Die Lohensteinhexe. Kristian Winter

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Название Die Lohensteinhexe
Автор произведения Kristian Winter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738007985



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geschwollen, neigten oft zu Argwohn und mieden irdische Genüsse. Aber er war anders. Auch wenn er den schwarzen Umhang und die Ordenskette trug, schätzte man seine Gesellschaft. Er verstand durchaus zu unterhalten, war dem Frohsinn nicht abgeneigt und verlor sich oft in erstaunlicher Selbstironie.

      Heute aber wirkte er mürrisch und bedrückt. Kaum, dass er jemanden beachtete. Er hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und starrte stumpfsinnig vor sich hin. Irgendwann riss ihn Titzel mit seiner Frage aus den Gedanken.

      Was? Ach ja! Wie immer bestellte er eine Biersuppe und einen Humpen. Dann steckte er ihm drei Gulden in den Gürtel und versank erneut in Trübsal.

      Seltsam war das. Obgleich hier Stammgast, fühlte er sich plötzlich fremd. An den Tischen lungerte allerlei Gesindel; einige Kaufleute waren dabei, ebenso ein paar heruntergekommene Landsknechte. Selbst der Spielmann in der Ecke schien heute schlecht aufgelegt. Als er ihm einen Kreuzer zuwarf, damit er endlich etwas Fröhliches anbringt, bekam der nur eine schwermütige Weise zustande.

      Marie Schneidewind war ihr Name, zwanzig Jahre, Witwe und Mutter eines Kindes. Nicht ein einziges Mal hatte er sie beim Namen genannt. Warum eigentlich?

      Dabei war sie anders, irgendwie eigenartig und verstand allein durch ‚Wirkung‘ zu beeindrucken. Das war ihm bisher noch nie passiert. Sie wog die Worte wohl, besaß einen messerscharfen Verstand und blieb dennoch erstaunlich natürlich und bescheiden. Er hatte Erkundigungen über sie eingeholt und nichts Gutes dabei erfahren. Sie wäre raffiniert und doppelzüngig und verstünde aus allem das Beste für sich herauszuholen - eine Hexe eben.

      Übliches Geschwätz, dachte er bei sich. Wahrscheinlich bin ich verrückt. Ja, ich muss verrückt sein. Anders ist das nicht zu erklären.

      Und doch war ihm, als erinnere sie ihn an jemanden, und das bereits vom ersten Moment an.

      Verdammt! Es war ein Wort, das einem auf der Zunge liegt, doch dummerweise gerade nicht einfällt. Man sucht sich mit Macht darauf zu besinnen, fühlt sich schon nahe dran, aber es bleibt verschwommen.

      Als ihm Titzel den Met brachte, fiel es ihm ein. „Es liegt an ihren Augen, nur an ihren Augen!“ sagte er und sah ihn verwundert an.

      Der wusste zwar damit nichts anzufangen, nickte aber dennoch zustimmend. Doch je länger der Magister darüber nachdachte, umso klarer wurde es ihm. Sie konnten so ausdrucksvoll und warm, zugleich aber auch kalt und stechend dreinschauen, dass man niemals wusste, woran man ist.

      Jetzt endlich wurde es ihm klar.

      Vor vielen Jahren hatte ihn schon mal jemand so angesehen, mit den gleichen Augen, dem gleichen Blick und auch dem gleichen Gefühl - da war er sich sicher. Es war eines jener Bauernmägde, die ihn aus irgendeinem Grund interessierte, und die er später völlig vergessen hatte.

      Sie war so unschuldig und rein; er hingegen, als junger Novize, noch voller Gier und Zügellosigkeit. Jetzt erinnerte er sich genau. Damals war er zu Gast beim Junker Joss, einem Bekannten seines Vaters und Herr der Lande Lauenburg und Bütow. Sie saß derweil auf einer Bank, ihm dem Rücken zugewandt und arbeitete irgendetwas.

      Dabei fing sie an zu singen, ganz leise und für sich. Da begann sein Herz zu klopfen. Er stand auf und schlich sich an sie heran. Als er sich zu ihr setzte und ihr übers Haar strich, zuckte sie zusammen und wollte schon aufspringen. Er aber nahm ihre Hand und küsste sie sanft und sah ihr in die Augen.

      Darüber lachte sie plötzlich wie ein Kind. Aber nur einen Augenblick. Dann wurde sie ernst und sprang schnell auf, wobei ein sonderbares Zucken über ihr Gesicht glitt, beinahe so, als wollte sie weinen. Er setzte ihr nach, küsste ihre Hand und zog sie auf seine Knie. Dem wagte sie sich nicht zu widersetzen und lächelte verschämt. Es war ein widernatürliches Lächeln, als wenn man etwas duldet, was große Pein bereitet.

      Das verletzte ihn.

      Ihr ganzes Gesicht glühte jetzt vor Scham, indes er wie trunken auf sie einredete und ihr von Dingen erzählte, die sie verlegen machten. Dabei verstand er sich selbst nicht mehr. Durch welchen Zauber war es ihr möglich, ihn dazu zu bringen?

      Es lag an ihren Augen - sie hatte ihn so angesehen und dadurch entflammt. Wenn sie das aber tat – so dachte er damals - geschah das mit Absicht, obschon sie wusste, dass er das Zölibat geleistet hatte. Sie durfte ihn also nicht so ansehen. Dazu hatte sie kein Recht.

      Plötzlich aber geschah etwas Seltsames. Mit einem Male schlang sie beide Arme um seinen Hals und fing ganz von selber an, ihn immer wieder heiß zu küssen. Ihr Gesicht war dabei ganz verzückt, und ihre Augen leuchteten. Zwar war er völlig außerstande, die Unmöglichkeit dessen begreifen, und doch gefiel es ihm.

      Als es dann zu Ende war, schien sie darüber verwirrt, dass er sie nicht mehr liebkoste. Sie sah ihn an und lächelte schüchtern. Plötzlich bekam er Angst vor diesem erschrockenen, unverständigen Blick. Er wusste, dass er grenzenlos Unanständiges getan hatte und empfand einen tödlichen Schrecken davor. Dafür hasste er sie. Schweigend hatte er sie verlassen.

      Am folgenden Tag vermisste er seinen Hirschfänger und schlug beim Junker Krach. Da sie seine Kammer aufräumte, geriet sie unter Verdacht und bekam sofort Prügel. Man band sie auf den Bock und schlug sie windelweich.

      Sie aber schrie unter den Schlägen nicht, sondern schluchzte nur ganz leise, vielleicht, weil er zugegen war und sie sich vor ihm schämte?

      Dann fand er ihn einige Tage später wieder, wagte es aber nicht zu sagen. Stattdessen reiste er unter einen Vorwand ab, auch wenn ihm das leidtat.

      Bereits damals machte er eine erstaunliche Entdeckung, dass nämlich jede schändliche Lage einen außergewöhnlichen Reiz auf ihn ausübte. Es war nicht die Niedertracht an sich, die ihn verzückte, sondern der Rausch infolge der Niedertracht. Sie gab ihm die Gewissheit seiner Überlegenheit, die ihn erbaute und die er fortan suchte.

      Seitdem wusste er, dass solche Schändlichkeiten sein Schicksal bestimmten. Aber ein Hexenjäger und Inquisitor durfte keine menschlichen Schwächen zeigen. Für Mitleid und Barmherzigkeit blieb kein Platz. Sie waren nur Irritationen im Kampf gegen das Böse und nichts weiter als ein Zeichen moralischer Schwäche.

      Sie hieß Svea und hatte ihn damals mit ihrer Standhaftigkeit verwirrt. Nicht mal unter Schlägen war sie bereit, etwas zuzugeben, was ihr Erleichterung verschafft hätte. Natürlich hätte das nichts an ihrer Unschuld geändert. Dennoch wäre ein Eingeständnis für sie vorteilhafter gewesen. Folglich war sie dumm.

      Und noch etwas störte ihn: Obwohl sie ihm zu Willen war, hatte sie ihn nur mit Äußerlichkeiten verlockt. Ihr Inneres hingegen war ihm fremd geblieben. Folglich mochte er nur ihren Körper, nicht aber ihren Verstand. Seither war er der Überzeugung, dass man beides niemals haben kann. Nur die Liebe zu Gott vereint beides.

      Diese Marie Schneidewind aber war anders. Sie war klug, ja geradezu verschlagen, und er fürchtete sie, weil er ahnte, dass sie ihm als Weib wohl erstmals beides geben könnte.

      Aber dazu wird es jetzt nicht mehr kommen, denn sie wird brennen! dachte er bedrückt und legte die Hände auf die Augen. Die Vorstellung, sie am Pfahl und vom johlenden Pöbel verspottet zu sehen, erfüllte ihn mit tiefem Kummer.

      Gegenüber saß eine Dirne im roten Kleid und tiefem Ausschnitt. Sie funkelte ihn an und machte ein eindeutiges Zeichen.

      „Was gaffst du so?“, keifte er. „Weißt du, was eine Hexe ist? Das ist ein standhaftes Weib, das mehr Charakter zeigt, als wir alle zusammen. Und ihr, die ihr dann auf dem Marktplatz jubeln werdet, wisst, dass mit ihrem Brennen auch ein Teil eurer Seele stirbt, da niemand die Größe besitzt, ihr beizustehen.“

      Niemand verstand ihn. Man glaubte, er sei betrunken. Vielleicht war er das auch, denn er bestellte sich jetzt einen ganzen Krug, auch für die anderen Tische.

      Am Ende hielt er die ganze Spelunke frei. Man bejubelte ihn, rief Trinksprüche und soff auf sein Wohl. Auch er stemmte seinen Humpen und leerte ihn mannhaft. Dann lachte er, als habe er niemals etwas Dümmeres vollbracht, stieg auf den Tisch und sang aus voller Kehle eine schmutzige Weise. Alles klatschte, man jubelte ihm zu. Die ganze Schenke glich einem Tollhaus und feierte den spendablen