Das Tal der Feuergeister. Franziska Hartmann

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Название Das Tal der Feuergeister
Автор произведения Franziska Hartmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753170428



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angekommen war und den Verletzten mit ins Krankenhaus genommen hatte. Wir hatten uns als Freunde ausgegeben und folgten dem Krankenwagen nun. So schnell wurde aus einem Einbrecher ein Sorgenkind.

      „Cuinn Lasair“, wiederholte ich noch einmal. „Das ist doch kein Name! Genauso wenig, wie Glenbláth ein Ort ist.“

      Meine Mutter reagierte nicht. Sie starrte nur geradeaus auf die Straße, die Hände ums Lenkrad gekrallt. Jetzt erst fiel mir auf, wie blass sie im Gesicht war.

      „Alles in Ordnung, Mama?“

      „Klar, alles in Ordnung“, gab sie zurück und ich hörte wieder einen leichten Anfall von Hysterie aus ihrer Stimme heraus. „Vor nicht mal einer Stunde ist ein wildfremder Mann in meinem Wohnzimmer aufgeploppt. Einfach so. Aus dem Nichts. Das ist ja ganz normal. Natürlich ist alles in Ordnung.“

      Okay, die Ironie war nicht zu überhören. „Das musst du mir sowieso noch mal genauer erklären. Was heißt hier aufgeploppt?“

      „Ich wollte gerade ins Wohnzimmer gehen, als dort plötzlich mitten im Raum ein grünes Licht aufgetaucht ist und immer heller wurde. Ich habe nur kurz die Augen geschlossen, weil es mich so geblendet hat und als ich sie wieder öffnete – schwupps, da stand er.“

      Meine Mutter bremste scharf, da sie beinahe eine rote Ampel übersehen hätte. Sie war wirklich völlig durch den Wind.

      „Du weißt, dass das unmöglich ist?“

      Mama schlug mit beiden Händen auf das Lenkrad und richtete ihren starren Blick nun auf mich. „Ja doch! Aber das ist das, was ich gesehen habe!“ Sie sah mich weiter eindringlich ein, bis hinter uns die Autos anfingen zu hupen. Die Ampel hatte längst wieder auf grün umgeschaltet.

      Sie meinte es wirklich ernst, keine Frage. So durcheinander hatte ich meine Mutter noch nie erlebt. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie mit quietschenden Reifen anfuhr.

      In der Klinik angekommen, überließ ich meiner Mutter den Kampf mit einer Angestellten am Empfang: Cuinn hatte weder Ausweis noch einen Krankenkassenkarte bei sich gehabt. Alles, was ich mitbekam, war die Rede von einer saftigen Anzahlung für Cuinns Behandlung. Meine Mutter beschwerte sich natürlich lauthals. Der Rest der Auseinandersetzung ging an mir vorbei, denn mein Kopf versuchte die jüngsten Ereignisse zu sortieren. Aufgeploppt. Ich schüttelte den Kopf.

      Letzten Endes saß ich mit meiner Mutter im Flur.

      „Wenn der Kerl wieder fit ist, wird er mir die Krankenhauskosten zurückzahlen“, zischte sie immer und immer wieder. Offensichtlich hatte die Diskussion nicht zu ihrem Vorteil geendet.

      Jetzt hieß es warten. Auf irgendjemanden, der uns sagen würde, wie es Cuinn ging. Während dieser Wartezeit wagte ich es nicht, meine Mutter anzusprechen. Ich verstand immer noch nicht, was passiert war. Doch meine Mutter in dieser nervlich instabilen Verfassung weiter auszuquetschen, erschien mir eine schlechte Idee. Den Ärzten hatten wir erzählt, dass Cuinn so nach Hause gekommen wäre und das Bewusstsein verloren hätte, bevor er uns hatte erzählen können, was passiert war. Stimmte ja auch so ungefähr. Nur, dass er nicht nach Hause gekommen war, sondern sich in unserem Haus materialisiert hatte. Und dass er nicht ein Freund von mir, sondern ein völlig Fremder war.

      Ich wusste nicht, wie lange es dauerte, bis ein Arzt zu uns kam und uns über Cuinns Zustand informierte. Er habe bereits im Krankenwagen das Bewusstsein wiedererlangt. Die Wunde an seinem Kopf sei nicht so tief, dass sie genäht werden musste und der Verdacht einer Gehirnerschütterung habe sich nicht bestätigt. Er mache jedoch einen recht verwirrten Eindruck, weshalb es empfehlenswert sei, ihn zur Beobachtung eine Nacht im Krankenhaus zu lassen.

      „Sie können ihn nun gern besuchen. Vielleicht beruhigt es ihn, ein paar bekannte Gesichter zu sehen“, schloss der Arzt seinen Bericht ab.

      Ich musste mich beherrschen, um nicht laut aufzulachen. Uns zu sehen, würde Cuinn wahrscheinlich alles andere als beruhigen. Aber als offizielle enge Freunde des Patienten konnten wir schlecht sagen: „Nein, wir wollen ihn bloß nicht sehen!“

      Der Arzt führte uns zu Cuinns Zimmer, öffnete die Tür und ließ uns dann allein.

      Cuinn hatte das Privileg, ein Zimmer für sich ganz allein zu haben. Er saß auf seinem Bett direkt neben dem Fenster und beobachtete uns misstrauisch, als wir den Raum betraten.

      „Ihr seid mir gefolgt? Was wollt Ihr von mir?“, fragte er uns.

      „Wir wollen schauen, wie es dir geht, Blödmann“, antwortete ich plump. Ich nahm einen der Stühle, die gegenüber von seinem Bett an einem quadratischen weißen Tisch standen, stellte diesen neben seine Bettkante und setzte mich. Meine Handtasche stellte ich neben mir auf dem Fußboden ab. Meine Mutter setzte sich auch, ließ ihren Stuhl, über dessen Lehne Cuinns dunkelbrauner Umhang lag, aber zwecks Sicherheitsabstands am Tisch stehen.

      Cuinns Kopf zierte nun ein weißer Verband. Argwöhnisch beobachtete er jede meiner Bewegungen.

      „Wir haben dich hierhergebracht und dafür gesorgt, dass du ärztlich versorgt wirst. Mittlerweile sollte dir eigentlich klar sein, dass wir auf deiner Seite sind“, sagte ich.

      „Ihr wolltet mich gefangen nehmen lassen!“, protestierte Cuinn.

      Na gut, da hatte er recht. Das klang doch nicht ganz so freundschaftlich.

      „Weil du plötzlich aus dem Nichts in unserem Wohnzimmer aufgetaucht bist!“, konterte ich.

      „Ist es normal, dass man sich hier einfach so duzt?“

      „Ist es normal, dass man sich in Gendat ihrzt und euchzt?“

      „Glenbláth“, korrigierte Cuinn.

      „Mir doch egal. Der Ort existiert eh nicht. Wo kommst du her?“

      Cuinn presste die Lippen aufeinander und schwieg.

      „Lass gut sein, Katja“, ließ meine Mutter nach einer Weile von sich hören. „Er sollte sich erst einmal ausruhen. Sollen wir jemanden benachrichtigen? Verwandte? Freunde?“

      Scheinbar hatte sie sich allmählich wieder gefangen.

      Doch Cuinn antwortete immer noch nicht.

      „Na gut. Dann kommen wir morgen wieder und holen dich ab“, schlug meine Mutter vor.

      Ich fand diese Idee mehr als unbefriedigend, wollte ich doch jetzt endlich wissen, was genau passiert war. Es musste für die heutigen Ereignisse eine plausible, mit dem menschlichen Verstand erfassbare Erklärung geben. Und Cuinn war der Einzige, der diese liefern konnte. Ich fixierte Cuinn mit zusammengekniffenen Augen, als könne ich so Antworten auf ihm herausquetschen. Doch er rührte sich nicht. Als meine Mutter aufstand und sich Richtung Tür bewegte, musste ich mich geschlagen geben. Ich schob den Stuhl an seine ursprüngliche Position zurück und schlenderte meiner Mutter hinterher, die den Raum bereits verlassen hatte. Als ich die Tür heranzog, warf ich noch einen letzten Blick zu Cuinn. Er starrte mir giftig hinterher. Die Tür fiel ins Schloss. Mit einem Seufzen drehte ich mich zu meiner Mutter.

      „Du willst ihn morgen wirklich abholen?“, fragte ich sie. „Bist du nicht schon verstört genug?“

      Ich meinte das todernst, aber sie lachte nur. „Mir scheint, als könne er nirgendwo anders hin. Aber irgendwo muss er ja unterkommen.“

      „Hast du plötzlich Mitleid mit deinem Einbrecher?“

      Sie zog die Schultern hoch. „Scheint so. Vielleicht.“

      Wir tappten eine Treppe hinunter und gingen an der Rezeption vorbei. Die Schiebetür öffnete sich automatisch und ein frischer Wind wehte uns entgegen. In diesem Moment bemerkte ich, dass eine gewisse Last auf meiner linken Schulter fehlte.

      „Ich habe meine Handtasche oben liegen lassen“, stöhnte ich. Noch mal musste ich dem komischen Vogel einen Besuch abstatten. „Ich komme gleich nach“, rief ich meiner Mutter noch hinterher, während ich auf dem Absatz umdrehte und zurück zur Treppe eilte. Ich nahm zwei Stufen auf einmal. Musste ich jetzt rechts oder links abbiegen? Ich hasste Krankenhäuser.