Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher

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Название Marrascas Erbe
Автор произведения Gerhard Schumacher
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847676546



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es recht betrachte, war zum Beispiel mein oficina nach ihrem Besuch deutlich ordentlicher als zuvor. Ebenso machten sie keinerlei Anstalten, ihre Neugier zu vertuschen, wiederum im Gegenteil kam es mir so vor, als wollten sie mir ganz klar zeigen, daß sie meine Unterlagen, auch die privaten, gelesen hatten. So weit ich in der kurzen Zeit feststellen konnte, fehlte auch nichts. Was sollte auch fehlen, ich habe keinerlei diskriminierenden Unterlagen. Den ganzen Schriftkram aus dem Notariat in Palma, ihre Erbschaft betreffend, die Übersetzung des Schreibens von Don Xavier an sie, Don Diego, hatte ich ihnen ja schon übergeben. Da war nichts mehr.

      Aber, diese Durchsuchung meiner Räume zusammen mit dem Vortrag des bisbe in seiner Residenz in Palma, der ganze Aufwand, der seitens des Ordinariats wegen ein paar lächerlicher Nachforschungen, was sage ich, Nachforschungsversuchen, unternommen wurde, lassen mich zu einer Schlußfolgerung mit zwei Ergebnissen kommen.

      Erstens: Seine Exzellenz, der bisbe, will verhindern, daß wir hinter eine Angelegenheit kommen, die offensichtlich ihren Ursprung vor langen Jahren hat, deren Auswirkungen aber bis in unsere Zeit reichen und in einem engen Zusammenhang mit der Familie Marrasca, sowie ihnen, Don Diego, und ihrem Erbe stehen und zweitens sollte sie mir zur Warnung dienen, meine ketzerische Nase nicht in Dinge zu stecken, die mich nach Meinung des bisbe nichts angehen. So jedenfalls sehe ich das oder wie denkst du darüber, Basilio, Bruder im häretischen Geiste?“

      „Wohl wahr gesprochen Remigio, und, wenn ich hinzufügen darf, heißt es drittens, daß unser Oberhirte hier in unserer unmittelbaren Nähe einen Informanten sitzen hat, der ihn über jeden unserer Schritte unterrichtet. Bedenkt, wir haben noch nicht einmal an der Oberfläche eines Geheimnisses gekratzt, von dem wir gar nicht wußten, daß es überhaupt eins ist und schon ist das klerikale Palma in helle Aufregung versetzt. Wer ist so eng an uns dran, sozusagen mitten unter uns, den Spion des bisbe geben zu können? Mir fällt da eigentlich nur Álvaro, der Chauffeur ein, er ist Tag und Nacht in ihrer Nähe, Don Diego, er muß sich nicht einmal groß anstrengen, etwas mitzubekommen, es wird ihm vor seiner Nase serviert.“

      Ich schüttelte den Kopf, dieser Gedanke kam mir dann doch zu abwegig daher.

      „Álvaro? Wenn ich mir alles vorstellen kann, nur das eben nicht. Der hat doch nur seine Dulcinea im Kopf, vor deren Küchentür er hockt wie ein Hündchen vorm Freßnapf. Außerdem ist er die Hälfte des Tages und die ganze Nacht mit Pablos Wein beschäftigt. Nein, der scheidet mit Sicherheit aus.“

      „Und wovon lebt er“, wollte Don Basilio wissen, „gut, für das Zimmer in ihrem Hause braucht er nichts zu bezahlen, für das Essen von Bienvenida wohl auch nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ihm der Geizkragen Pablo die Mengen an Wein, die er trinkt, umsonst in die Kehle kippt, da ist schon seine nicht minder geschäftstüchtige Consuela vor.

      Álvaros professió ist es, mit seinem cotxe Leute von hier nach dort zu bringen. Damit verdient er die peseta, die er zum Leben braucht. Wenn ich das recht sehe, hat er in Artà seit Wochen niemanden durch die Gegend kutschiert, von dem Ausflug mit ihnen, Don Diego, einmal abgesehen. Wovon also bezahlt er seinen Wein, wovon den Kraftstoff, den er braucht, um sein Automobil zu bewegen?“

      Zugegeben, nach Don Basilios Worten nagten erste Zweifel, die Loyalität des Chauffeurs betreffend, an mir. Ich nahm mir vor, ihn so bald es möglich war, darauf anzusprechen und beendete damit vorerst die Debatte um den Spion in unserem kleinen Kreis, die mir ausgesprochen unangenehm war, denn ich hatte den guten Álvaro ja erst nach Artà gebracht.

      Selbstverständlich bot ich den beiden Mitstreitern sofort an, sich ohne Gesichtsverlust umgehend aus der ganzen Angelegenheit, die in erster Linie ja ausschließlich mich persönlich betraf, herauszuziehen, da ich nicht wollte, daß sie meinetwegen Ärger mit ihrem Vorgesetzten in Palma bekamen.

      Beide schüttelten die Köpfe, lachten und erklärten mir, so weit käme es noch, daß sie sich von einem hergelaufenen, respektive hierher auf die Insel versetzten bisbe, der eigentlich Festlandspanier aus der kahlen Ecke der Mancha (das sage ja wohl alles) sei, den Mund verbieten ließen, das wäre ja noch schöner. Außerdem käme Don Basilio ja noch unbeleckt vom Verdacht der Konspiration daher, sonst hätte ihr gemeinsamer Oberhirte ihn zweckmäßigerweise gleich mit nach Palma transportieren lassen, oder?

      Don Remigio verstieg sich sogar zu der Ansicht, der bisbe dürfte es nicht wagen, disziplinarisch gegen ihn vorzugehen, weil er dann seine, Remigios, Familie gegen sich aufbringen würde, deren Stimme auf der Insel einiges Gewicht habe.

      „Dem Herrn in Palma sei es dringlich angeraten, sich doppelt und dreifach gut zu überlegen, ob er durch sein Vorgehen das Wohlwollen meiner Familie aufs Spiel setzen will oder besser doch nicht“, rief er sichtlich erzürnt und fügte an, „soll er mich doch rausschmeißen, die hohe Exzellenz, dann kaufe ich mir hier in Artà ein caseta und dann kann er sich erst recht warm anziehen, der papistische pare in seinem großartigen Palast. Hab ich recht, Basilio, sollen wir uns etwa dem Diktat aus Palma unterwerfen, oder sind wir freie Männer von reiner Gesinnung?“

      Don Basilio nickte, jetzt vom Wein und der Empörung über die Freveltat des bisbe ebenfalls erhitzt, erklärte sich solidarisch mit seinem Amtsbruder und ließ trocken verlauten:

      „Soll er doch kommen, der cul episcopal.“

      Auch wenn ich den Ausdruck, den Don Basilio gebrauchte, bisher nicht kannte, fiel es mir nicht schwer, ihn richtig mit „bischöflicher Arsch“ zu übersetzen. Man konnte kaum glauben, daß sich hier zwei katholische Geistliche über ihren Bischof unterhielten. Dennoch, wenn auch nicht in dieser Heftigkeit, ich hatte, wenn ich ehrlich bin, keine andere Reaktion der beiden erwartet. Alles andere, jeder Rückzug, hätte mich doch überrascht, um nicht zu sagen enttäuscht.

      Wir entschieden uns, den Abend, wie gewohnt, in aller Öffentlichkeit bei einem guten Mahl mit entsprechendem Wein in der Bar El Ultim zu verbringen. Und wir wurden von den Kochkünsten Bienvenidas nicht enttäuscht. Consuela servierte uns zuerst einige Scheiben pa amb oli mit sobrasada und im Anschluß daran ein porcella, dessen feiner Geschmack mir im Moment der Niederschrift dieser Zeilen immer noch beifällig anerkennend gegenwärtig ist. Es war dies ein köstliches Essen, das Bienvenida in ihrer Küche zubereitet hatte, ein glücklicher Mensch durfte sich nennen, wer sie irgendwann einmal über die Schwelle des eigenen Hauses in die eigene Küche tragen konnte. Ich wußte nicht, ob Álvaro in Palma, wo er herkam, ein Haus besaß, dachte aber, wenn er Erfolg bei seiner Angebeteten haben würde, mußte er sowieso hierher in den Nordosten Mallorcas ziehen, denn ein Weggang Bienvenidas aus ihrer Geburtsstadt war schlicht unvorstellbar.

      sechs / sis

      Trotz der Empörung über die Maßnahmen des bisbe in Palma war uns allen drei klar, daß wir in der Angelegenheit nur weiter kamen, wenn wir Sachverhalte entdeckten, die uns der Aufklärung verschiedener Ungereimtheiten näher brachten. In dieser Hinsicht hatten wir allerdings recht wenig Konkretes vorzuweisen, an dem wir angreifen konnten.

      Mir selbst blieb die große Haushaltskladde, die ich zu bearbeiten schon begonnen hatte und ansonsten wartete ich auf die briefliche Antwort meiner Mutter, die frühestens in zwei bis drei Wochen eintreffen konnte. Die Arbeit an der Kladde war nun nicht gerade aufregend zu nennen und ich versprach mir nach den schon bearbeiteten Jahrgängen keine großen Erkenntnisse davon. Aber untätig herumsitzen und auf den Brief meiner Mutter warten wollte und konnte ich auch nicht. Also fügte ich mich in mein Schicksal und tröstete mich mit den abendlichen Zusammenkünften der beiden capellàs, die zunehmend einen rituellen Charakter anzunehmen schienen, was durchaus positiv gemeint und uns auch allen bewußt war.

      Parallel zu meinen Nachforschungen im Haushaltsbuch der Marrascas wollten Don Remigio und Don Basilio in ihren jeweiligen Kirchenbüchern und den sonstigen Aufzeichnungen der Gemeinden nach Besonderheiten oder Auffälligkeiten, die in einem Zusammenhang mit den Marrascas oder meinem Erbe stehen konnten, recherchieren. Mehr konnten wir im Moment nicht tun, sagten wir uns. Auf jeden Fall fiel uns gegenwärtig nicht mehr ein, das traf die Situation weitaus besser, wie sich in der Folge herausstellen sollte.

      Zeile