Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich

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Название Blau Wasser
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753170268



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ohne dringende Noth anvertraut haben sollte. Das Wahrscheinlichste blieb immer, daß er, ohne weiter Jemand etwas davon zu sagen, nach Waterford gegangen sei, um von dort mit dem Dampfboot nach Hause zurückzukehren, und nun schon lange gemüthlich daheim sitze, während er ihn hier draußen suche. Gerade jetzt lag auch wieder eine amerikanische Barke in Werford, die noch mehrere Passagiere in Waterford an Land zu setzen hatte. Auf der nahm er Passage, und weil sie noch einige Tage dort liegen blieb, amüsirte er sich indeß ganz vortrefflich mit einigen da gefundenen alten Schiffskameraden. Nach drei Tagen erhielt er plötzlich Nachricht, daß die Barke Abends sieben Uhr bei eintretender Ebbe segeln würde, und mit dem gerade günstig /106/ wehenden Wind konnte sie den Ort ihrer Bestimmung recht gut bis Tagesanbruch erreichen.

      Bill ging an Bord und zwar, wie das alte Matrosen gewöhnlich thun, als Zwischendecks-Passagier im Forecastle, das heißt, er aß mit den Leuten, mit denen er, als nicht der Mühe werth zu Koje zu gehen, die Nacht auf den verschiedenen Wachen verplauderte. Erst als sie dem Leuchtthurm näher und näher kamen, und die Leute noch Einiges aus dem Raum herausholten, was mit an Land geschickt werden sollte, holte er sich seine kleine Tasche heraus, um, wenn das Boot abstieß, gleich fertig zu sein.

      Irgend ein kleiner geringfügiger Umstand, an und für sich nicht von der mindesten Bedeutung, hat oft Einfluß auf unser ganzes Leben und wirft unsere noch so vortrefflich berechneten Pläne über den Haufen. Hätte Bill die Tasche nicht unten im „Logis" liegen gehabt, wäre Alles so gegangen, wie er dachte, und er selber wieder in kurzer Zeit zu Haus gewesen. So, als er im Dunkeln die schmale Treppe herauf und an Deck stieg, und nach der Mitte des Fahrzeugs zu gehen wollte, wo das Boot niedergelassen werden sollte, stolperte er über den aufgeschobenen Lukendeckel, stürzte, ehe er sich halten konnte, in den Raum hinab, schlug mit dem Kopf an eine Kiste, und blieb bewußtlos liegen.

      Diese Luke wurde von den Leuten gleich darauf wieder zugelegt, und als das Boot niedergelassen ward, rief man vergebens nach dem plötzlich verschwundenen Passagier. Der rasch und heftig wachsende Wind ließ aber auch kein längeres Zögern zu - der fremde Seemann mußte jedenfalls in der Dunkelheit über Bord gefallen sein, wo ihm doch nicht mehr zu helfen war, und die für Waterford bestimmten Passagiere, von denen einer Bill kannte und sich am vorigen Abend noch mit ihm unterhalten hatte, verließen das Schiff in der festen Ueberzeugung, daß der arme Teufel sein zeitiges Grab in den Wellen gefunden. Das Fliegende Eichhorn, wie die Barke hieß, braßte bald darauf die Segel wieder auf und flog mit trefflichem Wind seine Bahn entlang.

      Der Morgen brach an und die Brise artete mit Sonnen-/107/aufgang in einen förmlichen Nordost-Sturm aus, der sie mit gereeften Segeln vor dem Wind elf oder zwölf Knoten die Stunde vorwärts jagte. Die Luken sollten wieder dicht gemacht werden, vorher aber brauchte der Koch noch Feuerholz aus dem untern Raum, und als ein paar von den Leuten hinabstiegen, fanden sie unten den armen Teufel von Passagier noch halb bewußtlos in seinem Blute liegen.

      Bill wurde jetzt allerdings gleich an Deck und zur Koje gebracht und es geschah Alles was die Umstände erlaubten, ihn wieder zu sich zu bringen und zu pflegen, aber ihn jetzt an Land zu setzen war unmöglich. Die See ging hoch und der Capitain hätte nicht um irgend etwas die kostbare Brise versäumen mögen. Außerdem lag der Fremde in einem heftigen Fieber, und es blieb eben nichts weiter übrig als ihn mitzunehmen - nach New-York.

      Erst nach vier oder fünf Tagen, als sie schon lange weit draußen im Atlantischen Ocean und auf blauem Wasser schwammen, erholte sich Bill auch wirklich so weit, Rechenschaft von sich zu geben, wie er in den untern Raum gekommen, fand sich übrigens ungemein rasch in sein Schicksal, meinte, „es hätte einmal nicht anders sein sollen", und ließ sich, da der Capitain gerade knapp an Mannschaft war, mit Vergnügen als Matrose einschreiben, um seine Passage zu verdienen. In New-York fand er ja bald Gelegenheit, wieder nach Hause zurückzukehren, und als er sich die Sache erst eine Weile überlegt hatte, schien es ihm sogar ganz recht zu sein, wieder einmal „ein Deck zu treten" und Masten und See über und um sich zu sehen, statt der „ewigen langweiligen Dächer und Häuser". Das Seeblut stak ihm doch noch viel zu sehr in den Gliedern, es so leicht abzuschütteln, und nach Hause - „kam er noch immer zeitig genug."

      Von seiner Wunde, wie nur erst einmal das Fieber von ihm gewichen, erholte er sich ungemein rasch, und was seine häuslichen Verhältnisse betraf, so machte er sich derentwegen auch nicht die geringsten Sorgen. Jack war jedenfalls indessen lange wieder zu Hause angekommen, und seine Frau - ih nun, die mußte sich schon die paar Monate trösten. Was hätte sie denn machen wollen, wenn sie einen Seemann ge-/108/heirathet; die waren fortwährend auf dem Wasser, und nur dann und wann einmal acht oder vierzehn Tage zu Haus, und deren Frauen hielten es auch aus.

      Nur Eins genirte ihn im Anfang an Bord, obgleich er sich auch zuletzt daran gewöhnte: daß ihn der Steuermann und die Uebrigen immer Jack statt Bill nannten. Zwischen den englischen und theilweise auch amerikanischen Matrosen ist es nämlich ein seit undenklichen Jahren eingeführter Brauch, Alle, deren Namen sie nicht gleich wissen und die zum Seemannsstand gehören, Jack zu nennen. Wie man in Oesterreich jeden Fremden ,,Herr von" und in Leipzig „Doctor" nennt, so sagen die Matrosen untereinander Jack, und da der Name überhaupt so außerordentlich verbreitet ist, treffen sie noch nicht einmal so oft fehl. So lange Bill deshalb in seinem Fieber lag und doch schon, wenn er nicht starb, als zum Schiff gehörig betrachtet wurde, hieß er fortwährend, wenn von ihm geredet wurde, Jack, und zwar „der fremde Jack", und als er wieder zu sich kam und Bill heißen wollte, ging das nicht mehr. Die Leute hatten sich daran gewöhnt und er blieb Jack nach wie vor.

      „Hol's der Henker," rief er dann zuletzt mit dem gewöhnlichen und allbekannten Seemannswitz, der auch vielleicht dem Namen Jack seinen Ursprung verdankt - „es ist mir einerlei, wie ihr mich auch ruft - nur nicht zu spät zum Essen."

      Bill war früher, wie schon vorerwähnt, Matrose mit Leib und Seele gewesen, und es läßt sich denken, daß er sich bald wieder hinein und wohl in seiner altgewohnten Beschäftigung fand. Ueber die Trennung von seiner Frau hatte er sich schon lange getröstet, und lachte sogar manchmal, wenn er daran dachte, wie sie sich wohl den Kopf zerbrechen würde, wo er hingekommen und wann er zurückkehren würde. Am Ende war es noch gar kein so großes Unglück, daß er in das Loch gefallen, und jedenfalls hatte er bei der Gelegenheit doch wieder einmal tüchtig Salzwasser zu schmecken bekommen.

      Nach einer Fahrt von neunundvierzig Tagen erreichten sie New-York, und Bill bekam, was er unterwegs verdient, ausgezahlt. In der Erinnerung aber an die freie fröhliche Zeit, die er sonst verlebt, wenn er nach langer Seefahrt wieder zum ersten Male Land betrat, dachte er in dem Augenblick gar nicht an die Heimath und seine dortigen, ihm noch etwas neuen Pflichten, und jubelte mit den Kameraden Tag und Nacht durch, bis auch - was gar nicht so sehr lange dauerte - der letzte Cent verzehrt und sogar, nach ächter Matrosenart, die Jacke versetzt war.

      Damit hatte er den Gipfelpunkt seiner jetzigen Glückseligkeit erreicht, denn geborgt wird solchen Leuten nichts. Als aber der Rausch ausgeschlafen war, kratzte er sich doch hinter den Ohren und dachte zum ersten Mal ernstlich an die Rückfahrt, die er sich nun wieder als Matrose verschaffen mußte. Umsonst hätte ihn natürlich kein Capitain als Passagier mit hinübergenommen, hätte er selber als Passagier gehen wollen.

      Bill sah sich deshalb rasch wieder nach einem Schiff um, auf dem er ein „birth" bekommen könne, fand aber zu seinem Schrecken, daß kein einziges passend für ihn im Hafen lag. Vier oder fünf waren allerdings nach England bestimmt, aber schon vollauf mit Mannschaft versehen, andere, von dort erst angekommen, blieben vielleicht vier bis sechs Wochen liegen, ehe sie ihre Fracht gelöscht und neue eingenommen hatten, und so lange konnte er doch unmöglich ohne Geld und in Hemdsärmeln in New-York herumlaufen.

      Ein einziges Schiff brauchte Leute und war nach England bestimmt, aber - über Rio Janeiro. Das verzögerte allerdings seine Rückkunft, doch blieb ihm in der That keine große Wahl; der Capitain, der schon segelfertig im Hafen lag, bot ihm Handgeld und Bill - ging an Bord.

      Daß er aber so gewissermaßen von zu Hause fortschiffte, wo er doch eine Frau sitzen hatte, war ihm ein unbehagliches Gefühl, und er wollte wenigstens nicht gekannt sein. Der Name Jack, den ihm das Fliegende Eichhorn aufgezwungen, paßte ihm jetzt insofern, als er incognito reisen konnte, und er ließ sich als Jack Brown in die Schiffsbücher eintragen. Gern hätte er auch nach Hause geschrieben und