Dschungeltanz. Aurel Levy

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Название Dschungeltanz
Автор произведения Aurel Levy
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738046649



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Mein Job als Flugbegleiter ließ mir genügend Freiheiten, um mir die Welt anzusehen und mir in Ruhe zu überlegen, was ich von diesem Leben eigentlich wollte.

      Doch plötzlich hatte irgendwer die Hebel nach vorne geschoben. Und als der Gaul mit einem Schlag losgaloppierte, ging es nicht mehr um das Wieso und Warum. Ich wurde nach hinten gerissen und meine einzige Sorge bestand darin, nicht gleich runterzuplumpsen.

      In meinem ganzen Leben werde ich diesen Augenblick nicht vergessen. Der Anruf der German Imperial Airlines war meine Rettung. Aus dem Bereitschaftsdienst sollte Flugbegleiter Hentschel nach Japan fliegen. Damit war der vorhersehbare Weihnachtsalbtraum mit Carola und ihrem gestörten Vater Erwin Seizinger vom Tisch gewesen. Kein Friede, Freude, Eierlikör-Getue und keine unerfüllbaren Erwartungen. Kein Karpfen-Schlachten und keine unangenehmen Fragen zu meiner beruflichen Zukunft.

      Zu diesem Zeitpunkt war ich einfach nur erleichtert. Nie im Traum hätte ich vermutet, dass sich in dem eingeschriebenen Brief, den mir der Postbote kurz vor der Abfahrt zum Flughafen zugesteckt hatte, der ganz große Hammer befinden würde. Also flog ich erstmal nach Tokio. Dass wir dort nicht ankamen, sondern nach einem medizinischen Notfall in Novosibirsk runtermussten, war schätzungsweise nicht meine Schuld. Aber es passte irgendwie. Ein Schneesturm hielt uns fest und so konnten wir erst zwei Tage später weiter. Nach Hongkong, nicht nach Tokio. Auf dieser Tour war wirklich alles aus dem Ruder gelaufen.

      Kurz vor Jahreswechsel dann die Testamentseröffnung. Meine bereits im November verstorbene Großmutter hatte bei dem Notar ihres Vertrauens ihr Vermächtnis hinterlegt. Dass sie mehr besitzen könnte, als das alte, baufällige Häuschen in München-Feldmoching, hätte ich im Leben nicht gedacht. Von Doktor Smoltaczek erfuhr ich die ganze Wahrheit:

      Großmutter, die sich einen Sport daraus gemacht hatte, Lebensmittel jenseits des Mindesthaltbarkeitsdatums zu ergattern, hatte an der Börse gezockt. Derart erfolgreich, dass ihr Sparkassenberater sie anrief, wenn er einen heißen Tipp brauchte. Herausgekommen war dabei ein Portfolio, das jedem Profi die Tränen der Entzückung in die Augen getrieben hätte. Das Häuschen, Aktien, Gold und Cash. Alles in allem standen etwa dreieinhalb Millionen Euro auf dem Zettel. Aber wie schon gesagt, so einfach lagen die Dinge nicht. Oma hatte sich etwas Hübsches für mich ausgedacht:

      Ich sollte wie mein Opa Medizin studieren, und quasi als Belohnung die Millionen kassieren. Peitsche und Zuckerbrot. Irgendwie passte das zu ihr. Sie war keine dieser herzlichen Omis, die einem zum Abschied einen Geldschein in die Tasche schoben. Großmutter war aus einem anderen Holz. Sie hatte beide Weltkriege mitgemacht und einer ihrer Lieblingssprüche lautete:

      Das Leben schenkt dir nichts, folglich hast auch du nichts zu verschenken!

      Wenn ich mir auch gewünscht hätte, sie wäre wenigstens bei der Abfassung ihres Testaments von dieser Haltung abgewichen, so belehrte mich ihr letzter Wille eines besseren.

      Dass ich kein Blut sehen konnte? Damit einhergehende Ohnmachtsanfälle? Taten nichts zur Sache. Ich sollte mich nicht so anstellen, im Krieg hätten sie ganz andere Dinge durchgestanden. Bestimmt hätte sie so mit mir gesprochen, läge sie nicht schon eine Etage tiefer.

      Also, was tun? Mich trotz meines Blutproblems durch lange Jahre des Studiums beißen und im Anschluss ein unabhängiges Leben führen oder mich auf das Pflichtteil des Erbes beschränken? Das würde ich nämlich in jedem Fall kriegen.

      Mit Omas altem Häuschen im Nacken müsste ich dann wenigstens keine Miete zahlen und könnte neben der Fliegerei vielleicht Ägyptologie studieren.

      Ich stand vor der wohl folgenschwersten Entscheidung meines Lebens.

      An jenem trüben Dezembertag war mein bis dahin gemütliches Topsi-Dasein völlig aus den Fugen geraten. Man hatte mich vom Sofa runtergezerrt und in die Mitte eines Spielfelds geschubst. Von allen Seiten wurden mir nun Bälle zugeworfen, die ich fangen und richtig weiterschmeißen musste. Natürlich durfte keiner der Bälle zu Boden fallen. Aber, was bedeutete »richtig«?

      Ich war noch nie gut in Ballspielen. Und manche dieser Bälle kamen mit ordentlich Drall. Mein altes Leben flog mir buchstäblich um die Ohren.

      Die Beziehung zu Carola beispielsweise. Sie hatte sich nach dem Tokio-Flug erledigt, definitiv. Ich bin mir heute nicht mehr sicher, wie genau es dazu gekommen war. Hatte ich mich im Detail ungeschickt verhalten? Konnte es sein, dass es eine viel elegantere Lösung gegeben hätte, ich die Sache aber gehörig vermasselt hatte? Feststeht: Unsere Liaison war schon überreif, bevor ich ihr die Fake-Uhr schenkte. Eine Beziehung wie ein Riesen-Bovist. Einer von diesen Kugelpilzen, die nur darauf warten, dass irgendein Dussel auf sie tritt und sie mit einem furzgleichen Pfffff! in einer Sporenwolke aufgehen. Genau mit diesem Geräusch hatte unsere Beziehung geendet. Leider. Carola hatte mir in ihrer Wut über die kaputte Uhr Schimpfworte hinterhergerufen, von denen ich niemals geglaubt hätte, dass sie die kannte. Nicht, dass ich nachtragend wäre. Ich habe auch nichts grundsätzlich dagegen, mich fertigmachen zu lassen. Aber ich glaube, kein Mann wird gerne als Schwanzgesicht bezeichnet.

      Und als ob ich mit Erbschaft und Trennung nicht schon genug um die Ohren hatte, musste ich auf diesem vermaledeiten Weihnachtsflug auch noch eine Frau kennenlernen. Nina, eine Kollegin aus Berlin. Eigentlich gar nicht mein Typ. Sah mit ihren schwarzen Haaren ein bisschen aus wie Winnetous kleine Schwester. Ließ man die blauen Augen außer Acht. Niedlich. Und nicht auf den Mund gefallen. Wir hatten eine Menge Spaß auf dieser Tour.

      Nein, nicht so, wie Sie denken! Im Ernst, ich bin doch nicht Benny!

      »Meister, sei froh! Mit den Frauen ist es wie mit dem Jonglieren«, hatte er nach der Trennung von Carola zu mir gesagt. »Nur ein Schwachkopf versucht es mit einem Ball, den er obendrein verkrampft festhält. Nimm zwei und es geht schon viel besser. Aber richtig gut fühlt es sich erst an, wenn du drei oder sogar vier Bälle in der Luft hast. Dann spürst du den Flow!«

      Den Flow? Nein, ich kann das nicht. Bei mir muss die eine Schublade geschlossen sein, bevor eine andere geöffnet wird. Folglich lief mit Nina nichts.

      Beim Gedanken an Ninas Karte musste ich augenblicklich lächeln. Ein schwarzweißes Stinktier mit einem kugelrunden Bäuchlein zwinkerte mir zu und streckte mir seinen Daumen entgegen. Dem Stil nach von einem Ice-Age-Cartoonisten gezeichnet. Nina hatte mir die Karte nach Sylvester in mein Firmen-Postfach gelegt. Zunächst war ich etwas verstört, völlig unverblümt mit einem moppeligen Stinktier verglichen zu werden. Und fragte mich, wie Nina bloß auf diese Assoziation gekommen sein mochte. Bevor meine Verstörung in eine handfeste Depression abglitt, war es mir gelungen, den beigelegten Brief auseinanderzufalten und die befreienden Zeilen zu entziffern.

      Stinktiere waren bei irgendwelchen Prärie-Indianern – welche, hab ich leider vergessen – das Symbol für Zuversicht.

      Nina schrieb, ich bräuchte mir jetzt keine Sorgen mehr zu machen, alles werde gut. Sie habe die Karte aus einem Stapel mit über hundert Motiven gezogen. Das könnte kein Zufall sein. Wenn ich nur die Karte immer dabei hätte. Seitdem habe ich sie brav am Mann. Glauben Sie mir, ich bin null abergläubisch! Aber trotzdem gibt mir das Stinktier ein gutes Gefühl. Schon deshalb, weil ich dabei an Nina denken muss.

      Auf unserem Weihnachtsflug hatte ich – wie immer und aus dem oben erwähnten Schubladendenken heraus – wenig bis gar keine Signale ausgesendet. Im neuen Jahr dann die Stinktierkarte. Nina hatte mich in diesem Zusammenhang an mein Schwimmtraining erinnert. Ob ich bereit sei? Mein Herz hatte einen Hüpfer getan. »Bereit, wenn Sie es sind!«, hatte ich voller Begeisterung gerufen und mir damit merkwürdige Blicke der umstehenden Kollegen eingefangen. Das »Schwimmtraining« war bei uns ein Running Gag. Ich müsse mich freischwimmen, hatte Nina in Hongkong behauptet, von allen äußeren Zwängen.

      Die Sache mit Nina war einer dieser Bälle, den ich unbedingt richtig spielen wollte! Nina war mehr als eine Kollegin, da brauchte ich mir nichts vorzumachen. Und ja, der Ball lag nun in meinem Feld. Behutsames Vorgehen war angesagt. Keinesfalls durfte ich es durch ungeschickte Aktionen vermasseln. Frauen mit Klasse durfte man nicht warten lassen. Vielleicht sollte ich schon mal ankündigen, dass mir eine kleine Berlin-Reise im Sinn stand? Um mich dort der gestrengen Hand eines Schwimmcoachs zu unterwerfen?

      Im Augenblick mussten