BLICK AUF DEN NIL. Karim Lardi

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Название BLICK AUF DEN NIL
Автор произведения Karim Lardi
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752905489



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ihn einmal einladen würde. Seine Bewunderung für sie sei nämlich grenzenlos. Von ihrem eisernen Willen und politischem Geschick können sich viele arabische Staatsmänner eine fette Scheibe abschneiden.

      „Schade, dass du keine Araberin bist, Miss Mertel!“, bedauerte er, während er den letzten Zug von seiner Zigarette nahm, kurz bevor der Filter glühte, und auf das Dach seiner „Blechkiste“ schlug. Diese Frau hat den Verstand von zehn Männern. Davon schien er überzeugt.

      „Ich glaube, sie liebt die Araber!“, offenbarte er.

      Laura wedelte sich den Rauch aus dem Gesicht und konnte sich dabei ein Grinsen nur schwer verkneifen, als ihr das reizende Bild von Abu Huyam Abd-Essabur el-Harankesch und „Miss Mertel“ in den Sinn kam, händchenhaltend durch das Brandenburger Tor spazierend. Sie würden ein hübsches Paar abgeben. „Welche Frau der Welt könnte dieser Anmut und diesem Charme widerstehen“, rang sie sich ein dünnes Lächeln ab.

      Nach einer Weile der Träumerei ging die Raserei von neuem weiter.

      „Ma tiqlaqiiiisch! Keine Sorge! Bald müssten wir in Sichtweise von Zamalek sein“, sagte der Taxifahrer beruhigend als er ihre Müdigkeit und langsam wachsende Unruhe bemerkte.

      Weit in der Ferne erschien das Zentrum unter einer düsteren Smoghülle, die wie eine schwere Glocke über der ganzen Stadt lag, als ziehe gerade ein heftiger Sandsturm über sie hinweg. Schweigend saß Laura erstarrt im Taxi, das rumpelnd und mit heulendem Motor dahin brauste. Durch das unklare Seitenfenster betrachtete sie die Stadt, die wie im Zeitraffer hinwegflog. Es war das pure Hinübergleiten in ein anderes Universum. Sie fuhren an vielen kleinen, grün beleuchteten Moscheen vorbei und über viele Autobahnbrücken, bevor sich der Nil endlich zeigte. Sie fühlte sich desorientiert und spürte nichts von dem Frohlocken, das sie erwartet hatte.

      „Das ist der Nil!“, deutete der Taxifahrer mit einer ruckartigen Kinnbewegung, ohne das Lenkrad loszulassen. Sie sah fast nichts durch die schmutzigen Fensterscheiben. Für einen Moment dachte sie in einem Gruselfilm zu sein. Ein trüber dichter Dunst lag wie ein Tuch über dem Nil und verhüllte die ganze Stadt, die abwechselnd hervortrat und wieder verschwand, wie eine geisterhafte Erscheinung, die auf einer trübgrauen Leinwand flackerte. Mühsam kurbelte sie das Fenster runter und spähte durch die Nebelwolke hinaus, die sich intensiver über dem Fluss bildete. Ihre Augen weiteten sich langsam. Wie gebannt schaute sie hin und geriet allmählich in einen Schockzustand. Die Bewunderung, die sie früher empfunden hatte, fiel auf einmal von ihr ab und war wie im Nu verflogen. Es ist einfach alles so viel anders, als erwartet. Kairo, wovon sie ihr ganzes Leben geschwärmt hatte und das sie aus den vielen Filmen, Vorlesungen kannte und aus den Büchern, die sie schon als Kind voll Sehnsucht und Verlangen durchblätterte, war prächtig, unvergleichlich schön, einfach magisch-orientalisch.

      „Nein! Das darf nicht wahr sein! Das ist nicht mein Nil und das ist nicht mein Kairo!“, sagte sie sich in tadelndem Tonfall und mit wehmütigem Beiklang.

      Die Stadt, die sie in jenem Moment wahrnahm, hatte eine gewaltige Ausdehnung erreicht. Sie erschien in den Frühstunden dieses Tages trist und farblos und bot einen schäbigen Anblick. Vielleicht war ja der dichte Dunst schuld, dachte sie sich.

      Immer wieder tauchten heruntergekommene Hausboote, rostige Autos mit platten Reifen und abgebrochenen Seitenspiegeln in Erscheinung. Überall ein Häusergewirr, Vernachlässigung und Verfall. Häuser mit unverputzten roten Ziegeln erweckten den Eindruck einer willkürlich hingeworfenen Siedlerstadt, die über Jahrzehnte hinweg von allein ohne Hilfe von Stadtplanern gewachsen war und in der sich Zuzügler einfach dort niedergelassen hatten, wo es gerade eine Lücke gab.

      Ihr enttäuschter Blick blieb eine Weile an einem Bild Mubaraks hängen und sie legte ihre Stirn missbilligend in Falten. Mühevoll schluckte sie die Splitter eines zerplatzten Traumes hinunter. Die Städte sind letztendlich das Produkt ihrer Regierenden. Kairo ist zu dem geworden, was diese aus ihr gemacht haben: ein farbloses, lautes, chaotisches Labyrinth. Hier und dort eine Müllhalde. Plastikflaschen. Plastiktüten. Die Straßen ein Schmutzfeld.

      Das letzte Mal, als sich die Stadt herausgeputzt hatte, erzählte Abd-Essabur, war, als Barack Obama Kairo seinen ersten Besuch abstattete. In kürzester Zeit war ein Teil der Stadt in Ordnung, aufgeräumt und die Straßen blitzsauber gefegt und abgespritzt. Man hatte Hunde, Katzen und Bettler verjagt und alle Formen des Elends regelrecht weggeschrubbt. Es wurde nichts dem Zufall überlassen. Über Nacht wurden Straßen asphaltiert, Laternen aufgestellt und saftgrüne Palmen gepflanzt, Bordsteine wurden frisch gestrichen. Und parkende Autos abgeschleppt. Plötzlich erkannte man, dass diese Stadt doch Bürgersteige hatte. Die Stadt wurde über Nacht blitzblank. Und was man nicht wegpusten konnte, wurde hinter die Cache-misère gebracht, um das Gebrechen der Stadt zu verdecken. Fassade. Fassade. Alles Fassade! „Es hat ausgeschaut, als würde man Lippenstift auf dickem Rotz auftragen“, sagte Abd-Essabur und musste selber über seine Formulierung lachen. Er wollte nicht mehr aufhören zu lachen.

      Langsam bog das Taxi von der Brücke ab und nach einer Weile verkündete ein Schild, dass sie sich in Zamalek befanden. „Ein elegantes Stadtviertel in bester Lage, eine geschützte Insel, ein friedliches Plätzchen! Willkommen im Garten von Eden!“, sagte der Taxifahrer und seufzte wehmütig. „Hier sind die meisten Prominenzen und Exzellenzen, hier wohnen Diplomaten, ausländische Experten und die cremigen und wohlhabenderen Ägypter.“ Wie er die letzten Wörter betonte, das klang verbittert, fast verächtlich.

      Lauras Blicke wanderten zu Straßenfegern und jungen Müllmännern in schäbigen Kleidern, die gerade einen roten Chevrolet mit einem fetten Logo beluden. Wem die Arme bis zu den Ellbogen im Müll stecken, wünscht man keinen Morgen voller Jasemin und Zimtäpfeln! entzifferte sie auf dem Wagen.

      Ihre zarten Rücken krümmten sich unter der Last der Müllberge, die die Herrschaften Tag für Tag produzierten. Sie schlurften unter ihrer Last vornüber gebeugt mit watschelnden Schritten die Straße hinauf in Richtung der nächsten Mülltonnen dieses reichen Viertels, immer wieder den Riemen der Tragetasche richtend, die ihnen von den zarten Schultern zu gleiten drohten.

      Hier und da wühlten Kinder im Schulalter in den Abfällen und steckten sich, was sie aus den Abfalleimern gefischt hatten und noch verwerten könnten in die Jackentaschen.

      Das Taxi umfuhr verrottende Säcke mit diesem und jenem, Mülltonen, die überquollen mit Imbiss- Verpackungen, streuenden Hunden und Katzen. Überall unheimlich viele Katzen.

      Mit einer geschmeidigen Drehung des Lenkrades bogen sie in eine schmale Gasse, die mittendrin versteckt war, wie ein Irrgang in einem Irrgarten. Er legte eine prompte Vollbremsung hin, dass er selbst fast an die Windschutzscheibe knallte.

      „Hier sind wir, Alhamdu lillah ala Salama! Gepriesen sei Gott, dass wir heil angekommen sind!“, sagte der Taxifahrer und deutete auf ein altes etwa fünfgeschossiges Haus. Laura streckte ihr Rückgrat und atmete langsam aus, als hätte sie während der gesamten Fahrt den Atem angehalten. Sie gab sich keine Mühe, ihre Erleichterung zu verbergen. Wer hier schon einmal Taxi gefahren ist, weiß, warum man hier einander nach jeder Fahrt gratuliert, dass man unversehrt angekommen ist.

      Autofahren ist generell, wie in den Krieg ziehen, man weiß nie, ob man heil zurückkehrt, aber man zieht trotzdem dahin.

      Laura trat vor das Haus und schaute sich beinah verängstigt um. Sie wusste nicht wohin sie sich wenden sollte. Sie reckte ihren Hals und starrte auf ein grauverwittertes, etwas verfallenes Gebäude, dessen Anstrich völlig abgeblättert war.

      Nile View stand auf einem alten Schild in schöner Kalligraphie.

      Das Haus, aus der englischen Kolonial-Zeit, war in einem schlechten Zustand. Es war vermutlich von Anfang an nicht sonderlich solide gebaut und mittlerweile äußerst marode. Hier wohnen bestimmt keine Diplomaten und keine „hohen Tiere“, dachte sie sich. Es lagen mindestens ein Dutzend mickerige Katzen herum. Sie maunzten und schmiegten sich, ihre Schwänze wedelnd, gleich an ihr Bein. Als würden sie sie willkommen heißen oder ihr etwas erzählen wollen.

      Laura wühlte in ihrer Tasche und reichte dem alten Taxifahrer das Geld, das er zuerst entschieden zurückwies und erst nach wiederholtem Bitten mit überschwänglich blumigen Dankesworten