Название | Mord ohne Grenzen - Elsass-Krimi |
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Автор произведения | Elke Schwab |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783748599845 |
„Aber …“ Sabine verschlug es die Sprache. „Er kann doch nicht einfach ein fremdes Kind auf ein Pony setzen.“
„Wie soll er sich jedes Gesicht merken? Es kommen immer viele Kinder, die ausreiten wollen. Die Eltern sind einverstanden, weil bisher noch nie etwas passiert ist. Außerdem wissen Sie doch gar nicht, ob Ihre Tochter wirklich dabei ist.“
Sabine rang nach Luft.
„Ich überlege gerade“, meinte der Mann, der nun doch leicht nachdenklich aussah. „Fünf Ponys sind gesattelt worden und fünf Kinder sind zu dem Ausritt gekommen.“
In Sabine machte sich die Hoffnung breit. Doch der nächste Satz machte die sofort wieder zunichte: „Jetzt erinnere ich mich wieder ganz genau. Sechs Mädchen waren gekommen. Eines musste nach Hause gehen, weil es Bauchschmerzen hatte. Mein Schwiegersohn war bereits abgestiegen und wollte ein weiteres Pony satteln, aber das musste er dann doch nicht tun.“
„Annabel trägt einen Jeansoverall. Sie hat lange blonde Haare. Ist dieses Kind dabei?“
Der Mann nickte und meinte: „Dem Kind habe ich noch gesagt, dass die Nähte der Jeans ihr an den Beinen wehtun könnten. Aber das war ihm egal.“
Sabine rannte aus der dunklen Stallgasse. Das Wissen, dass ihre Tochter sich unter fremden Menschen befand und auf einem fremden Pony saß, trieb sie fast in den Wahnsinn.
Die Außenboxen im Hof waren vereinzelt mit Pferden besetzt, daneben befanden sich eine gähnend leere Reithalle und ein großer Heuschober. Sie suchte die dahinterliegenden Felder akribisch ab, bis sie tatsächlich eine Gruppe von Reitern sah.
Der Anblick versetzte ihr den nächsten Schock: von wegen langsam reiten. Die Truppe jagte in wildem Galopp über die Felder.
„Das nennen Sie langsam?“
Der Mann schaute in die gleiche Richtung. Nun war es an ihm, zu staunen. „Das verstehe ich nicht. Pascal, mein Schwiegersohn, reitet sonst immer nur im Schritt.“
„Wer sind Sie überhaupt?“
„Mein Name ist Ernest Leibfried. Ich bin der Bürgermeister von Potterchen.“
„Dann helfen Sie mir bitte, dass meine Tochter heil zurückkommt.“
Ernest Leibfried lief zum Feldweg, der an den Bahngleisen entlang verlief, und ließ einen lauten Pfiff ertönen. Besorgt beobachtete Sabine, was nun geschah.
Es dauerte eine Weile, bis die Gruppe von Reitern ihre Ponys zügeln konnte, um sie zum Rückweg zu wenden. Kurzfristig herrschte dort heilloses Durcheinander. Die Tiere liefen in alle Richtungen, bis es dem Anführer der Gruppe gelang, sie alle auf den Weg zu lenken, der zum Stall zurückführte.
Bis auf eine Ausnahme.
Ein Pony setzte sich von der Gruppe ab, sprang über die Schienen und galoppierte auf der anderen Seite weiter. Der Anführer der Gruppe riss sein Pferd herum und jagte hinter dem ausbrechenden Tier her, während der Rest der Gruppe im ruhigen Schritt zum Stall zurück trottete.
Sabine suchte unter den Kindern Annabels Gesicht, doch ihre Tochter war nicht dabei. Ihr Albtraum wurde wahr: Ausgerechnet Annabels Pony hatte sich von der Gruppe getrennt und war über die Schienen davon galoppiert.
Endlich schüttelte sie die Lähmung ab, die sie vor Schreck erfasst hatte, und lief los. Gerade noch konnte sie verhindern, an den Gleisen zu stolpern und auf den Schotter zu fallen. Sie erreichte das Feld auf der gegenüberliegenden Seite und rannte noch schneller. Aber gegen die Vierbeiner hatte sie keine Chance. Der Abstand war schon viel zu groß. Sie konnte nicht einmal mehr sehen, ob eine Reiterin auf dem wild galoppierenden Pony saß. Es war zu weit weg und viel zu schnell. Schon hatte sie das Pony völlig aus den Augen verloren.
Kalter Wind schlug ihr entgegen. Sie bekam keine Luft mehr. Schwindelattacken zwangen sie, langsamer zu werden. Sie stolperte weiter und weiter. Alles um sie herum war grün, grün und wieder grün. Soviel Natur hatte sie noch nie in ihrem Leben auf einmal gesehen. Sie verlor die Orientierung.
Eine Reiterin kam ihr entgegen. In ihrer freien Hand hielt sie die Zügel eines reiterlosen Ponys. Das Tier war nassgeschwitzt, zerzaust und schnaufte.
„Was ist mit meinem Kind passiert?“, fragte Sabine atemlos.
„Das Pony ist ausgebrochen. Das Mädchen, das darauf saß, ist runtergefallen“, antwortete die junge Frau.
„Und wer sind Sie? Warum reiten Sie seelenruhig zum Stall zurück?“
„Ich habe lediglich das Pony eingefangen, damit Pascal weiter nach dem Kind suchen kann. Sobald das Pony im Stall ist, helfe ich bei der Suche.“
Sabine ging weiter, begann erneut zu rennen, in der Hoffnung, Annabel so schneller zu finden. Das Einzige, was sie damit bewirkte, war ein schmerzhaftes Seitenstechen. Sie verlangsamte ihre Schritte und suchte alles ab, was nach einem Reitweg aussah, warf einen Blick in jeden Graben. Ohne Ergebnis. Ständig rief sie Annabels Namen. Keine Reaktion. Sie stolperte ziellos herum. Sie bemerkte nicht, wie die Zeit verging, fühlte nur eine große Hilflosigkeit und Sorge. Ihre Schuhe waren durchnässt, Kälte kroch durch ihren Körper. Sie durfte nicht schlappmachen. Hier irgendwo lag ihre Tochter und brauchte ihre Hilfe. Sie fiel auf den nassen Boden, erhob sich und stolperte weiter. Ihr Kopf dröhnte, sie konnte nur noch Schemen erkennen. Aus dem Nebel schälte sich eine Gestalt. Hoffnungsvoll riss sie die Augen auf, schrie den Namen ihrer Tochter und rannte darauf zu.
Doch es kam keine Antwort und niemand war mehr zu sehen. Ihre Sinne hatten sie getäuscht.
Sie blieb stehen, bückte sich und schloss die Augen, um ihre Atmung zu beruhigen. Dann setzte sie ihre Suche fort. Hastig sprintete sie los. Doch schon nach wenigen Metern stürzte sie erneut auf den nassen Boden. Gleichzeitig hörte sie etwas. Ein Platschen. Ganz in ihrer Nähe. Das musste ihre Tochter sein. Sie riss die Augen auf und krächzte „Annabel“. Suchend schaute sie sich um. Ein Schatten trat auf sie zu. Sie sprang auf vor Erwartung. Doch es war nur der Bürgermeister.
„Die Männer aus dem Dorf helfen bei der Suche nach Annabel“, sagte er in beruhigendem Tonfall. „Leider hat mein Schwiegersohn nicht gesehen, wo Ihre Tochter heruntergefallen ist. Deshalb müssen wir den ganzen Weg abgehen. Pascal reitet sicherheitshalber das gesamte Feld ab. Keine Sorge. Wir sind so viele. Wir werden Ihr Kind finden.“
Sabine nickte schwach. Sie rieb über ihre schmerzenden Augen, blickte hoch und fand bestätigt, was der Bürgermeister gesagt hatte. Bewaffnet mit Stöcken gingen Fremde über die Felder, schoben Gras zur Seite, klopften den Boden ab, riefen dabei immer wieder Annabels Namen.
Konnte sie dieser Anblick wirklich beruhigen? Wer waren diese Leute? Wollten sie wirklich das Beste für ihr Kind? Wie sollte Sabine diesen Menschen vertrauen, wo sie hier doch nur eine Fremde war?
Mit zitternden Knien erhob sie sich und setzte ihre eigene Suche fort.
Dämmerung brach herein und noch immer keine Spur von Annabel. Plötzlich ergriff ein naheliegender Gedanke von ihr Besitz: Was wäre, wenn Annabel zum Stall zurückgekehrt wäre und dort nach ihr suchte? Diese Vorstellung ließ einen Funken Hoffnung aufblitzen. Sofort wendete Sabine und stolperte den langen Weg zurück. Sie überquerte die Schienen und steuerte den Stall an. Aber ihre Hoffnung, dass Annabel dort auf sie wartete, löste sich schnell in Nichts auf. Keine Menschenseele hielt sich dort auf. Nur die Pferde, deren Kaugeräusche den Stall erfüllten.
Blieb noch die Hoffnung, dass sie in das Haus Nummer zwölf in der Rue de la Gare zurückgekehrt war. Sie passierte eine große Ruine. Der Anblick dieses baufälligen Gemäuers ließ sie innehalten. Die morsche Holztür war nur angelehnt, also kein Hindernis, um dort hineinzugelangen. Sie zog sie einen Spaltbreit auf und quetschte sich hindurch. Vor ihren Augen war nur ein brüchiger Boden übersät mit Unrat zu sehen. Links von ihr lehnte eine Leiter an der Wand, die auf eine Zwischenetage führte. Sabine stieg hoch und rief mehrmals Annabels Namen. Aber dort war sie nicht.
Sie