Todesnacht. Angelika Nickel

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Название Todesnacht
Автор произведения Angelika Nickel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847679042



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ich gerne an«, antwortete Winston, überrascht darüber, derart schnell von einem völlig Fremden, in dessen Haus, zum Bleiben eingeladen worden zu sein.

      »Bist du völlig verrückt geworden, Graham«, rief der Metzger von seiner Theke aus, zu ihm hin. »Du kennst doch den Kerl gar nicht. Nur, weil der behauptet, ein Seelenklempner zu sein, heißt das doch noch lange nicht, dass er auch einer ist.«

      »Wenn nicht, dann weiß ich mich schon gegen ihn zu erwehren«, lachte Jenkins und packte den Fremden am Arm. »Wir sollten gehen, sonst macht einer von denen, noch den Teufel höchstpersönlich aus Ihnen.«

      »Wer sagt dir denn, dass er das nicht auch ist«, rief ihm der Metzger hinterher, während Graham Jenkins mit dem Doc den Laden verließ, allerdings nicht, ohne zuvor seinen Einkauf aufs Förderband gelegt und anschließend auch noch bezahlt zu haben.

      5 – Totenruhe

      »Es waren drei bildhübsche Buben, die Drei. Und Daniel war der Hübscheste von allen. Dennoch, er verkörperte das leibhaftige Böse. Als er klein war, hatte er Moira bereits viel Ärger gemacht. Sie wollte es allerdings zuerst gar nicht wahrhaben, sondern vermutete, dass es andere waren, die diese Taten angestellt hatten. Doch es wurde schlimmer und schlimmer, je älter sie wurden. Im Alter von zehn Jahren hat Daniel einem Baby mit einer Axt den Kopf abgehakt. Da konnte auch Moira nicht mehr umhin, zu erkennen, zu was einer ihrer Jungs, fähig war«, endete Graham Jenkins. Er winkte traurig ab. »Außer das mit dem Baby, hat er noch viel mehr an Schlimmen angestellt. Ganz Marlow-River war davon geschockt, und viele der Bewohner persönlich betroffen.«

      Der Doc saß nur da und starrte ihn sprachlos an. Er rang um Fassung, um seine Worte über seine Lippen zu bekommen. »Ein Junge im Alter von zehn Jahren, soll dazu fähig gewesen. Ich kann es nicht glauben.«

      »Da sind Sie nicht der Erste, dem es schwerfällt, das Grauen als wahr zu erklären«, antwortete Graham. »Auch Moira wollte es anfänglich nicht wahrhaben. Dennoch, an dem Tag, als sie Daniel dabei ertappte, wie er die blutige Axt im Schuppen versteckte, konnte auch sie vor der Wahrheit nicht länger die Augen verschließen.«

      »Was ist mit dem Kind passiert?«, erkundigte der Doc sich.

      »Moira hat ihn in derselben Nacht umgebracht. Sie ist zwar seinerzeit von jedem Vorwurf des Kindsmordes freigesprochen worden, dennoch hat keiner von uns auch nur den geringsten Zweifel daran gehabt, dass sie es war.« Er stand auf und schenkte Winston nochmals Kaffee nach. »Es wurde gemunkelt, dass sie zusammen mit dem Reverend, Exorzismus an ihrem Kind betrieben hätte. Dass beide versucht haben sollen, den Teufel aus dem Jungen auszutreiben. Doch es ist anscheinend fehlgeschlagen, so dass sie gezwungen war, wollte sie nicht, dass ihr Sohn noch andere ins Unglück stürzte, selbst Hand an ihr Kind zu legen, um dem allem ein für alle Mal ein Ende zu setzen.«

      »Aber der Reverend«, wandte Winston ein.

      »Vergessen Sie’ s. Der Reverend, das ist wieder ein anderes Thema.«

      Der Doc schaute über den Tassenrand hinweg zu dem Mann. »Selbst, wenn ich in Erwägung ziehe, dass alles, was Sie mir erzählt haben, auch wahr ist, stellt sich mir dennoch die Frage, weshalb so viele unter ihnen vermuten, dass das Böse nach Marlow-River zurückgekehrt sein soll.«

      »Wir glauben es nicht nur, junger Mann, wir wissen es sogar. Die ersten Vorzeichen sind schon da«, sagte Jenkins, und in seinen Worten schwang die Furcht mit.

      »Ich versteh‘ es nicht. Wie kommen Sie nur auf solch einen Gedanken? Und was für Vorzeichen sollen das sein?«

      »Das Wetter, es spielt verrückt. Immer wieder jagen dunkle Wolken über das Dorf hinweg.«

      »Das kommt auch an anderen Orten vor. Daran ist nichts Besonderes«, fiel ihm der Doc ins Wort.

      »Mag sein. Doch hier verhält es sich anders. Das Böse ist wieder da. Da gibt es keinen Zweifel daran. Der Junge, Daniel, er ist zurück.«

      Winston riss die Augen auf. »Wie bitte? Das kann gar nicht sein. Sie sagten doch selbst, dass seine Mutter ihn umgebracht hat.«

      »Hält es ihn deshalb davon ab, seinem Grab zu entfliehen?«

      »Mister Jenkins, ich bitte Sie. Das ist doch purer Aberglaube, den sich die Leute aus Ihrem Dorf über all die Jahre eingeredet haben. Und mit der Rückkehr von der Mutter des Jungen, reden Sie sich ein, dass das Böse aufs Neue zuschlagen wird.« Er wehrte mit der Hand ab. »Nein, so etwas gibt es nicht. Das Kind wurde damals begraben. Niemals kann er zurückkommen.«

      »Wenn Sie mir nicht glauben, lassen Sie uns doch zu seinem Grab gehen und es öffnen«, schlug der Mann vor.

      Winston klappte die Kinnlade herunter. »Wie bitte? Sie ziehen tatsächlich in Erwägung, das Grab des Kindes zu entweihen.«

      »Da gibt es nichts zu entweihen. Wo der Teufel begraben ist, ist die Erde niemals geweiht.«

      »Wenn er doch aber begraben ist …«

      Jenkins schüttelte den Kopf. »Der Reverend hat einen Platz gefunden, an dem der Junge bestattet worden ist. Aber nicht auf einem geweihten Friedhof. Irgendwo im Wald hat er ihn zur Letzten Ruhe gebettet. Hat selbst ein Haus dort, und war der Meinung, dass, wo sein Karma des Guten herrscht, das Böse niemals widerkehren kann. Doch er irrte sich. Das Böse ist zurückgekommen. Und Moira war es, die es erweckt hat. Ich bin überzeugt davon, dass Daniel all die Jahre nur darauf gewartet hat, an seiner Mutter Rache nehmen zu können.«

      »Aber Sie sagten doch, dass die Frau krebskrank ist. Was sollte es da für einen Sinn haben, sich an ihr zu rächen?«, zweifelte der Fremde, die Überlegungen des Mannes an.

      »Das Böse fragt nicht danach, ob etwas Sinn macht. Und wenn Daniel sich vorgenommen hat, sich an seiner Mutter für seinen Tod zu rächen, dann wird er es tun, noch bevor Gevatter Tod seine eigene Chance bekommen hat, sie zu holen.«

      »Das ist Unsinn, Mister Jenkins«, beharrte Winston auf seiner Meinung.

      »Wenn Sie derart überzeugt davon sind, dass es das nicht gibt, warum gehen wir dann nicht dorthin, wo er begraben liegt, und schauen nach, ob er tatsächlich noch in seinem Grab liegt?«

      »Nach all diesen Jahren?« Winston schüttelte den Kopf. »Da wird von der Kindsleiche nichts mehr übrig sein.«

      »Wir sollten einen Freund von mir fragen, ob er mit uns gemeinsam dorthin gehen und nachsehen will.« Graham Jenkins nahm das Handy und wählte eine Nummer. Es brauchte nicht lange und an der anderen Leitung wurde das Gespräch entgegengenommen. »Hallo, Conner. Es ist soweit. Kommst du mit?«, fragte er nur.

      »Gut, dann ist es beschlossene Sache. Wir kommen und holen dich ab«, hörte der Doc ihn, weiter sagen.

      Jenkins wandte sich wieder Winston zu. »Conner ist bereit. Fahren wir los. Je eher wir da sind, desto besser«, sagte er zum Doc und stand auf.

      »Sie sagten, dass es soweit ist. Soll das heißen, dass Sie das bereits geplant hatten, dorthin zu gehen und das Grab zu entweihen?«

      »Wir entweihen gar nichts. Und ja, wir haben das schon vor Jahren gewusst, dass dieser Tag einmal kommen wird. Um uns vor dem Bösen zu schützen, haben wir gar keine andere Wahl, als das Grab auszuheben und einen Blick in den Sarg zu werfen. Und«, er erhob die Stimme, »Gott stehe uns bei, dass wir noch Reste von den Gebeinen des Jungen finden. Und wenn es auch nur ein Finger wäre.«

      »Wozu denn das?«, fragte Winston und stand ebenfalls auf. Auch wenn er an all dem seine Zweifel hatte, so wollte er dennoch mit dabei sein, wenn die beiden Männer das Grab des Kindes öffneten und es in seiner Totenruhe störten.

      »Weil wir damit einen Weg hätten, es für immer unschädlich zu machen.«

      »Wenn Sie all das wissen, warum haben Sie das bereits nicht damals schon getan, als der Leichnam begraben worden ist?«

      »Zum einen hatten wir seinerzeit noch gar nicht gewusst, dass es einen Weg gibt, sich für immer vom Bösen zu befreien. Zum anderen waren wir alle der Meinung,