Der perfekte Angler. Claus Beese

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Название Der perfekte Angler
Автор произведения Claus Beese
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738001914



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zog meine Angel aus dem Wasser. Verdammt, ging das schwer! Genau das gleiche dachte wohl auch der Aal, der am anderen Ende der Angel am Wurm zog. Dann flog er auch schon in hohem Bogen durch die Luft und landete hinter mir im Gras. Ich stürzte mich auf ihn, wollte ihn fassen, aber der glitschige Kerl schien länger und länger zu werden, und wand sich zwischen meinen Fingern hindurch, als hätte ich Schmierseife dran. Ich hatte keinen Lappen und grapschte verzweifelt nach dem Fisch, der sich nun zielstrebig wieder dem Wasser entgegenschlängelte.

      „Sand! Nimm Sand!“, brüllte Heinrich mit überschnappender Stimme. Und richtig, mit einer Handvoll Sand ging es. Jetzt stand ich da, den Aal in der Hand, halb betäubt vor Glück und der Aufregung und hatte kein Messer. Irgendwie musste ich den Fisch töten, das war mir klar.

      „Wirf ihn fest auf den Boden“, schlug Arthur vor. „Das betäubt ihn!“

      Ich hatte eine noch bessere Idee. Ich hatte dort drüben einen Stein gesehen, mit einer sehr scharfen Kante dran. Damit durchtrennte ich dem Aal das Genick eben hinter dem Kopf. Dann stand ich da und betrachtete voller Stolz meinen ersten Fisch.

      „Ein Pfund!“, murmelte Heinrich.

      „Eineinhalb!“, murmelte Arthur.

      „Dreihundert Gramm!“, murmelte später meine Mutter und nahm den Aal von der Waage.

      Als ich den zweiten und dritten Aal fing, war ich längst nicht mehr so aufgeregt. Ich hatte ja jetzt schon Routine. Geschickter als mancher erfahrene Angler sein Messer, handhabte ich den scharfen Stein.

      „Deine Augen mag er wohl haben“, wisperte Heinrich voller Bewunderung. „Aber das Können und die Geschicklichkeit hat er von mir!“

      Fröhlich miteinander fachsimpelnd schwebten die beiden wieder nach oben, wo sie dem gebannt lauschenden Petrus Bericht erstatteten. In ihrer Begeisterung wurden aus den drei Aalen zehn, und keiner unter einem Pfund. Von oben drohte der erhobene Zeigefinger und eine mächtige Stimme rief: „Du sollst nicht lügen!“

      Petrus lächelte und sagte: „Ach, lass sie nur, es sind Angler.“ Der Zeigefinger verschwand und die mächtige Stimme murmelte: „Ach so!“

      Schmerzhafte Erfahrungen

      In der Schule hatte ich kein Wort von meinen ersten Aalen erzählt. Viele meiner Mitschüler standen auf dem Standpunkt, Angeln sei doof. Ich ahnte, welches Ungemach mich überkommen würde, wenn ich von meinem neuen Hobby berichten würde. Lange Zeit verheimlichte ich meine Passion, erfand Ausreden, wenn andere sich mit mir zum Spielen verabreden wollten. Lieber ging ich allein meiner Wege, die mich stets zu den Aalen führten. Umso erstaunter war ich, als ich eines Tages bemerkte, dass sich meine besten Klassenkameraden miteinander verabredeten. Sie taten geheimnisvoll und bemühten sich, niemanden, nicht einmal mich, in die Sache einzuweihen. Ich hatte schon einige Zeit befürchtet, die beiden hätten Geheimnisse vor mir. Es schien, als wollten sie mich nicht bei ihren Vorhaben mitmachen lassen, doch konnte ich keinen Grund dafür erkennen. Waren meine besten Freunde dabei, sich von mir abzuwenden? Was hatte ich getan, dass sie mich augenscheinlich plötzlich nicht mehr mochten? Wie froh war ich, als sich herausstellte, dass sie einfach nur zum Angeln wollten und dieselben Ängste hatten, wie ich. Wer wollte schon als doofer Langweiler gelten?

      Ich hatte inzwischen „aufgerüstet“. Meine Angelruten bestanden nicht mehr aus kurzen Knüppeln, sondern schon aus zusammensteckbaren Bambusteilen. Mit meinem sehr knappen Taschengeld gehörte ich bereits zu den Stammkunden im hiesigen Angelgeschäft, wo ich meine Haken lose kaufte, anstatt bereits fertig gebunden. Der Inhaber des Geschäfts, Onkel Schorse, zeigte mir die Knoten, mit denen man sie bombenfest an der Vorfachschnur befestigen konnte. Das sparte ungemein Geld. Ich lernte viel von dem alten, immer freundlich lächelnden Mann.

      Es war aufregend. Meine Mitschüler lehrten mich, dass man manchmal verbotene Wege gehen musste, um seinen Horizont zu erweitern. Bislang gab es in meinem Anglerleben eine Reihe von Tabus, zu denen das Angeln in der großen, gefährlichen Weser gehörte. Auch ein altes Ziegeleigelände in der Nähe, auf dem sich eine ganze Reihe verwilderter, halb zugewucherter Teiche befanden, durfte ich nicht betreten. So war mir bislang immer der Gang zur Aue geblieben. Als wir uns am Nachmittag wie verabredet trafen, berieten wir, wohin wir wollten.

      „Aue!“, sagte ich.

      „Ziegelei!“, erwiderten beide. Ich war überstimmt. Was sollte ich machen? Ich musste mich der Mehrheit beugen. Ob die Eltern das verstehen würden? Ich ahnte, dass ich es noch herausfinden würde.

      Die Räder wurden im Gebüsch versteckt, und wir kletterten den steilen Hang hinab, der beinahe ohne Ufersaum am See endete. Das Gelände war glitschig wie Schmierseife, und bald hatte ich große Klumpen des schweren Bodens nicht nur an den Stiefeln hängen. Wir fanden Halt an einer schmalen Landzunge, die zwei Teiche von einander trennte. Meterhohes Schilf verschluckte uns und wir kämpften uns auf einem kaum erkennbaren Trampelpfad weiter vorwärts.

      „Hier ist es gut“, meinte Thomas, ließ seine Klamotten fallen und begann einen Wurm auf den Haken zu spießen.

      „Jo!“, meinte Norbert, warf sein Gepäck von sich und tat es Thomas gleich.

      „Wenn ihr meint“, stimmte ich zu und alsbald schwammen auch meine beiden Posen auf der glatten Wasserfläche des Sees. Ich bekam den ersten Biss, die Pose wurde vehement unter die Oberfläche gerissen. Ich schlug hastig an. Ein Fisch, ich hatte wahrhaftig einen richtigen Fisch gefangen. Nicht sehr groß, aber immerhin. Ein gelbgrün gestreifter Barsch, der seine Flossen weit abspreizte. Ich griff nach ihm, um ihn vom Haken zu lösen.

      „Vorsicht, die haben Stacheln!“, rief Thomas. Leider ein wenig zu spät, denn diese Erfahrung hatte ich eine Sekunde vorher selber gemacht. Tief drangen die spitzen Strahlen der Rückenflosse in meine Haut. Nahezu augenblicklich spürte ich ein Brennen und Jucken, die Hand schwoll an den Einstichstellen rasch an. Die beiden Jungen lachten laut, es gab doch nichts Schöneres als Schadenfreude.

      „Kühlen! Du musst die Hand ins Wasser halten“, riet Norbert. Ich folgte seinem Rat, der bereits nach kurzer Zeit den Schmerz verschwinden ließ. Ich konnte weiter angeln. Noch nie zuvor hatte ich solche Fische gefangen, es schien hier überhaupt keine anderen zu geben.

      „Doch, Karpfen, Aale, Weißfische, alles da!“, lachte Thomas. „Aber hauptsächlich Barsche!“

      Hätte ich doch ein paar Aale gefangen. Als ich mit dem Eimer Fische nach Hause kam, warf meine Mutter nur einen kurzen Blick hinein.

      „Barsche!“, erkannte sie sofort. Mit Argusaugen hatte sie auch die Lehmklumpen an meinen Stiefeln und der Kleidung entdeckt. „Die hast du noch nie gefangen, und mit so viel Dreck bist Du ach noch nicht nach Hause gekommen. Also warst du nicht an der Aue. Wo hast du sie her?“

      Petrus! Mütter, die sich mit Fischen auskannten, konnte es schlimmeres geben? Kleinlaut beichtete ich, und ertrug die Strafe wie ein Mann. Manchmal ist es schmerzhaft, erwachsen zu werden. Nie, niemals wieder würde ich an diese Teiche gehen. Ich versprach es hoch und heilig. Ja, es war mir klar geworden, wie gefährlich es dort war, beteuerte ich. Was verspricht man nicht alles, um den Eltern die Sorgen zu nehmen und um „gut Wetter“ zu bitten? Tatsächlich erschien mir eine Mutter, die nicht wollte, dass ich dorthin ging, viel gefährlicher, als der Teich selbst.

      „He, Leute! Heute angeln?“, begrüßte Norbert uns am nächsten Morgen auf dem Schulhof. Thomas und ich wechselten einen kurzen Blick.

      „Ziegelei?“, fragte Thomas.

      „Jau!“, antworteten Norbert und ich wie aus einem Mund.

      Als ich von der Schule heimkam, gab es Fisch. Meine Mutter hatte die Barsche an diesem Tag in der Pfanne gebraten. Sie waren extrem lecker. Satt schoben wir unsere Teller zurück.

      „So was könnten wir eigentlich öfter mal machen“, meinte meine Erziehungsberechtigte leichtsinnigerweise. An mir sollte es nicht liegen. Ihr Wunsch war mir Befehl. Die Freunde warteten schon an der Straßenecke auf mich.

      Aalfieber