Das Lexikon der uncoolen Dinge. Harry Luck

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Название Das Lexikon der uncoolen Dinge
Автор произведения Harry Luck
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783738042665



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Milch und Zucker!“ - „Möchte noch jemand einen Schluck?“ – Und schließlich: „Soll ich noch eine Kanne kochen?“ Der Filterkaffee auf dem Tisch jedenfalls gewährleistet einen ununterbrochenen Strom von Flüssigkeit und Redefluss und macht das Kaffeetrinken zu einem gesellschaftlichen Kollektivereignis, während die Espressionisten mit ihren Vollidiotautomaten, die auch im Businessanzug einen „Latte to go“ im unsäglichen Pappbecher aus der „Brew Bar“ mitnehmen, die Koffeinzufuhr zu einer egomanischen Selbstbefriedigung degenerieren. Damit eins mal klar ist: Kaffee gehört in Tassen, nicht in Becher!

      Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist selbstverständlich ein Zeichen der Völkerverständigung, wenn ich im Urlaub den italienischen Cappuccino, den französischen Café au lait, den türkischen Mocca und den spanischen Cortado genieße, aber umso selbstbewusster und mit einer gesunden Portion Patriotismus dürfen wir Deutschen auch unseren guten, alten Filterkaffee mit Bärenmarke-Kaffeesahne trinken und uns geehrt fühlen, wenn man uns im Touristenhotel in der Toskana mit „deutschem Kaffee“ ein heimatliches Gefühl bieten will – und für einen „deutschen Cappuccino“ zum Filterkaffee eine Dose Sprühsahne reicht.

      Bausparen

      Zu den prägendsten Kindheitserinnerungen aus dem elterlichen Wohnzimmer gehören neben der Schrankwand die TV-Werbespots für Ariel mit Clementine, für Schauma-Shampoo und diverse Bausparkassen, deren Slogans uns bis heute im Ohr klingen: „Auf diese Steine können Sie bauen – Schwäbisch Hall“, „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause – LBS“ oder „Wünsche werden Wüstenrot“. Zu den jahrelang ungeklärten und später vergessenen Rätseln der Kindheit gehört die Frage: Was ist eigentlich der Wüstenrot-Tag? Der 31. Dezember war gemeinhin als Silvestertag bekannt; vom Wüstenrot-Tag dagegen war immer im Fernsehen die Rede, dort dafür aber mit einer solchen Vehemenz, dass man befürchten musste, der Wüstenrot-Tag sei im Maya-Kalender verzeichnet und das Verpassen dieses magischen Datums hätte eine persönlich-finanzielle Apokalypse zur Folge. Doch schon damals lernte man: Nach dem Weltuntergang ist vor dem Weltuntergang, der nächste Wüstenrot-Tag, nachdem er folgenlos verstrichen war, würde nicht lange auf sich warten lassen – welcher Mythos auch immer dahinter verborgen war.

      Um es nicht zu spannend zu machen und das Rätsel aufzuklären: Für Bausparer gibt es sogenannte Bewertungsstichtage, an denen die Bewertungszahl festgelegt wird, die für die Zuteilung eines Bausparvertrages wichtig ist. Meistens sind die Stichtage vierteljährlich zum Quartalsende: Man sollte also bis zum 31. noch rasch einzahlen, um bessere Vertragskonditionen zu bekommen. Warum allerdings unbedingt der Vertrag am 30. September immer unbedingt besser sein soll als am 31. Dezember, ist mir nach wie vor schleierhaft und erinnert an den immerwährenden Slogan für Sonderangebote, die „nur für kurze Zeit“ im Regal stehen. Und zwar alle paar Wochen.

      Wie dem auch sei: Wenn man sich über verschiedene Formen der Altersvorsorge informieren möchte, liest man immer gleich zu Beginn, dass Bausparen ja eigentlich als sehr spießig gelte, das in Wahrheit aber schon lange nicht mehr sei. Die Penetranz mit der uns die These „Bausparen = nicht spießig, sondern cool“ in die Köpfe gehämmert werden soll, macht stutzig. Und es ist frappierend, dass die LBS dieses Thema für einen Werbespot aufgegriffen hat, der inzwischen Kult geworden ist: Ein Mädchen erzählt seinem Hippie-Vater – gespielt von Ex-Tatort-Schauspieler Ingo Naujoks – von den Mitschülern, die im großen Haus ein eigenes Zimmer oder einen Garten auf dem Dach haben, von dem aus man die ganze Stadt sehen kann. „Das sind Spießer“, sagt der Vater abfällig, den die Tochter nur mit dem Vornamen Horst anspricht. Darauf die Tochter: „Wenn ich groß bin, möchte ich auch mal Spießer sein.“

      „Wir befanden uns mit dem Bausparthema schließlich im Epizentrum der Spießigkeit“, räumt Carsten Heintzsch ein, der diesen Spot entwickelt hat.

      Monatlich in einen Bausparvertrag einzuzahlen mit dem Ziel, in einigen Jahrzehnten das Geld für ein Eigenheim beisammen zu haben, ist gewiss alles andere als cool und hip. Dabei ist die Idee genial: Angenommen, zehn Bauherren sind in der Lage, jährlich zehntausend Euro zurückzulegen für ein Haus, das hunderttausend Euro kostet: Erst nach zehn Jahren hätte ein Einzelner das Geld gespart. Tun sich aber zehn Bausparer zusammen, ist bereits nach einem Jahr das Geld für das erste Haus angespart. Nach einem weiteren Jahr kann das zweite Haus gebaut werden und so weiter.

      Aber all die flippigen Investmentbanker, die Milliarden von Euros verzockt haben, wären wohl heute froh darüber, selbst einen uncoolen Bausparer mit Wohn-Riester auf der hohen Kante zu haben. Und wer sich als Bausparer mit einem bescheidenen Zinssatz begnügt, dafür aber die Ausdauer für ein Langzeitsparziel hat, der beweist, dass er an sich und die Zukunft glaubt. Das sagt auch die gewiss nicht als spießig geltende Schauspielerin Nora Tschirner (Keinohrhasen, Zweiohrküken): „Ein Bausparvertrag kann das Punkigste auf der Welt sein – wenn man weiß, dass das einen selbst glücklich macht, weil man weiß, dass man da so ein Sicherheits-Ding hat, das einen einfach freier macht.“

      Entstanden ist die Idee des kollektiven Sparens bereits zweihundert Jahre vor unserer Zeit in China, als während der Han-Dynastie gemeinnützige Spargesellschaften gegründet wurden. Die erste Bausparkasse entstand 1775 in Birmingham, 1885 eröffnete Pastor von Bodelschwingh in Bielefeld die „Bausparkasse für Jedermann“. 1921 gründete der gelernte Drogist, Alkoholgegner und Schriftsteller (Merkbuch für die junge Mutter und Der Pilz- und Kräuterfreund) Georg Kropp im Schwabenländle den Verein „Gemeinschaft der Freunde“, ein Klub von Bausparern. Zahlreiche Bausparverträge wurden abgeschlossen, und bald darauf wurde das erste Baugeld in Höhe von zehntausend Mark zugeteilt. Schon im Jahr 1928 beschäftige die Bausparkasse rund zweihundert Mitarbeiter. Bis 1934 wurden an über fünfzehntausend Bausparer mehr als zweihundertzwanzig Millionen Mark ausgezahlt.

      Die Geschichte des Bausparens ist heute anschaulich dargestellt im ersten Wohnhaus Kropps, wo aus einem Einzimmer-Unternehmen ein großer Finanzdienstleister wurde. Dort ist auch Deutschlands erster Bausparvertrag zu sehen, unterschrieben von einem Sparfuchs namens Johannes Rau, der nur zufällig so hieß wie der spätere Bundespräsident. Man erfährt außerdem, dass Theodor Heuss, Thomas Gottschalk und Karl-Heinz Rummenigge prominente Wüstenrot-Bausparer waren – außerdem der Tier-Experte Bernhard Grzimek, dessen Brief an die Gemeinschaft der Freunde Wüstenrot ausgestellt ist: Er schrieb kurz vor Weihnachten 1969 den „sehr geehrten Herren“, dass er eine Dreieinhalbzimmerwohnung in der Nähe des Frankfurter Zoos kaufen wolle. Der Standort des kleinen Museums verrät auch, woher der Name Wüstenrot eigentlich kommt: Denn in diesem Sechstausendachthundert-Einwohner-Dorf bei Heilbronn – übrigens nur dreißig Kilometer von Schwäbisch Hall entfernt - wurde die erste Bausparkasse gegründet. Dort ist jeden Tag Wüstenrot-Tag.Apfelschorle

      Es gibt viele gute Gründe für alkoholfreie Erfrischungsgetränke. Der beste Grund dafür besteht je zur Hälfte aus Wasser und Apfelsaft. Warum dieses simple, schmackhafte und erfrischende Getränk hierzulande den merkwürdigen Namen Apfelschorle bekommen hat, ist unter Sprachforschern noch nicht vollkommen geklärt: Das Duden-Herkunftswörterbuch führt die Bezeichnung auf das niederbayerische Wort „Schurlemurle“ zurück, das seit dem 18. Jahrhundert für ein Mischgetränk aus Wein und Sprudelwasser stand. Noch älter ist der niederdeutsche Begriff „Schurrmurr“ für „Mischmasch“. Andere Etymologen führen das Wort „Schorle“ auf das mundartlich südwestdeutsche „schuren“ – sprudeln – zurück. Es gibt weitere Deutungsversuche, die uns nach Persien, Russland, auf den Balkan oder in die Niederlande führen wollen, uns hier aber nicht wirklich weiter bringen. Denn fest steht, dass Apfelschorle längst sämtlichen alkoholischen Erzeugnissen den Rang abgelaufen hat und ein deutsches Nationalgetränk geworden ist. Sie hat es sogar neben den Wörtern „Biergarten“ und „Weinstube“ in die englischsprachige Ausgabe von Wikipedia gebracht hat, wo es heißt: „Apfelschorle is a popular soft drink in Germany.“ Und tatsächlich: Sobald man die deutschen Landesgrenzen überschreitet, ist von Apfelschorle keine Rede mehr. Die Schweizer und Österreicher sprechen ganz unlyrisch-profan von „gespritzten Fruchtsäften“ – okay, dafür haben sie ihren Almdudler.

      Für mich ist „German Apfelschorle“ mehr als ein mit Sprudel verdünnter Apfelsaft, für dessen Zubereitung die internationale Kochrezepte-Seite