Giftmord statt Goldschatz. Holger Rudolph

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Название Giftmord statt Goldschatz
Автор произведения Holger Rudolph
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847605850



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zur Oberschicht im Städtchen und wahrt den Anschein. Grußlos begegnen sich die beiden. Sie soll auch weiterhin annehmen, dass er nicht weiß, dass sie ihm schon als Catwoman, Krankenschwester, Polizistin und Gefängniswärterin begegnet ist. In allen Rollen dirigiert sie ihre fast ausschließlich männliche Kundschaft. Auch heute Abend wird sie sich wieder verkleiden und eine ganz Andere sein dürfen als die freundliche Frau vom Callcenter, die Kunden verschiedener Versandhäuser Auskunft über ihre Bestellungen gibt.

      Erpresst

      Achim Platt, dem Janina vor wenigen Minuten begegnet war, kam kurz nach der Wende aus einem Kaff in der Nähe von Kiel nach Rheinsberg. Er brachte damals seine Ehefrau Yvonne und eine größere Summe Geld auf den Konten mit in den Osten. Platt setzte alles daran, zu den Siegern des großen Umbruchs zu gehören. Es hieß allgemein, er habe zuvor über Jahrzehnte hinweg sehr gut an der Börse spekuliert. Nachdem er von der Treuhandanstalt das Rheinsberger Arzneimittelwerk für ganze hunderttausend Mark gekauft hatte, motzte er die recht heruntergekommene Chemiebude, wie das Werk bei den Rheinsbergern nur hieß, wieder auf.

      Seit Anfang des 20. Jahrhunderts galt für Pharmazeutika aus Rheinsberg der Werbespruch „Prosil hilft viel“. Das Prostatapräparat, für dessen Wirkung vor allem ein Extrakt aus Kürbiskernen sorgt, hat Unternehmer Platt auch heute noch im Sortiment. Außerdem hat er sich den Markennamen „Prinzenstädter“ schützen lassen. Und so gibt es mittlerweile neben dem „Prinzenstädter Verdauungstrank“ auch die „Prinzenstädter Jungbrunnen-Pille“, aus deren Zusammensetzung sich auch für Fachleute nicht erkennen lässt, worauf die versprochene Wirkung beruhen könnte. Die „Prinzenstädter Vitaminbombe“ ist eine Kapsel, die in ihrer Zusammensetzung stark jenen Präparaten ähnelt, die es im Supermarkt für ein paar Euro gibt. Nur kosten die Kapseln erheblich mehr und dürfen ausschließlich in Apotheken verkauft werden. Die Verpackungen aller Präparate ziert ein Bild des Schlosses. Kaum ein Tourist fährt ohne eines der in den Apotheken auffällig platzierten Prinzenstädter Medikamente nach Hause.

      Der stets akkurat gekleidete Mittsechziger Platt ist mehr als ein bisschen stolz darauf, dass er es geschafft hat, die Marke „Prinzenstädter“ mit einer Werbekampagne in halb Europa bekannt zu machen. Mit 430 Beschäftigten hat es das Werk zu einigem Ansehen in der Region Nordbrandenburg gebracht. Geht es danach, was die Rheinsberger erzählen, so reicht das Vermögen des alten Platt in den dreistelligen Millionenbereich. Alle paar Minuten fahren Lkw vom Gelände an der Berliner Chaussee, um die neue Ware zu den Großhändlern zu transportieren.

      Platt hat viel geschafft, lebt selbst gut von seinem Geld, gibt aber auch gern ab. Er spendet für Schulen, Kindergärten und dafür, dass die innerstädtischen Grünanlagen stets mit den Blumen der Saison bepflanzt werden. Seit vorigem Schuljahr lernen die Kinder schon in der ersten Klasse das Prinzenstädter Lied, eine vor 110 Jahren entstandene Lobeshymne auf die Wirksamkeit der Medizin und die Schönheit der Stadt. Seinerzeit war es ein Auftragswerk des damaligen Fabrikanten. Lange war die sehr spezielle Ode später in Vergessenheit geraten. Doch nun wurde sie als Rheinsberger Folklore wiederentdeckt und wird in Ehren gehalten.

      Achim Platt hat es geschafft. Er ist längst einer der wichtigsten Rheinsberger. Nur seine Frau kam ihm bei alledem abhanden. Sie brauchte keinen Ehemann, der in erster Linie mit seinem Unternehmen verheiratet ist. Yvonne Klatt lebt schon seit Jahren, von Achim finanziell bestens unterstützt, bei der gemeinsamen Tochter und deren Familie in Schleswig-Holstein.

      Dass Achim Platt an diesem Abend durch den Schlosspark irrt, liegt daran, dass ihm irgendwann im Verlauf des Arbeitstages jemand ein Kuvert unter der Tür seines Vorzimmers durchgeschoben hatte. Die Sekretärin brachte ihm den Brief, auf dessen Umschlag lediglich sein Name stand. Er öffnete ihn. Jemand hatte sich als Dichter versucht. Auf dem Blatt Papier war in kerzengerader, enger Blockschrift zu lesen: „Der Bergner ist tot, auch Du bist bald in Not. Zahlst Du keine Million, ist alsbald Dein Lohn, dass die ganze Stadt lacht sich PLATT, weil eine von fünf Freundinnen dich jeden Abend mit Genuss auspeitschen muss.“ An die wenig gelungene Reimarbeit schloss sich Prosa an: „Wandele heute Nachmittag auf den Spuren der Historie. An einer der drei Pyramiden wirst Du erfahren, wo Du das Geld zu deponieren hast!“

      An der Pyramide vor dem Schlosspark, die früher als Postmeilensäule diente und die größte ihrer Art im heutigen Brandenburg ist, hatte Platt trotz ausgiebigen Suchens nichts gefunden. Also versuchte er es an Prinz Heinrichs Grabpyramide im Schlosspark. Doch auch dort konnte er keinerlei Anweisung entdecken. Es blieb nur noch die mächtige Pyramide auf der schlossabgewandten Seite des Grienericksees übrig, dicht am Boberow-Forst gelegen. Prinz Heinrich hatte das weithin sichtbare Bauwerk einst errichten lassen, um die Gefallenen des Siebenjährigen Krieges zu ehren.

      Die Erpressung nicht, und noch weniger den Mord, traut er der hübschen Janina Gutenberg zu. Andererseits kann es doch kaum ein Zufall sein, dass sie ihm vorhin im Park entgegenkam. Hatte sie kurz zuvor an der großen Pyramide eine Mitteilung deponiert? Schon heute Nacht wird er diese Frau wiedersehen. Sie wird ihm Schmerzen zufügen, weil er das so möchte. Und auch, weil sie es so will, es ihr Spaß bereitet und sie damit kein schlechtes Geld verdient.

      Morgen will Platt die Polizei einschalten. Er ist kein Mann, der sich mit solchem Kinderkram erpressen lassen würde. Vielleicht gibt es an der zweiten Mitteilung, die er gleich finden wird, Spuren, mit denen die Ermittler arbeiten können. Seine Geschäfte würden kaum darunter zu leiden haben, dass er alle paar Tage das „Fünf Sterne“ besucht, beruhigt er sich. Man denke nur an die Eskapaden eines allseits bekannten TV-Talkers, die diesem nur kurzfristig schadeten. Längst ist er wieder zu alter Höchstform aufgelaufen.

      Versteckt

      Obwohl sich der Anrufer sehr bemüht hatte, seine Stimme zu verstellen, steht für Heiko Reimer fest, dass es ein Mann war. Kurz bevor der Reporter gegen 20.30 Uhr von der Redaktion in Neuruppin nach Hause fahren wollte, hatte es geklingelt. Immer wenn auf dem Display des Apparats „Rufnummer unterdrückt“ zu lesen ist, würde er am liebsten gleich wieder auflegen. Es gibt zu viele Spinner, die mit einem weitgehend sinnfreien Anruf lediglich Aufmerksamkeit erheischen wollen.

      Angesichts des Toten am Morgen und der Münzen-Mail ein paar Stunden später legte Reimer nicht auf, obwohl der Anrufer für mehrere Sekunden überhaupt nichts sagte. Der Journalist hörte nur das angestrengte, etwas blechern klingende Atmen des Menschen am anderen Ende der Leitung. Die dann folgende verzerrte Mitteilung hatte der Anrufer offenbar vorher aufgezeichnet, denn auf Reimers Nachfrage antwortete er nicht. Es folgte lediglich ein Klacken. Das Telefonat war zwar kurz, doch sehr interessant. Der Fremde hatte gesagt: „Falls Sie mehr wissen wollen, fahren Sie zur alten Wassermühle in Köpersfelde. Tippen Sie am Tor die Kombination 4711 ein.“

      Schon mehrfach hatte er gehört, dass es in einem kleinen Ortsteil der Stadt ein von fünf jungen Frauen betriebenes illegales Edelbordell geben soll. Allerdings wusste Reimer bisher nicht, wo es sich befindet. Köpersfelde könnte passen. Die alte Mühle, etwa zwei Kilometer vom eigentlichen Dorf entfernt, steht schon seit Jahren leer. Früher wurden dort Lehrlinge im Gastronomiegewerbe ausgebildet. Doch dann gab es wohl Probleme mit der weiteren Nutzung. Wenn er sich richtig erinnert, stritt sich eine weit verzweigte Erbengemeinschaft darum, wem das Gebäude gehört.

      Als Heiko Reimer die am Ende eines schmalen Betonplatten-Fahrwegs gelegene Mühle erreicht, ist es kurz vor Mitternacht. Das Gebäude macht auf den Reporter nicht den Eindruck, als ob es in den vergangenen Jahren auch nur ansatzweise genutzt worden wäre. Heckenrosen haben sich auf dem gesamten Areal breit gemacht und ein dichtes Gestrüpp gebildet. Etliche Fenster sind eingeschlagen. Sprayer haben ihre Tags auf den Wänden platziert. Er kann kaum glauben, dass es am rostigen Tor ein elektronisches Zahlenschloss geben soll. Auf den ersten Blick findet er nichts, nur drei alte Briefkästen. Sie sind ebenfalls stark oxidiert und scheinen kurz vor dem Auseinanderfallen zu sein. Er öffnet die nur angelehnten Klappen und wird hinter der zweiten von ihnen fündig, Tatsächlich, ein Zahlenschloss. Nachdem er die Kölnisch-Wasser-Nummer eingetippt hat, öffnet sich das vergammelte Tor mit einem leisen Surren.

      Schnell findet er den Weg durch die Hecken. Das liegt daran, dass nun vor ihm auf dem