zu husten, senkten alle den Blick. Keiner bemerkte, dass ganz am Ende der Reihe eine junge Frau einen Ausfallschritt machte und sich unter einem der Etagenbetten versteckte …

      Die Minenarbeiterin trug die Bezeichnung AC24, was für Halle A, Reihe C und Bett 24 stand. Einen Namen hatte sie nicht, wie alle anderen innerhalb des Lagers.

      Die Schritte verhallten langsam und erst, als absolute Stille herrschte, traute sie sich aus ihrem Versteck heraus. Hektisch wanderten ihre Blicke umher, doch sie war allein. So lange hatte sie darauf gewartet. Seit Wochen schwelte der Plan in ihr.

      ‚Jetzt oder nie!‘, sagte sie sich und huschte durch die Tür. Der karge Vorplatz war leer und keine Menschenseele zu sehen. Sie wusste, wo sich im Augenblick alle befanden. In einer großen Halle, in der das Essen gereicht wurde. Von dort aus würden alle Arbeitskräfte in die Mine getrieben werden. Die Stille ließ den Kies, über den sie lief, zu laut knirschen. Es kam ihr ohrenbetäubend vor und erst, als sie die Grasfläche erreicht hatte, erlaubte sie sich wieder zu atmen. Ihr Herz raste, als wolle es mit ihren Beinen konkurrieren, die über die einsehbare freie Fläche rannten. Dann erreichte sie das schützende Maisfeld. Die hohen Pflanzen verschluckten sie und doch gönnte sie sich nicht, eine Pause einzulegen. Sie rannte, als ob es um ihr Leben ginge. Was ja auch den Tatsachen entsprach. Jede Flucht wurde bestraft. Nur wie, das bekamen die Arbeiter nicht mit …

      Die blonden Haare wehten hinter AC24 her, verfingen sich an den Pflanzen und verknoteten. Es spielte keine Rolle. Das Einzige, das zählte, war die Stadt zu erreichen. In Hope wäre sie sicher.

      Während sie das Feld durchquerte, blieb sie wiederholt an den Pflanzen hängen. Ihre dünne und verschlissene Arbeitskleidung riss an einigen Stellen auf, doch es kümmerte sie nicht.

      Keuchend verließ die Luft ihre Lungen und sie kämpfte sich weiter. Wie lang das Feld war, wusste AC24 nicht. Sie hoffte nur, wenn es endete, würde sie die Stadt sehen können.

      Erschöpfung machte sich in ihr breit und doch gestattete sie sich nicht, auch nur für einen Moment stehen zu bleiben. Dann hörte sie den Alarm. Der Ton schallte über das Feld und Panik ergriff sie. Schon jetzt hatte man bemerkt, dass sie fehlte! Mit letzter Kraft preschte sie weiter vorwärts und stolperte schließlich aus dem Feld heraus. Vor ihr lagen die ersten Gebäude, die sie erreichen würde, wenn sie sich durch das Getreidefeld schlug. Ohne nachzudenken rannte sie weiter, trieb ihre Beine zur Höchstleistung an. Die Halme zu durchqueren, stellte sich schwieriger heraus, als Anfangs gedacht. Doch sie gab nicht auf, schaffte es schließlich hindurch. Ihre Brust brannte, die Seiten stachen und ihre Beine zitterten. Doch noch war sie nicht am Ziel, nicht in Sicherheit. Vielleicht zweihundert Meter sandiger Boden trennten sie von der erhofften Rettung, der Zuflucht. AC24 biss Zähne aufeinander und trieb ihren Körper an, nicht aufzugeben. Jeder Atemzug brannte. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie um die Ecke eines Hauses bog, dem die Fenster fehlten. Der gepflasterte Weg wirkte ungepflegt. Die meisten der Häuser ebenfalls. Das nahm sie nur am Rande wahr. Ihr Blick war stur geradeaus