Subjektive Blicke. Eva Eichert

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Название Subjektive Blicke
Автор произведения Eva Eichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847635598



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      Eva Eichert

      Subjektive Blicke

      Kurzgeschichten

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       „Menschlich“

       Die Puppenmutter

       Das Monster

       Bilder lügen nicht

       Die Ansage

       Bisher von der Autorin erschienen:

       Bald … !

       Impressum neobooks

      „Menschlich“

      Der abgetrennte Raum im „Sandmännchen“ war erfüllt von grölenden Stimmen, die lauthals die Fehler der KSC-Spieler im Fernseher kommentierten. Trotz der gekippten Fenster stand ein dichter Dunst aus Zigarettenqualm im Raum.

      Thomas Dietrich war einer unter ihnen. Obgleich inmitten seiner Bekannten, wirkte er distanziert und schien sich nicht so richtig auf das Spiel konzentrieren zu können. Vielmehr huschte bei den Bemerkungen der Anwesenden immer wieder ein leicht verächtliches Zucken durch sein Gesicht.

      Sein langjähriger Freund Edmund warf ihm einen kurzen Blick von der Seite zu und runzelte die Stirn.

      „Mann, kannst Du Dich nicht einfach nur mal amüsieren?“

      „Worüber?“ Thomas‘ Augen funkelten zornig. „Darüber, dass Volldeppen, die keine hundert Meter laufen können, ohne einen Asthmaanfall zu bekommen glauben, sie können besser Fußballspielen als unsere Jungs da im Fernsehn?“

      Edmund verdrehte genervt die Augen. „Du raffst es nicht, oder?“

      „Was gibt es daran nicht zu raffen?“

      „Wenn das Einzige, was ihr Ego etwas stärkt, darin besteht, mit ihren Pseudo-Fachkenntnissen zu prahlen, dann lass sie doch einfach.“

      „Fertig mit der humanistischen Predigt?“

      „Oh Mann, seit Jahren immer wieder die gleichen Diskussionen! Gönn’s ihnen doch einfach. Oder besser noch: Versuch mal mitzumachen. Das lockert Dich vielleicht endlich einmal etwas auf.“

      „Ich finde nur, dass man erst einmal zeigen sollte, dass man es besser macht, bevor man das Maul aufreißt“, knirschte Thomas verbissen.

      Ein schriller Pfiff aus dem Fernseher, der das Ende der ersten Halbzeit ankündigte, brachte den Raum in Bewegung. Es war nicht schwer zu erahnen, dass der nächste große Stau vor den Kneipentoiletten stattfinden würde.

      Thomas blickte ihnen genervt hinterher. „Ich hasse es einfach, wenn manche meinen, für sich und andere völlig andere Maßstäbe gelten zu lassen.“

      „Macht das nicht jeder?“

      „Nein! Das macht nicht jeder.“

      „Also ich schon“, grinste Edmund. „Ich geb’s nur ungern zu, aber ich erwische mich immer wieder dabei. Wir sind halt doch nur Menschen.“

      „… Auf der A7 Kassel Richtung Würzburg kam es heute Nachmittag zu einem schweren Unfall. Ein LKW-Fahrer verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Nachkommende konnten nicht mehr rechtzeitig reagieren. Insgesamt wurden 13 Personen schwer verletzt. Der LKW-Fahrer, eine junge Mutter und ihre zwei Kinder konnten nicht mehr gerettet werden und erlagen noch am Unfallort ihren Verletzungen. Die Ursache hierfür schreiben die Rettungskräfte den unzähligen Schaulustigen zu, die eine schnelle und effektive Hilfe unmöglich machten …“, tönte die Stimme des Nachrichtensprechers aus dem Fernseher.

      Thomas stellte mit einem lauten Knall seinen Bierkrug ab.

      „Nennst Du das vielleicht auch menschlich“, maulte er seinen Freund an.

      Edmund starrte fassungslos auf die Bilder in den Nachrichten und schüttelte den Kopf. „Leider“, knurrte er, „Einige können ihrer Faszination gegenüber Blut und Gewalt offensichtlich nicht widerstehen. Das ist schwach. Wirklich schwach.“

      „Man sollte den Rettungskräften in solchen Fällen mehr Rechte einräumen.“

      Edmund blickte seinen Freund fragend an.

      „Dass sie die verfluchten Gaffer beiseite knüppeln dürfen“, er nahm einen kräftigen Schluck Bier. „Eigentlich sollte man solches Pack mal richtig zusammendreschen und liegen lassen. Ihnen mal deutlich machen, was das für ein Gefühl ist, in seinem Blut dazuliegen, zu hoffen, dass jemand hilft und alle starren einen nur an.“

      Es war seit Wochen der erste sonnige Herbsttag, der die Menschen wieder aus ihren Häusern trieb. Thomas schlenderte entspannt durch die belebte Fußgängerzone und genoss die wärmenden Strahlen, die allen ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Thomas liebte Tage wie diesen. Die Menschen waren gut gelaunt und freundlich zueinander. Irgendwie schienen alle mehr Zeit zu haben und von der alltäglichen Geschäftshektik war kaum etwas zu bemerken. Niemand schien daran zu denken, dass die Mittagspause bald vorüber sein würde und man noch immer nichts gegessen hatte.

      Er hatte Zeit, genug Überstunden, die er abfeiern konnte. An einem solchen Tag und keinerlei Dringlichkeiten in der kleinen Anwaltskanzlei, in der er arbeitete, waren mehr als genug Gründe, sich endlich einmal einen Nachmittag zu gönnen.

      Seine Laune hob sich noch mehr, als er bemerkte, dass einige Cafés bei dem schönen Wetter ihre Außentische wieder geöffnet hatten. Ein guter Kaffee und ein leckeres Stück Kuchen würden den Tag noch richtig abrunden und seine Freunde vom Stammtisch heute Abend würden sich mit Sicherheit freuen, wenn er gut gelaunt dort auftaucht. Er setzte sich und nahm die Karte aus dem Ständer. Auf der anderen Straßenseite wurde es unruhig. Einige rannte, irgendjemand kniete sich hin und Thomas meinte, zwischen den vielen Füßen jemanden liegen zu sehen. Er stand auf und ließ die Karte achtlos auf dem Tisch liegen. Schon nach den ersten Schritten spürte er, wie sein Puls schneller wurde und ein immer stärker werdendes aufgeregtes Kribbeln machte sich in seinem Bauch bemerkbar. Er ging schneller. Irgendetwas, das er selbst nicht in Worte fassen konnte zog ihn magisch an. Vielleicht war es Neugier, aber dieses Wort erschien ihm nicht zutreffend. Seine Augen funkelten, als er anfing, sich seinen Weg durch die Menge zu bahnen und er beinahe über die Beine des alten Mannes stolperte, der leise röchelnd, mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Pflastersteinen lag. Er war mit dem Kopf hart aufgeschlagen. Blut breitete sich unter ihm am Boden aus. Neben ihm kniete ein junger Mann, der die Menge aufforderte, ihm ein Handtuch oder Verbandszeug aus einem der Geschäfte zu holen, doch keiner reagierte.

      Thomas starrte auf den alten Mann hinunter, wurde eingefangen von den verzweifelten, nach Hilfe flehenden Augen. Seine Hand tastete nach einem Gegenstand in seiner Jackentasche, ohne dass er den Blick abwenden konnte.

      „Ruft doch endlich einmal jemand den Notarzt“, hörte er aus weiter Ferne die Stimme einer Frau, während er das Handy aus der Tasche zog, es anhob und den Auslöser für ein Foto betätigte. Ein dumpfer Schmerz am Hinterkopf riss ihn wieder ins Diesseits zurück. Er stolperte nach vorne, blieb mit dem Fuß am Oberschenkel des alten Mannes hängen und stürzte.

      „Sie Mistkerl!“