Der nächtliche Wald. Roman Fessler

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Название Der nächtliche Wald
Автор произведения Roman Fessler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847642718



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das Wort an sich riss und Partei für den Earl ergriff, indem er dessen Ansicht unterstützte, dass es sich hier ganz klar um einen Fall von Schwarzer Magie handeln müsse. Die Frage sei nur, ob der Versuch bereits erfolgreich war oder ob der Delinquent bislang erfolglos versucht habe, den Beistand finsterer Mächte heraufzubeschwören. Des weiteren müsse man so schnell wie möglich herausfinden, was der Schuldige im Schilde führe oder, anders gesagt, zu welchem Zweck er sich die Kräfte der Hölle dienstbar zu machen wünsche. Hawthorne erinnerte an den französischen Dauphin, der versucht hatte, mit Hilfe des Teufels auf den Thron in Paris zu gelangen. Sollte es sich hierbei eine Verschwörung gegen den Earl handeln, müsse man endlich entschlossen und mit aller gebotenen Härte gegen den Feind vorgehen.

      Man hatte beschlossen, mit allen Mitteln nach dem oder den Mördern zu fahnden. Der Earl ließ Gerüchte über eine gewaltige Summe verbreiten, die demjenigen ausbezahlt werden sollte, dem es gelänge, den Schuldigen aufzuspüren. Innerhalb weniger Tage strömten aus allen Teilen des Landes mehr oder weniger zwielichtige Gestalten nach East Lothian, um sich an der Menschenjagd zu beteiligen. Die Bauern auf dem Land und die Bürger in den Städten wussten schon bald nicht mehr, wen sie mehr fürchten sollten, die menschenfressenden Schwarzmagier oder das geldgierige, mordlüsterne Gesindel, das vorgab, Jagd auf die Ketzer machen zu wollen und dabei die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte. Man hörte von Diebstahl und Vergewaltigung. Misstrauen gegen die Fremden machte sich breit. Der Earl ließ zwei Verdächtige kurzerhand aufhängen, um für Ruhe zu sorgen. Trotzdem kamen immer mehr Fremde ins Land. Die meisten versuchten ihr Glück auf eigene Faust oder zogen in Gruppen durch die Wälder und Moore auf der Suche nach dem Versteck der Teufelsanbeter. Nur wenige kamen ins Schloss und boten ihre Dienste direkt dem Earl an und waren bereit, sich seinen Männern anzuschließen.

      Dieser Fremde, der gerade von seinem Pferd stieg, als sich die Zugbrücke hinter ihm schloß, schien einer davon zu sein. So sehr Lady Margaret auch grübelte und sich zu erinnern versuchte, sie konnte sich nicht entsinnen, diesen Mann je zuvor gesehen zu haben. Und doch starrte Alison ihn an, als käme er ihr bekannt vor. Die junge Frau schien alles um sich herum vergessen zu haben und hatte nur noch Augen für den Ankömmling dort unten im Schlosshof. Als Lady Margaret ihre Tochter vorsichtig an der Schulter berührte, nachdem sie zwei Mal ihren Namen genannt und vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, zuckte Alison erschrocken zusammen und sah einen Augenblick ihrer Mutter so verständnislos ins Gesicht, dass man hätte meinen können, sie wüsste nicht, wen sie vor sich hatte. Dann lächelte sie kurz, senkte aber sofort ihre Augen, als sie dem fragenden Blick ihrer Mutter begegnete. Lady Margaret warf dem Fremden noch einen letzten Blick zu, dann ging sie an der Seite ihrer Tochter zurück ins Schloss.

      Dort herrschte gespenstische Stille. Den Frauen fielen als erstes einige Mägde auf, die erregt miteinander tuschelten und so in ihre Geheimnisse vertieft zu sein schienen, dass sie die herankommende Schlossherrin gar nicht wahrnahmen. Als Lady Margaret sie mit einem kalten, harten Unterton in ihrer Stimme fragte, ob es ihnen an Arbeit mangele, schüttelten sie verlegen und furchtsam ihre schamroten Köpfe und nahmen vor den missbilligenden Blicken ihrer Herrin Reißaus. Lady Margaret war nun noch übellauniger als zuvor. Cullen war noch immer nicht mit ihrer Medizin erschienen und darüber hinaus ging etwas vor in ihrem Haus, wovon sie nichts wusste. Wutschnaubend stieg sie die Treppen hinab und hinkte mit zornigem Blick und zusammengebissenen Zähnen so schnell sie konnte durch die große Halle, hinüber in den Audienzsaal, wo ihr Mann im Kreise seiner Berater an einem Tisch saß und mit den Ankömmlingen redete.

      Kapitel 3

      Lady Margaret schickte Alison hinaus und ging zu ihrem Mann, der sich bei ihrem Erscheinen höflich erhoben und ihr eigenhändig einen Stuhl angeboten hatte. Der Earl ließ es sich nicht nehmen, durch solch kleine Gesten seine Hochachtung und Liebe gegenüber der Frau zum Ausdruck zu bringen, die er auch nach zweiundzwanzig Ehejahren noch immer so sehr verehrte wie am ersten Tag. Lady Margaret nahm mit einem bezaubernden Lächeln auf den Lippen Platz und reichte dem Earl mit einer eleganten Armbewegung ihre Hand. William berührte ihre makellose, elfenbeinfarbene Haut flüchtig mit seinem Mund und setzte sich wieder. Durch ein Kopfnicken gab er dem Mann vor sich zu verstehen, dass er fortfahren solle in seinem Bericht.

      Lady Margaret kannte den kleinen, stämmigen Mann mit der Narbe auf der linken Wange sehr gut. Es hieß Alexander Beane und war ein fahrender Händler, der mit Gavin Cullen Geschäfte machte. Von ihm bekam Cullen die Kräuter und Ingredienzien für seine Salben und Tränke geliefert. Margaret hatte sich schon oft gefragt, ob es nicht Beane selber war, der die Salben anrührte, die ihr auf geradezu wundersame Weise seit einem Jahr Linderung verschafften. Er wirkte zwar grobschlächtig und plump, aber keineswegs dumm oder ungebildet. Sie hatte ihn sogar schon fließend Latein sprechen hören und mehr als einmal mitbekommen, wie er sich mit Cullen auf sehr gelehrte Weise über Pflanzen und deren Anwendung unterhalten hatte. Was der Salbenverkäufer aber an diesem Morgen berichtete, hatte nichts zu tun mit Kräutern und Gräsern. Er hatte das vierte Opfer der Menschenfresser entdeckt.

      Dabei war er auch dem Fremden begegnet, der ihn beinahe getötet hätte, als er versuchte, davonzulaufen. Beane hatte es mit der Angst zu tun bekommen, als er den Unbekannten plötzlich im Dickicht des Waldes gehört hatte und wollte zum Wagen zurücklaufen, wo seine Frau Agnes auf ihn wartete. Doch er war nicht weit gekommen. Der Riese hatte ihn zu Boden geworfen und ihm sein Messer an die Kehle gesetzt. Wäre Agnes nicht genau in diesem Moment aufgetaucht, er hätte ihm wahrscheinlich die Gurgel aufgeschlitzt von einem Ohr bis zum anderen.

      Earl William hob die Hand und gebot dem Salbenverkäufer zu schweigen. Er winkte den Fremden zu sich heran, der bis zu diesem Moment schweigend im Hintergrund gestanden und vollkommen reglos zugehört hatte. Jetzt trat er vor den Earl und Lady Margaret, zeigte seinen Respekt vor dem Herrscherpaar mit einer raschen, aber formvollendeten Verbeugung und nannte laut und deutlich seinen Namen. Ian Mac Coinnich.

      Ein leises Raunen ging durch den Saal. Die Diener und Schreiber konnten ihre Überraschung nicht so gut verbergen wie die Berater des Earl, die nur die Augenbrauen hochzogen und sich fragende Blicke zuwarfen. Allen war anzusehen, dass sie den Mann, der da vor ihnen stand, am liebsten mit Fragen überschüttet hätten. Doch sie hielten sich zurück und überließen es dem Earl, den Highlander nach den Gründen für sein Erscheinen zu fragen.

      Ian Mac Coinnich stand breitbeinig und mit verschränkten Armen, ganz wie es den Gepflogenheiten in seiner Heimat entsprach, vor dem Schlossherrn und sah ihm fest und gerade in die Augen, als er zu reden begann. Alison beobachtete ihn heimlich durch eine Seitentür, die sie einen Spalt weit geöffnet hatte.

      Sie konnte es noch immer nicht glauben. Dort stand der Mann, den sie seit Tagen in ihren Träumen gesehen hatte. Ian Mac Counnich. Der geheimnisvolle Fremde, der ihre Gedanken und Gefühle so sehr durcheinandergebracht hatte, dass sie schon beinahe bereit gewesen war, dem Arzt ihrer Mutter zu glauben, der ihr einzureden versuchte, sie werde von einem lüsternen Inkubus heimgesucht. Doch dieser Mann war alles andere als eine Ausgeburt der Hölle.

      Sie sah in seine klaren, braunen Augen und konnte nichts Dämonisches oder Verschlagenes darin erkennen. Seine markanten Gesichtszüge, die gerade Nase und der schmale Mund, alles strahlte eine Würde und Aufrichtigkeit aus, die kein Dämon je hätte vorgaukeln können, so sehr er sich auch zu verstellen versuchte. Mac Coinnich war von hühnenhafter Gestalt, größer als die meisten Männer, die sie kannte und strotzte vor Kraft. Das karierte Baumwollhemd spannte sich über seine breite Brust und ließ die Muskeln seiner mächtigen Oberarme deutlich hervortreten. Zwei säulenartige, gerade Beine trugen diesen mäßigen Oberkörper und erhoben ihn gut einen Kopf über den missmutig dreinschauenden Salbenverkäufer, der beiseitegetreten war, um ihm Platz zu machen.

      Mac Coinnichs Stimme war weich und doch voller Autorität, er sprach nicht laut und polternd wie die meisten Männer, sondern kraftvoll und doch gelassen. Alles an ihm war Ausdruck eines unerschütterlichen Selbstvertrauens. Alison erinnerte sich an den Traum der vergangenen Nacht, als sie diese Stimme gehört hatte. Er hatte seine Arme um sie gelegt, sie fest an sich gedrückt und zärtlich ihre Lippen mit seinem Mund berührt, ehe er ihr ganz leise seine unsterbliche Liebe gestanden hatte. Es war dieselbe Stimme wie in ihrem Traum, die sie nun