Die Leiden des Schwarzen Peters. Till Angersbrecht

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Название Die Leiden des Schwarzen Peters
Автор произведения Till Angersbrecht
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738088946



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nicht ganz unappetitlich zu sein. Im Gegensatz zu meinem Gegenüber strahlt mein Gesicht den Glanz einer leckeren, lockenden, die Esslust aufreizenden Schokolade aus – ohne mich übertriebener Selbstverliebtheit schuldig zu machen, darf ich behaupten, dass sich kein anderer Bewohner der Stadt einer solchen Anziehungskraft rühmen kann.

      Zum Glück erwies sich meine Befürchtung als unbegründet. Es zeigte sich, dass der Bürgermeister – inzwischen kann ich das von den Eingeborenen dieser Stadt insgesamt behaupten - von solchen Gelüsten und Anwandlungen frei ist. So sehr es für mich im ersten Augenblick auch danach aussehen musste, wollte Bremme mich keinesfalls fressen, obzwar sein Mund meinen Wangen ganz nahe kam, ja sie sogar flüchtig berührte. Eine solche Annäherung entspringt bei ihnen nicht dem Appetit oder schlimmeren Gelüsten, sondern ist nur ein bei ihnen üblicher, wenn auch reichlich seltsamer Brauch. Einem verehrten Gast oder vortrefflichen Ankömmling drücken die Goldenberger mit ihrem Mund einen, wie sie es nennen, Willkommenskuss erst auf die linke, dann auf die rechte Wange. Ob dieser Brauch freilich nur das verfeinerte Überbleibsel einer früher bei ihnen üblichen, inzwischen aber überwundenen Art des Kannibalismus ist, vermag ich nicht zu sagen. Diesen Punkt werden spätere Forschungen klären müssen.

      An dieser Stelle, gleich zu Beginn meines Berichts, möchte ich mich ausdrücklich zu meiner großen Bewunderung für die Eingeborenen dieser Stadt bekennen, die sich wirklich alle erdenkliche Mühe geben, um den Fremden in ihre Welt einzuführen und ihn seine Fremdheit vergessen zu lassen. Gewiss ist dieses Vorhaben nicht immer einfach für sie gewesen. Vorurteile gibt es schließlich auf beiden Seiten. Schon heute, also am zweiten Tag meines Aufenthalts in der Fremde, führen sie mich in das Odysseus, wo ich sofort ohne Prüfung und bürokratischen Aufwand – der Bürgermeister selbst erteilt eine entsprechende Weisung - als ordentlicher Kellner angestellt werde, und zwar aus keinem anderen Grund, als weil nach Meinung der Goldenberger kein Mensch vollständig, ehrenwert oder auch nur menschenwürdig zu nennen sei, wenn er seine Tage nicht mit Arbeit verbringt, denn erst dadurch verschaffe er der Sozietät einen für alle sichtbaren Nutzen. Erst wenn der Mensch, festgezurrt an eine Arbeitsstelle, seinen unveränderlichen Platz im großen Ganzen hat, ist die Obrigkeit beruhigt und der allmächtige Polizeipräsident Knarr ist dann gleichfalls zufrieden, weil er den Betreffenden unter ständiger Beobachtung hat. In diesem Punkt kennen die Goldenberger keinen Spaß, so freundlich sie sonst in jeder Hinsicht auch sind: Gegen ziellose, wie Hunde frei herumstreunende Existenzen hegen sie unüberwindbares Misstrauen.

      Die erste Frage, die sie einander und natürlich auch jedem Fremden bei einer ersten Begegnung stellen, lautet grundsätzlich: Was ist dein Beruf? - und wehe, wenn du dann verlegen den Kopf schütteln musst und ihnen nichts anderes zu sagen weißt, als dass du leider nichts Besseres seist als ein Mensch, ungebunden und keinem anderen hörig. Dann messen sie dich von unten nach oben mit vernichtendem Blick. Ein Mensch ohne Arbeit ist für sie ein Unmensch, ein Barbar, ein minderwertiges Wesen, zu jeder Schandtat bereit und fähig.

      Diese Reflexionen füge ich vorsichtshalber gleich zu Beginn meines Berichtes ein, damit ihr, hoher Rat, eine Vorstellung von der Ehre habt, die mir schon am Tag meiner Ankunft erwiesen wird, indem man mir den Posten eines regulären Kellners offeriert, und zwar, ich sagte es schon, im renommierten Odysseus, das sich im Zentrum der Stadt am Rande des Stadtparks unweit vom Schloss befindet. Ich meinerseits zögere nicht einen Augenblick, das Angebot voller Dankbarkeit anzunehmen, obwohl ich in aller Freimütigkeit zugeben muss, dass ich durchaus keinen natürlichen Drang zur Arbeit besitze, sondern diese vielmehr für ein großes Übel und eine Plage halte, da die Lilien auf dem Felde, wie doch jedermann weiß, nach unseres Schöpfers Willen ganz ohne Arbeit vollkommen glücklich sind. Euch, die ihr mich kennt, darf ich anvertrauen, dass ich die Lilien auf dem Felde von jeher beneide und es mir immer darum zu tun war, das Glück des seligen Nichtstuns mit ihnen zu teilen, denn nichts bereitet mir ein so großes Vergnügen, als einfach so in der Sonne zu liegen und nichts zu suchen – ja, das ist in solchen Momenten wirklich mein ganzer Sinn! Dann gelingt es mir sogar - köstliche Augenblicke! -, mein Denken vollständig abzuschalten, wobei ich einen wollüstigen Nirvanageschmack auf der Zunge verspüre, weil die süße und warme Leere, die vom Sonnengeflecht in meinen Bauch über die Region des Herzens hinauf bis in die oberen Sphären des Kopfes quillt, mir wie die Vorfreude auf die Erlösung von allen Übeln erscheint – Erlösung vor allem von dem großen Übel der Arbeit.

      Überhaupt liege ich nicht nur gern in der Sonne, die ja unserer Heimat ganz besonders gewogen ist, denn dort scheint sie fast jeden Tag, ich rede auch gern mit anderen Menschen, auch wenn dabei überhaupt nichts gesagt wird und gar nichts dabei „herauskommt“, denn ich will nicht leugnen, dass ich von Natur aus gesellig, mitteilsam und vor allem neugierig bin – Letzteres sogar ganz besonders, denn ich bin ja nicht aus reinem Vergnügen nach Goldenberg gekommen, als weltreisender Privatmann sozusagen, sondern ihr habt mich mit einem sehr ernsten und jedenfalls bedeutsamen Auftrag hierher geschickt, einem Auftrag, über den ich allerdings, so habt ihr mir eingeschärft, zu niemandem reden solle.

      Ihr wisst, was ich mit diesen Ausführungen über meine Natur andeuten möchte, nämlich dass ich an und für sich - rechnet man zusätzlich noch meine Neigung zu gedankenfreien Sonnenbädern hinzu – schon genug Beschäftigung habe. Da hätte man mich keinesfalls noch zusätzlich zu einem Kellner im Odysseus ernennen müssen. Gleichwohl bin ich natürlich mit allem einverstanden, denn die völlige Anpassung an die Sitten und Sonderbarkeiten der eingeborenen Stadtinsassen ist ja das erste Gebot meiner Mission. Eben deswegen überwinde ich meine Abneigung gegen die Arbeit und sage auf Anhieb „ja“ zu dem Angebot - nicht ohne allerdings in einem unbeobachteten Moment meinen persönlichen Schutzgeist Loso zu befragen, denn gegen seinen Willen möchte ich nichts unternehmen. Loso allerdings bleibt mir die Antwort schuldig, was mich sehr traurig stimmt: Seit ich in Goldenberg bin, hat er alle Zwiesprache verweigert.

      Das Odysseus ist übrigens ein anziehender Ort, vermutlich sogar der beste, um die Sitten, Bräuche, Anschauungen und Schrullen der Eingeborenen an ihrer Quelle, nämlich dort zu studieren, wo das Gespräch ungehemmt sprudelt - und das ist bei ihnen nun einmal an diesem gastlichen Ort der Fall. Erwähnte ich schon, dass sich das ganz aus Holz errichtete Odysseus zwischen mächtigen Kastanien am Rande des Stadtparks befindet? Dort wird sich also von nun an mein tägliches Leben abspielen; dort werde ich gerade in diesem Moment in die höheren Weihen der Geselligkeit eingeführt - vom Bürgermeister höchst persönlich. Er schiebt mir nämlich jenen honiggelben, sonnenfunkelnden Saft vor die Nase, ohne dessen tägliche Einverleibung in einem gläsernen Humpen – er ist etwa so hoch, wenn auch nicht ganz so breit wie der Kartoffelkopf Bremmes - niemand in dieser Stadt jemals zu einem echten Bürger aufrücken kann. Die Einführung in den Ritus ist für sie offenbar ein heiliger Moment, denn dabei starren mich alle aus großen Augen an, natürlich in der Erwartung, dass ich die schäumende Flüssigkeit mit dem Ausdruck des Entzückens durch meinen Schlund in den Bauch weiterleite, wo das Getränk – das wissen sie schon! - möglicherweise unvorhergesehene Folgen bewirkt. Ich muss bekennen: In solchen Momenten wird das Leben zur Qual, wenn alle von dir erhoffen, dass du ihre Erwartungen nicht enttäuscht, sondern - selbst wenn dir zum Speien schlecht wird - den größten Eifer heuchelst zusammen mit der reinsten Begeisterung.

      Das wäre – euer Auftrag verpflichtet! – vielleicht auch möglich gewesen, hätte Bremme nicht zur gleichen Zeit, als er mir das goldgelbe Zeug über den Tisch zuschiebt, dessen unseligen Namen ausgesprochen. Ich wage ihn ja kaum zu nennen, um eure Ohren nicht zu beleidigen: Pier heißt das Getränk - jawohl ganz genauso. Da begreift ihr auf Anhieb, wie sehr ich zusammenzucke und dass mir das Blut aus Gesicht und Gliedern weicht. Am liebsten wäre ich geflüchtet, aber das geht ja nicht, ihr habt mich hierher in die Höhle des Löwen mit dem ausdrücklichen Auftrag geschickt, mich anzugleichen, mich zu integrieren und zu assimilieren, nur so werde es mir gelingen, alle Geheimnisse ihres Denkens und täglichen Lebens eins nach dem anderen zu entschlüsseln. Hätte ich jetzt meinem Entsetzen Luft gemacht, dass sie mir Pier, die große Hure, servieren, wie wäre ich dann dagestanden? Ich hätte meine Mission gleich wieder aufgeben müssen.

      Ihr habt mir ausdrücklich befohlen, nichts von unserer Weisheit und unseren gottgeheiligten Sitten den Fremden zu offenbaren. Wie hätte ich ihnen also sagen können, dass Pier, das flachsblonde Weib, meinen Stammesgenossen in der Heimat einen Horror einflößt, weil die Hure auf das frische