Aus dem Elend. Emerenz Meier

Читать онлайн.
Название Aus dem Elend
Автор произведения Emerenz Meier
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753177816



Скачать книгу

und sitzt sich oana auf an Ackerroa, so wachst neun Jahr koa Gras mehr drauf.«

      Burgl war bisher anscheinend teilnahmslos geblieben. Nun aber legte sie hastig ihre Näherei zusammen und erhob sich.

      »Kram deine schlechtn Sprichwörter an anders Mal aus, Sepp«, sagte sie in so zürnendem Ton, wie man ihn selten von ihr zu hören bekam. »Des Gschöpf dort, des so ängstli und bittend dreinschaut, hat dir wahrhafti noch koan Anlaß zum Aufdrahn gebn. Willst du's um Gottslohn net ghaltn, so hoaß's wieder weiter gehn, aber verbitter ihm des kloa Herz net lang, des ohnehin arm gnug is.«

      Der Reutbauer blickte mehrere Sekunden lang verdutzt auf die Schwester, dann stieg langsam eine dunkle Röte in seine Wangen. Ihm war vorhin das fremde Kind für den Augenblick aus dem Gedächtnis gekommen und seine Worte hatten sich nur auf die von ihm wie von jedem Wäldler gehaßten Grenznachbarn im allgemeinen bezogen. Doch er fühlte sich durch diese Zurechtweisung in Gegenwart der Dienstboten beschämt und sich in seiner Würde als Haupt der Familie gekränkt. Heftiger Zorn erfaßte ihn; er richtete sich vor allem gegen die unschuldige Ursache des Streites.

      »Um Gottslohn g'haltn!« rief er höhnisch. »Fallt mir net ein, daß i mir an Hund aufziag, der mi später in d' Füaß beißt. Oder bin i nimmer Herr in mein Haus? Aft derf des böhmisch Mensch dableibn und i hab nix mehr z'sagn.«

      In der Nähe des Kachelofens stehend und heftig gestikulierend, stieß er unvermutet an eine Stange des darüber aufgebauten Dörrgerüstes und mit einem Krach fiel es nieder, Töpfe und Schalen mit sich nehmend und zertrümmernd.

      Während die Weiber erschrocken herbeieilten, die Knechte sich murrend in eine Ecke drückten, rutschte das kleine Unglücksgeschöpf Itta von der Bank und schlüpfte leise weinend zur Tür hinaus.

      Niemand sah dies als der Knabe, der den stürmischen Auftritt gleichmütig beobachtet hatte und sich nun ebenfalls entfernte.

      Als Burgl ein paar Minuten später fand, daß die von ihr in Schutz Genommene entflohen war, sank sie erbleichend auf die Herdbank nieder. Doch schnell raffte sie sich wieder empor und lief hinaus auf die Dorfstraße, des eisigkalten Windes nicht achtend, der durch ihre leichte Kleidung fuhr und ihr den Schnee gleich scharfen Nadeln in das Gesicht trieb. Von Haus zu Haus suchte und fragte sie vergeblich, und als es dunkel wurde, kehrte sie erschöpft und betrübt nach ihrer Wohnung zurück.

      »Na, kimmst endlich doch daher, Burgl!« tönte es ihr dort aus der Türe entgegen. »I beit schon an Ewigkeit auf dich mit dem Dirndl da, des zittert, wie dem Forstghilfn sei Dakkel.«

      »Gottfried! Ist's wahr, hast du's g'fundn?« schrie sie fast weinend auf.

      »I hab's net gsuacht, bin ihm nur nach, hab's beim Kragl packt und her gweist.«

      »Und hast dir net gfürcht wegn dein Vatern?«

      »Ah, der is morgn froh, daß wirs net ausgjagt habn. Sei Zorn kränkt'n ja doch bald, man muaß nur tuan, wia wenn man's net kenna tat. Und's Böhmerl muß ihn bittn um d'Hoamat, damit er schön ›ja‹ sagn kann.«

      »Schau, der pfiffi Bua!« lächelte sie. »Aber gelt's Gott tausendmal, daß's da is. I hätt mir mei Lebtag an Vorwurf gmacht wegn dem Kind; denn was oam unser Herrgott ins Haus schickt, soll man net ausschaffen.«

      Gottfried lief pfeifend davon und Burgl machte sich frohen Herzens daran, Licht und Wärme in die freundliche, bequem eingerichtete Stube zu bringen.

      2. Kapitel

      Sie hatten in einer kleinen, halbverfallenen Hütte außerhalb des Elends gewohnt.

      Die Mutter holte im Sommer Gras und Laubspreu aus dem Staatswald für ihre einzige Ziege, ging in den Taglohn und kochte nie etwas anderes als Erdäpfel zur Milchsuppe. Sie war immer blaß und traurig, besonders, wenn ein Brief aus Amerika kam. Dann weinte sie tagelang und betete am Abend vor einem Christusbild: »Lieber Herr Jesus, verzeih ihm's, o verzeih ihm und laß's ihm's guat gehn!«

      Wen sie damit meinte, wußte Itta nicht, die dies erzählte, während Burgl sie aus ihren Lumpen schälte.

      »Hat sie dir nie was von dein'm Vatern gsagt?« forschte die Witwe.

      »I – ja. Sie hat gsagt, i hab koan mehr. Er is gstorbn, eh i auf d' Welt kemma bin.«

      »Dann muaßt alle Tag für ihn betn und für dei Muatta auch. Kannst du's Betn?«

      Itta nickte vergnügt.

      »Freili, den böhmischn Vaterunser kann i; den hat mir der Elendmüllnerbua glernt«.

      »So bet ihn amal vor.«

      Itta rutschte von dem Stuhl, auf welchen Burgl sie gesetzt hatte, legte beide Fäustchen aufeinander und begann, den »böhmischen Vaterunser« zu beten.

      Aber was war das für ein sonderbares Gebet!

      Eine Reihe gemeiner Witze mit böhmischen Worten gespickt, eine Verhöhnung alles Ehrbaren und Heiligen, die aus diesem unschuldigen Munde doppelt häßlich klang. Burgl verschloß ihn entsetzt mit der Hand und nahm eine strafende Miene an, vor der die Kleine erschrocken zurücktrat.

      »Des is ja fürchterlich, is a Sünd, so zu betn!« rief sie. »Daß i dich so nimmer hör, oder du muaßt furt, muaßt wieder hin, wo du herkommen bist.«

      Itta zitterte und blickte mit rührender Angst auf.

      »I kann's halt net anders«, sagte sie weinerlich.

      »I lern dir's schon noch. So viel seh i vorläufig ein, daß d' auswendig und inwendig vernachlässigt bist, du arms Kind. Z'erst aber wolln wir auswendig sauber wern, gelt?«

      Es war keine leichte Arbeit, diese an sich zarte Haut von monatealtem Schmutz zu reinigen und das ungewöhnlich lange blonde Haar zu entwirren. Doch sie lohnte sich reichlich durch den hübschen Anblick, den das Kind nachher bot.

      Burgl freute sich innig daran und verglich es im Stillen mit dem süßen, kleinen Engel auf einem über der Kommode hängenden Bild. Es hatte die gleichen lichtblonden Locken und vergißmeinnichtblauen Augen, und irgend etwas in dem schmalen, blassen Gesicht erinnerte sie sogar an ihren verstorbenen Gatten. Es hatte sie schon oft wehmütig gestimmt, daß sie kein Kind von ihm besaß und nun war es ihr, als hätte ihr Gott in diesem heimat- und elternlosen Wesen einen Ersatz geschickt. Mit plötzlich aufwallender Zärtlichkeit schlang sie ihre Arme um die zierliche, nackte Gestalt und drückte sie an sich.

      »Von heut an ghörst mein, Itta«, sagte sie leise. »Kannst mi aber auch gern habn?«

      »I – ja«, war die nachdrücklich gesprochene Antwort.

      »Und du muaßt dir denka, i bin dei Muatter, gelt?«

      »Ja. Du bist aber noch braver wie mei Muatter, die jetzt im Freithof draußt liegt.«

      Burgl küßte sie und legte sie in das auf einer mächtigen Truhe hergerichtete Bett. Nachdem sie das Kreuzzeichen über die Kleine gemacht und ihr rasches Einschlummern überwacht hatte, begann sie eifrig in Kisten und Kasten zu kramen. Was sie fand, war ein Hemd, das sie einst als Kind getragen, ein buntes Jäckchen mit hohen Bauschärmeln und ein Rock, dem sie durch Einschlagen des Saumes die nötige Kürze verlieh.

      Mit diesen Kleidern angetan, wurde Itta am nächsten Morgen in das Vorderhaus geführt, wo infolge des abendlichen Zwistes noch eine ziemlich gedrückte Stimmung herrschte.

      Der Bauer ging rastlos in der Stube auf und ab und warf von Zeit zu Zeit einen unruhigen Blick durch das Fenster auf den Hof, den meterhoher Schnee überdeckte.

      Er hatte in der Nacht den Sturm um das Haus wüten hören und es war ihm bange zu Mute geworden.

      Wenn das fremde Kind das Nachbardorf nicht mehr erreicht hätte und auf freiem Feld geblieben – erfroren wäre? Bis zum Tod würde er keine ruhige Stunde mehr haben, immer würde ihm das furchtbare Wort: »Du hast es hinausgetrieben!« das vorhin der bekümmerten Bäuerin entfahren war, im Ohr wiederhallen.

      Am liebsten wäre er jetzt noch auf die Suche gegangen, wenn