Название | Die Tote unter dem Schlehendorn |
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Автор произведения | Dieter Landgraf |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738048759 |
Vorsichtig kniet er nieder und versucht ihren Puls zu fühlen. Doch schon nach wenigen Augenblicken spürt er die Sinnlosigkeit seines Handelns. Paula Pattbergs Herz hat aufgehört zu schlagen. Sie liegt tot unter dem Schlehendorn.
Aufgeregt und fahrig nestelt er am Klettverschluss seiner Handytasche. Endlich hat er es geschafft. Aufgeregt und noch völlig durcheinander erklärt er dem diensthabenden Polizeibeamten seine fürchterliche Entdeckung.
„Ich habe eine Tote gefunden“, bringt er sichtlich nach Atem ringend hervor.
„Sind sie sicher, dass die Person nicht mehr lebt?“
„Einhundert Prozent sicher … sie atmet nicht mehr und ihre Augen blicken starr Geradeaus.“
„Vielleicht ist sie nur bewusstlos. So etwas haben wir schon öfters erlebt.“
„Nein, nein“, schreit er ins Telefon, „sie ist mausetot … ich schätze, dass sie umgebracht wurde … das war bestimmt ein Mord.“
„Na, na … warum denn gleich an so etwas Schlimmes denken“, versucht der Polizeibeamte ihn zu beruhigen, „ist ihnen die Tote bekannt?“
„Ja, natürlich … sie wohnt doch hier.“
„Was soll ich unter hier verstehen … hat der Fundort auch einen Namen?“, will der Polizeibeamte wissen.
Immer noch aufgewühlt und nach Fassung ringend antwortet Armin Wenzel: „In Akazienaue … hier unter dem Schlehendorn.“
„Wo in Akazienaue … in der Dorfmitte, am Anfang oder am Ende?“
„Nicht mitten im Ort … hier in der ganzen Gegend gibt es nur einen Schlehendorn … diesen Baum kennt doch jeder.“
Nach mehreren Rückfragen hat Armin Wenzel die erforderlichen Angaben zum Fundort durchgegeben. Der Polizeibeamte fordert ihn auf, die Ankunft der Polizei abzuwarten und sich nicht von der Unglücksstelle zu entfernen. Die erste Aufregung legt sich nach dem Telefongespräch nur langsam. In gehöriger Entfernung von der Toten setzt er sich ins Gras. Es ist das erste Mal, dass er in eine solche Situation geraten ist. Da hat es Jahrzehnte in der ganzen Umgebung keine Straftaten gegeben und gerade ich muss da mit hineingezogen werden - denkt Armin Wenzel über seine Situation nach - und das es sich hier um einen heimtückischen und kaltblütigen Mord handelt, davon ist er überzeugt. Das beweist schon allein der Fundort. Das werde ich den Polizeikommissaren deutlich sagen - sind seine Überlegungen. Recht schnell kommt er ins Grübeln, wer wohl zu solch einer Tat fähig wäre.
Erinnerungen
Aus der Ferne dringen hin und wieder leise Geräusche an das Ohr von Achim Wenzel. Sie stammen aus der kleinen Gemeinde Akazienaue, deren Häuser und Grundstücke sich sanft an das Ufer des gleichnamigen Sees anschmiegen. Dabei erinnert er sich unbewusst an die Entstehungsgeschichte des Ortes und an die Zeit, als er hier ansässig wurde. Der Name für die idyllische Ansiedlung war auf eine recht ungewöhnliche Weise zustande gekommen. Oberförster Balthasar Knittelbecher wurde vom Markgrafen Heinrich für seine treuen Dienste mit reichlich Land und dem dazugehörigen Wald belohnt. Zudem schenkte er ihm auch einen Gutshof. Wie zu jener Zeit üblich hätte der Oberförster gerne dem neuen Besitz seinen Namen gegeben. Doch weder sein eigener noch der seiner Frau Mechthild schienen ihm dafür geeignet. Bei einer ersten Inaugenscheinnahme des ihm gehörenden Grund und Boden fiel dem pensionierten Waldhüter und Jägersmann eine nicht alltägliche Baumgruppe nahe am See auf. In einem botanischen Nachschlagwerk entdeckte er, dass es sich wahrscheinlich um Akazien handelt. Die unpaarig zusammengesetzten gefiederten Blätter sowie die stechenden Dornen waren für ihn identisch mit der Abbildung in seinem Lexikon. Bei der Namensgebung für die Ansiedlung haben diese Bäume dann tatsächlich Pate gestanden. Er entschied sich, das Gut und das dazugehörige Land Akazienaue zu nennen. Erst viel später sollte sich herausstellen, dass es sich um keine Akazien sondern um Robinien handelt. Die Verwechslung der Baumarten des Ortgründers Balthasar Knittelbecher wurde von Generation zu Generation in ebensolcher fälschlichen Weise weitergegeben. Die Robinien als Akazien zu bezeichnen ist bis heute in den Köpfen aller Einwohner tief verwurzelt.
So stellt der ortsansässige Imker regelmäßig im Frühjahr seinen Wagen mit dem Bienenvolk unter die blühenden Robinien. Den aus der Bienenzucht gewonnenen gelben Honig verkaufte er auf den Wochenmärkten als Akazienhonig - immer mit dem Hinweis, dass der Honig aus eigener Herstellung stammt. Von vielen wird er angesprochen, dass hier doch keine Akazien wachsen und diese viel mehr in den subtropischen Gebieten in Südamerika, Asien, Afrika und Australien beheimatet sind. Darauf hat er immer die passende Antwort parat: Dann sind es eben Scheinakazien und darin ist ja wohl auch das Wort Akazie enthalten. Von ihm und allen Einwohnern der Gemeinde wird die Baumgruppe mit dem inzwischen zwanzig bis fünfundzwanzig Meter hohen Bäumen mit unbeirrbarer Hartnäckigkeit nur Akazienhain genannt.
Im Verlauf der Jahrzehnte entwickelt sich das ehemalige Herrengut zu einer Ansiedlung mit etwa zweihundert Einwohnern. Das äußere Erscheinungsbild des Ortes prägen Einfamilienhäuser mit unterschiedlichen Bausstilen. Neben den Fachwerk- und Landhäusern errichteten die jeweiligen Bauherren in den letzten Jahren auch Landvillen und Designerhäuser. Selbst die skandinavische Bauweise kann man schon mehrfach antreffen. Zur Vielfalt der Häusertypen beeindrucken vor allem die teilweise kunstvoll angelegten Vorgärten. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass sich jeder Hobbygärtner im Wettbewerb zu den Nachbarn der angrenzenden Grundstücke befindet. Die Blumen und Stauden in ihrer vollen Blütenpracht laden förmlich zu einem Spaziergang durch Akazienaue ein. So mancher Einwohner zeigt seinen Verwandten und Bekannten mit besonderem Stolz den Scharm und die Gediegenheit der kleinen Gemeinde und flaniert gerne mit den Besuchern durch den Ort. Dem Unternehmungsgeist eines vor mehreren Jahren zugezogenen Botanikers ist es zu verdanken, dass auf dem Dorfanger ein prächtiger Kräutergarten entstand. Dieser wird in vielfältiger Weise genutzt. So zum Beispiel ergänzen die Lehrer des Gymnasiums aus der Kreisstadt Ballenhainischen anschaulich ihren Biologieunterricht mit dem Besuch des Gartens. Die begrünte Pergola, der Springbrunnen in der Mitte der Anlage sowie die gastronomische Betreuung an den Wochenenden haben diesen Platz zu einem beliebten Treffpunkt für alle Altersgruppen werden lassen. Längst wurde die ehemals mit Schlaglöchern übersäte Dorfstraße mit einer schwarzen Bitumenschicht überzogen und die Bürgersteige schmücken rotbraune Gehwegplatten. Auch die Nebenstraßen und die vormals sandigen Wege zum Seeufer sind befestigt und ausgebaut. Die neue Straßenbeleuchtung mit den nostalgischen Laternen ergänzt das äußerst ansehnliche Erscheinungsbild des Ortes. Über viele Jahrzehnte war die Landwirtschaft das charakteristische Merkmal der Gemeinde. Doch auch hier hat sich ein Wandel vollzogen. Die Mehrzahl der Bewohner üben ihre Berufe in vielen Kilometer weit entfernten Unternehmen und Einrichtungen aus. Sie nehmen dafür teilweise erhebliche Fahrzeiten und längere Wegstrecken in Kauf. Akazienaue gehört zu den dreizehn kleinen Ortschaften, die von der Kreisstadt Ballenhainischen verwaltet werden. Aus der ehemals verschlafen wirkenden Ansiedlung entwickelte sich eine gepflegte und attraktive Gemeinde, die den Einheimischen