Das Verschwundene Tal. Dietmar Preuß

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Название Das Verschwundene Tal
Автор произведения Dietmar Preuß
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738098440



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      Auch der Schmied betrachtete die Messingarbeit genau und nickte anerkennend. Dabei hielt er sich immer so, dass er dem Ssadesti den Rücken zukehrte.

      Die anderen Gäste hatten mitbekommen, dass der fremde Skalde satt war. Rufe nach einer neuen Geschichte wurden laut, und Wulfiard nahm gerne wieder den erhöhten Platz auf der Stuhllehne ein, denn es war ihm ganz recht, von dem seltsamen Schmied fortzukommen. Als die Leute jubelten, stellte sich eine innere Zufriedenheit ein, die er nur an wenigen Abenden verspürte. Hier erhielt er Lob und Anerkennung, ohne dass er Blut vergießen musste, wie seine Sippe es in der fernen Heimat verlangt hatte. „Hört die Geschichte von dem Krieger, der in Echsenblut badete und so unverwundbar wurde …“

      Die Schänke war nun bis auf den letzten Platz gefüllt, der Wirt und sein Gehilfe kamen kaum nach, die Wünsche der Gäste zu erfüllen. Wulfiard erkannte an seinem zufriedenen Gesichtsausdruck, dass er um ein Nachtlager nicht würde betteln müssen.

      Der Applaus nach dem Ende seiner Geschichte war gerade abgeebbt, als hinter der Theke eine junge Frau erschien, bei deren Anblick Wulfiard beinahe das Herz stehen geblieben wäre. Sie war anmutig, auch wenn ihr die Üppigkeit einer Medeme oder die gefährliche Leidenschaft einer Sharina fehlte. Vielmehr war eine Zartheit und Reinheit an ihr, die in ihm augenblicklich den Wunsch hervorrief, sie zu beschützen. So wie der Ssadesti mit dem narbigen Gesicht Angst um sich herum verbreitete, so schien um diese Schönheit mit den großen braunen Augen und den langen dunkelbraunen Haaren eine Aura der Vornehmheit und Friedfertigkeit zu sein. Wäre sie größer und spitzohrig gewesen, er hätte sie für eine bronzehäutige Elfenfrau gehalten, die in den Wäldern der Greiflande lebten. Die Geräusche in der Schänke schienen leiser zu werden, Schimpfworte und Flüche wurden nur noch geflüstert, niemand schnäuzte mehr in den Ärmel oder spuckte auf den Boden.

      „Geh zurück in deine Kammer!“, hörte Wulfiard den Wirt zischen, der wohl ihr Vater war. Aber hinter der zarten Anmut verbarg sich ein resolutes Wesen, denn die Tochter griff nach den vollen Humpen und trug gleich sechs davon zum nächsten Tisch.

      Diese Frau muss ich kennen lernen, dachte Wulfiard, koste es, was es wolle. Sicher ist sie nicht so unbescholten, wie sie tut, und hat die Liebe schon kennen gelernt. Und schließlich bin ich ein Skalde, weitgereist und unwiderstehlich. Er stand auf, als die Schöne auf ihn zu kam. Im Kerzenlicht leuchteten dunkelrote Reflexe in ihrem Haar auf wie Glut unter der Asche. Der dicke Kesselflicker griff nach seinem Arm, um ihn zurückzuhalten, denn er hatte die Blicke Wulfiards gesehen. „An Shehera wirst du dir die Zähne ausbeißen, mein Freund“, sagte er, aber Wulfiard hörte nicht auf ihn.

      „Eine Jungfrau, so rein wie eine Meeresbrise,

      graziös wie eine Hindin auf schattiger Wiese,

      erscheint dem einsamen Mann wie ein Traum,

      in diesem heißen Land glaubt er’s kaum.

      Hält sie für des Jungen Tengris Gruß,

      erhofft sich von ihr einen einzigen Kuss!

      Die Gäste waren gespannt, wie die Wirtstochter auf den gutaussehenden Fremden und seine Verse reagieren würde. Ihre Mundwinkel zuckten, spöttisch oder anerkennend, das wusste Wulfiard nicht zu deuten. Ihre Blicke blieben an seinem goldblonden Haar hängen.

      Es war nun so still, dass man den Lärm aus den anderen Schänken um den Marktplatz hören konnte. Wie würde Shehera antworten? Sie tat es auf eine Weise, die Wulfiard zum ersten Mal seit Monaten die Sprache verschlug:

      „Ein Skalde, der meint, nur reimen zu müssen,

      und schon kann er eine jede küssen,

      der denkt wie der Hahn auf dem Haufen Mist,

      dass er von allen der bunteste ist!“

      Die Spannung der Gäste löste sich in brüllendem Gelächter auf. Niemand hatte damit gerechnet, dass Shehera dem Haimamud ausgerechnet mit Versen das Wasser reichen konnte. Wulfiard erkannte, dass es keinen Zweck hatte, mit einem weiteren anzüglichen Reim zu antworten, denn die schöne junge Frau in dem knöchellangen Rock hatte die Gäste auf ihrer Seite. Er verbeugte sich daher vor ihr und spendete als erster Applaus.

      Als die Leute sich wieder ihren Gesprächen zuwandten, näherte er sich Shehera. Er sah, wie ihr Vater misstrauisch her­­übersah, und hielt daher gebührend Abstand. „Einer Frau wie dir begegnete ich nie zuvor“, sagte Wulfiard. Worte, die ihm bei anderen Frauen leicht von den Lippen kamen, schienen ihm auf einmal banal und albern. Zum ersten Mal wusste er nicht, ob er das richtige sagte, aber er fuhr mit leiser Stimme fort. „So anmutig wie eine Lilie. Das … das ist eine Blume aus meiner Heimat. Sicher … sicher hältst du mich für einen Bruder Leichtfuß, aber erlaube mir, dich morgen wiederzusehen, schöne Shehera!“

      Während sie sich die langen Haare hinter die Ohren strich, musterte die Batorianerin sein Gesicht. Vielleicht las sie darin, dass seine Worte keine dahingeworfenen Phrasen waren, vielleicht fand sie ihn, den großgewachsenen, blonden Fremden durchaus einen zweiten Blick wert. „Ich hole morgen Wein von einem Bauern an den Hängen des Tengriswalls ab. Du kannst mitkommen, auf dem Eselskarren ist Platz für zwei. Auf dem Rückweg wirst du aber laufen müssen, sonst schafft das alte Grautier es nicht“, sagte sie mit weicher Stimme.

      „Ich danke dir! Morgen werde ich zur Stelle zu sein.“ Er würde noch ihren Vater um Erlaubnis fragen - ein Gedanke, der ihm zum ersten Mal im Leben kam. Aber Shehera war auch nicht wie andere Frauen.

      Inzwischen waren die drängenden Rufe nach einer weiteren Geschichte wieder lauter geworden. Wulfiard setzte sich wieder auf die Stuhllehne und hob den leeren Humpen. „Wenn mir einer den Durst austreibt, der mich wie ein Damön befallen hat, dann werde ich euch erzählen, wie eine Handvoll Runländer eine zehnfache Übermacht Korsaren besiegte, die ihr Dorf plündern wollten. Und bestellt auch selbst, damit euch der Durst später nicht ablenkt.“

      Der Wirt nickte zu diesen Worten, und gleich zwei Gäste waren bereit, für die kriegerische Geschichte zu zahlen. Wulfiard stellte einen Krug zwischen seine Füße auf die Sitzfläche, den zweiten trank er in einem Zug aus. Während er erzählte, verließ der Ssadesti das Betrunkene Kamel, und der sonderbare Schmied vertiefte sich in ein geflüstertes Gespräch mit dem Kesselflicker. Da der Räuber verschwunden war, getraute der Dicke sich wohl, mehr über diese Horde zu erzählen.

      Der Abend wurde noch lang und fröhlich, auch wenn Wulfiard traurig war, als sich die schöne Shehera zurückzog. Bis dahin war er mit den Augen unentwegt ihren Bewegungen gefolgt und hatte zu ergründen versucht, warum ihr Anblick solch eine Wirkung auf ihn hatte.

      Als die Gäste nach und nach heim gegangen waren, war Wulfiard mit dem Wirt allein. „Hat sich das Geschäft für dich gelohnt, Wirt?“

      „Ja, und ich weiß, was du jetzt fragen wirst: Du suchst ein Nachtlager.“

      Wulfiard glaubte, eine echte Glückssträhne zu haben. Also wollte er versuchen, noch etwas mehr herauszuschlagen.

      „Nun ja, das auch. Aber glaubst du nicht, dass mir ein Lohn dafür gebührt, das ich deine Einnahmen verdoppelt habe?“

      „Nun lass mal gut sein, Haimamud. Ich habe doch gesehen, dass du das eine oder andere Bronzestück für deine Geschichten und Verse eingesteckt hast.“

      „Na ja.“ Wulfiard grinste. „Einen Versuch war es wert.“

      „Dafür biete ich dir ein sauberes Bett. Im linken Zimmer am Ende des Flures schläft zwar schon ein Mann, aber er hat nur für ein Bett bezahlt. Das andere kannst du haben.“

      Das ist doch schon etwas, dachte Wulfiard, der gewohnt war, sich das Bett mit vier oder fünf Fremden teilen zu müssen oder im Stall zu schlafen. „Hab´ Dank, äh …“

      „Mein Name ist Hodscha ibn Rastu Birscha ibn Melahat. Oder einfach Hodsch“, sagte der Wirt, „und wenn du magst, unterhalte morgen meine Gäste wieder. Solange keine Langeweile aufkommt, soll es mir recht sein. Aber lass deine Finger von meiner Tochter, sonst wird dir das schlecht bekommen. Wie bist du übrigens über den Unsteten Pfad gekommen?“